Immer wieder kam es in den vergangenen zwei Jahren zu Beschädigungen in der Bücherhalle Kirchdorf, oft durch Jugendliche. Zuletzt zog die Bücherhalle Konsequenzen und beschränkte die FlexiBib-Zeiten. Doch die Schuld nur bei den Jugendlichen zu suchen, greift zu kurz
Plötzlich vor verschlossener Tür
Wer Ende letzten Jahres abends wie gewohnt die Bücherhalle Kirchdorf besuchen wollte, stand plötzlich vor verschlossenen Türen. Ein Schild informierte die verwunderten Besucher*innen: „Respektloses Verhalten, Müll in der Bücherhalle und Vandalismus haben eine sofortige Einschränkung der FlexiBib-Zeiten zur Folge!“ Was war passiert?

Alles begann mit den FlexiBib-Zeiten
Seit Juni 2022 gibt es in der Bücherhalle Kirchdorf die sogenannten FlexiBib-Zeiten. In dieser Zeit können Nutzer*innen ab 18 Jahren mit gültiger Bücherhallen-Karte die Räume zwischen 7 und 22 Uhr auch außerhalb der regulären Öffnungszeiten nutzen. Dies ist keine Selbstverständlichkeit; das Konzept gibt es nicht in allen Bücherhallen Hamburgs – nur 26 der 34 Standorte bieten diese erweiterte Nutzungsmöglichkeit an.
Die flexiblen Öffnungszeiten wurden gut angenommen. Studierende nutzten den Raum zum Lernen, Berufstätige konnten nach Feierabend noch Medien ausleihen oder zurückbringen, und Familien fanden am Wochenende einen Ort zum Spielen mit ihren Kindern. Kurz gesagt: Ein neuer, offener Raum zum Arbeiten, Verweilen und Entdecken war entstanden.
Die ersten Probleme tauchen auf
Doch mit den neuen FlexiBib-Zeiten entstanden auch Probleme. Die Räume wurden unangemessen genutzt. Sie wurden verschmutzt, Fenster wurden aufgebrochen, Essensreste liegen gelassen und Möbel mit Essen oder Edding beschmiert. Letzteres konnte jedoch gereinigt werden, war also nicht dauerhaft. Zwei Tastaturen wurden zerstört, sogar Teile der Einrichtung mutwillig demoliert.
Besonders gravierende Vorfälle dieser Art traten in Kirchdorf auf – in der benachbarten Bücherhalle Wilhelmsburg im Reiherstiegsviertel gab es vergleichbare Probleme in dieser Härte nicht.
Der Wendepunkt
Der entscheidende Vorfall ereignete sich, als Jugendliche von Kund*innen dabei beobachtet wurden, wie sie Stühle umherwarfen. „Das war für uns der Anlass (…) zu sagen: So kann es nicht weiter gehen! Zum einen ist der Vandalismus eine Belastung für unser Kollegium und andererseits auch für die Kund*innen, die die FlexiBib-Zeiten gerne nutzen wollen und dies auch mit dem nötigen Respekt vor den Räumlichkeiten und vor den anderen Kund*innnen tun“, erklärt eine Mitarbeiterin der Bücherhalle Kirchdorf.
Als Reaktion wurden die problematischen Zeitfenster – vor allem die Abend- und Nachtstunden – gestrichen. Die Nutzung am frühen Morgen (7 bis 10 Uhr) blieb bestehen. Gleichzeitig informierte das Personal die Kundschaft über die Maßnahmen. Viele Besucher*innen zeigten Verständnis für die Maßnahme und waren schockiert über die Vorfälle und das respektlose Verhalten.
Inzwischen wurden die FlexiBib-Zeiten schrittweise wieder ausgeweitet. Aktuell hat die Bücherhalle Kirchdorf montags bis donnerstags von 7 bis 20 Uhr geöffnet, freitags bis sonntags bis 18 Uhr.
Wohin als Jugendliche*r?
