Am 30. April 2024 ist die Linie 73 zum zweiten Mal in den Mai gefahren. Die Initiative „7×73″ machte mit der Aktion auf den unzureichenden Fährbetrieb zwischen Wilhelmsburg und St. Pauli aufmerksam
Damit hatte der Kapitän der “Reiherstieg” nicht gerechnet: Als er mit der Fähre am 30. April den Anleger „Argentinienbrücke” anfuhr, erwartete ihn nicht nur eine große Menge Fahrgäste, sondern gleich auch noch die bunte Fanfarentruppe “Die Tinnitussis“. Doch weder er noch die aufgeregten Fahrschein-Kontrolleure*innen konnten Tanzende, Familien und ganze Freundeskreise davon abbringen, das Schiff zu „kapern”, um sich für „ihre” Fähre einzusetzen.
Abenteuer statt verlässlicher ÖPNV
“Fährt sie?!” ist zum stehenden Begriff auf Wilhelmsburg geworden. Denn wer von der Ernst-August-Schleuse zu den Landungsbrücken übersetzen möchte, begibt sich auf ein Abenteuer, das viel Geduld, digitale Vernetzung und nautisches Wissen benötigt. Grund dafür ist eine Melange aus Naturgewalt (bei hohem Hochwasser können die Fähren nicht unter der Argentinienbrücke hindurch fahren), zu wenigen Schiffen, Personalmangel, politischem Unwillen und einer schwierigen Informationslage für die Fahrgäste.
Da ist zum einen der technische Zustand der Flotte: Derzeit kann nur eine einzige Fähre, die flache „Reiherstieg”, die Ernst-August-Schleuse anfahren (wenn der Pegelstand es zulässt), sie wechselt sich mit der hohen „Blankenese” ab, die aber eine Station vorher, an der Argentinienbrücke, wieder umdrehen muss. Schon vor einem Jahr war lediglich ein Flachbodenschiff, die „Nala”, auf der gesamten Strecke unterwegs, die „Reiherstieg” musste grundinstand gesetzt werden, die „Rafiki” fiel wegen eines Schadens länger aus, der neu angeschaffte Ausflugsdampfer „St. Nikolaus” sollte zur Fahrgastfähre umgebaut werden. Die HADAG (ein Tochterunternehmen der Hamburger Hochbahn AG) ging jedoch davon aus, dass alle drei im Frühjahr diesen Jahres wieder einsatzbereit sein würden (WIR 27.4.23).
“7 x 73” fordert Wochenend- und Feiertagsbetrieb
Allerdings erwies sich die ausgebrannte „Rafiki” als Totalschaden, ihr Motor soll nun in die „Nala” eingebaut werden, sie selbst bekommt einen Hybridantrieb mit Wasserstoff. Doch das ist im Moment noch Zukunftsmusik, nach zähen Verhandlungen mit der Versicherung ist die HADAG jetzt auf der Suche nach einer spezialisierten Werft. Deren Kapazitäten im Hamburger Hafen sind seit Jahren begrenzt, was auch bei der Wartung der alternden Flotte immer wieder zu Engpässen führt. Von der „St. Nikolaus” ist seit einer Testfahrt mit Motorschaden im letzten Jahr nichts mehr zu hören.
Grund genug für die Initiative „7×73″, einem Zusammenschluss von Unternehmerinnen aus Wilhelmsburg, wieder aktiv zu werden. Bereits 2018 hatten sie an sieben Freitagen, immer um sieben Uhr abends, öffentliche Aktionen mit Musik, einem Chor und Bands auf der Linie 73 veranstaltet und eine Petition zum Wochenendbetrieb mit 6.000 Unterschriften an den Bezirk Hamburg-Mitte übergeben. Doch die Verkehrsbehörde befand, die Fähre würde die S-Bahn nicht entlasten, sie würde auch zu wenig genutzt, zudem würden die Fähren an den Wochenenden für den Musicalbetrieb im Hafen gebraucht. Die Initiative gab aber nicht auf und organisierte 2019 zum ersten Mal eine „Fähre in den Mai”, begleitet von der Kampagne „Fährt sie?!”. Erst die Corona-Pandemie zwang sie zur Pause.
Neuer HADAG-Vorstand bemüht sich um Verbesserungen
Ende Juli 2023 musste HADAG-Chef Tobias Haack nach Druck der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte seinen Hut nehmen, nachdem es auch auf den anderen Fährlinien zu massiven Ausfällen gekommen war. Nachfolger*innen sind die Schifffahrtsexpert*innen Tanja Cohrt und Martin Lobmeyer. Sie haben nach eigenen Angaben seither viel unternommen, um die Situation zu stabilisieren