Statt pauschal über die „böse Jugend“ zu schimpfen, lohnt sich ein Blick auf ihre Situation. Wilhelmsburg ist mit einem Anteil von 20,1 % junger Menschen unter 18 Jahren ein vergleichsweise junger Stadtteil. Besonders auffällig: In den Haushalten, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, leben 29,5 % 15-Jährige – das entspricht 2.699 Kindern. Nur Billstedt verzeichnet mit 33,5 % (3.930 Kinder) eine noch höhere Quote. (Statistik Nord, Stand 31.12.2023). Diese Zahlen lassen Rückschlüsse auf die Wohnsituation der Jugendlichen zu: Haushalte, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, haben in der Regel weniger Platz zur Verfügung. Das bedeutet, viele der Jugendlichen leben in beengten Wohnverhältnissen und haben keine Rückzugsräume, sei es, um in Ruhe zu lernen, Hobbys zu pflegen oder einfach mit Freund*innen abzuhängen.
Es fehlen Orte und Angebot für Jugendliche, wo sie sich außerhalb ihres Zuhauses aufhalten können. Dies wird zum Beispiel erkennbar, dass neben den Studierenden während der Prüfungszeiten auch Oberstufenschüler*innen in die Bücherhalle kommen, um zu lernen – ein Zeichen dafür, dass es zu Hause an geeigneten Lernorten mangelt.
Die Kinder- und Jugendarbeit im Stadtteil muss eine solide Basis bekommen
Parallel zu den beengten Wohnverhältnissen gibt es im Stadtteil nur begrenzte Angebote für die Jugendlichen. Die Häuser der Jugend in Kirchdorf (Krieterstraße 11) und im Reiherstiegviertel (Rotenhäuser Damm 58) und die Straßensozialarbeit Kirchdorf Süd (Karl- Arnold- Ring 53) sind zwar für die Kids da und machen engagierte Jugendarbeit – doch sind sie personell chronisch unterbesetzt. So ist im Haus der Jugend Kirchdorf von drei Erzieher*innenstellen nur eine besetzt. Es laufen aber zur Zeit Bewerbungsverfahren (Stand 3. März 2025). Bis zur Neubesetzung sind die Öffnungszeiten deshalb auf Montag, Mittwoch und Donnerstag von 14 -18 Uhr beschränkt.

„Angebote der Kinder- und Jugendarbeit sind wichtige Orte der Sozialisation für junge Menschen“, berichtet Ulrike Meyer, Sozialarbeiterin bei der Straßensozialarbeit Kirchdorf Süd. „Die Mitarbeiter*innen dort schenken Zeit, hören zu und unterstützen bei Problemen. Wenn diese Angebote wegfallen oder nur eingeschränkt nutzbar sind, hat das Konsequenzen für die jungen Menschen. Nutzer*innen der Angebote der Jugendhilfe wandern ab und suchen sich Orte im öffentlichen Raum und hängen da ab.“
Treffen bei schlechtem Wetter: Junge Menschen wünschen sich Unterstände
Zudem erreichen die Häuser mit Lernräumen und Hausaufgabenhilfe sowie betreutem Freizeitprogramm nicht alle jungen Leute. Es wollen eben nicht alle Jugendlichen begleitet oder beaufsichtigt werden. Ein Problem ist das Fehlen geeigneter Treffpunkte für diese Jugendlichen. „Es gab vor einer Weile eine Umfrage zu Wünschen von jungen Menschen im öffentlichen Raum in Wilhelmsburg. Diese hat ergeben, dass sich die Jugendlichen Unterstände wünschen, um sich auch bei schlechtem Wetter zu treffen. Partizipation ist erstmal eine super Sache. So erfahren Menschen Selbstwirksamkeit“, so Sozialarbeiterin Ulrike Meyer. Doch: „Leider kam es am Ende zu keiner Umsetzung der Idee. Dies führt wiederum dazu, dass sich die Jugendlichen nicht ernst genommen fühlen, frustriert sind und auch das Vertrauen verlieren.“
Diese Frustration könnte mit dazu beitragen, dass einige von ihnen in der Bibliothek einen unbeaufsichtigten Rückzugsort suchen – einen Ort, an dem sie sich aufhalten können, ohne Vorgaben oder Kontrolle. Der dann aber zu einem Ort wird, mit dem sie nicht umgehen können. Das wiederum ist einen kaum zu meisternde Herausforderung für die ursprüngliche Nutzungsidee der FlexiBib-Zeiten.
Lösungsversuche
Die Bücherhalle Kirchdorf versucht, gemeinsam mit dem Umfeld, das Problem auf zwei Ebenen anzugehen. Zum einen setzt sie auf Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten. 2023 wurde zunächst, als Konsequenz nach den ersten Beschädigungen, ein Wachdienst engagiert, der außerhalb der Öffnungszeiten über das Gebäude wachte. Langfristig konnte diese Zwischenlösung aus finanziellen Gründen nicht gehalten werden.
Nun sollen der Polizei Bücherhallen-Kundenkarten zur Verfügung gestellt werden, die ihnen jederzeit Zugang zu den Räumlichkeiten erlauben (ohne, dass sie mit den Karten Bücher ausleihen können). So soll bei Vorfällen ein schnelleres Eingreifen ermöglicht werden. Außerdem wird jede Sachbeschädigung zur Anzeige gebracht. Ein deutliches Zeichen vonseiten der Bücherhalle, dass Fehlverhalten Konsequenzen hat.
Auf der anderen Ebene arbeitet die Bücherhalle eng mit sozialen Einrichtungen und Streetworker*innen aus Wilhelmsburg zusammen. In Absprache mit den Jugendhäusern weist das Personal Jugendliche auf die Räumlichkeiten und Angebote in den Jugendeinrichtungen hin. Zur Zeit ist außerdem jeden Donnerstagabend ein*e Sozialarbeiter*in vor Ort, um mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen oder sie, falls notwendig, direkt auf Probleme anzusprechen. Dies ist im Moment eine freiwillige Initiative der Streetworker*innen, um die Bücherhalle zu unterstützen.
Ob sich die Maßnahmen als langfristige Lösungen bewähren, bleibt abzuwarten. Klar ist: Die Hauptlast bleibt beim Personal der Bücherhalle. Obwohl die Mitarbeiter*innen keine ausgebildeten Sozialarbeiter*innen sind, müssen sie immer wieder Jugendliche auf Fehlverhalten hinweisen oder sie der Bücherhalle verweisen.
Ein Ort für alle
Die Bücherhalle soll jedoch ein Ort für alle sein – ein Ort des Wissens, der Begegnung und des Respekts. Ein kostenloser Raum zum Lesen oder Lernen wollen, und nicht ein Ersatz für fehlende Jugendzentren. Doch das funktioniert nur, wenn alle ihn entsprechend wertschätzen und pflegen. Die Bibliotheksmitarbeiter*innen, von denen einige bereits seit 25 Jahren in Kirchdorf arbeiten, kennen viele Besuchende persönlich und setzen sich mit Herzblut für den Erhalt der FlexiBib-Zeiten ein. Doch sie sind nicht dafür da, Ordnungsdienste zu übernehmen.
Gleichzeitig zeigt die Situation, wie dringend es in Kirchdorf mehr offene Räume für Jugendliche braucht. Es kann nicht Aufgabe der Bücherhalle sein, diese Lücke zu schließen. Hier ist die Politik gefragt. Die Stadt muss dafür sorgen, dass Jugendliche Orte finden, an denen sie willkommen sind – ohne dass darunter andere Orte leiden.
Als die FlexiBib-Zeiten eingeführt wurden, gab es Skepsis. Heute ist klar: Viele Menschen nutzen und schätzen das Angebot. Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass dieser öffentliche Raum erhalten bleibt.
Und warum randaliert mensch (leider meistens mann), nur weil einem langweilig ist?
Statt sich auf das Leben zu werfen mit all seiner Jugendlichkeit und Pracht?
Ich war nie so und nein, mir fehlt das Verständnis dafür.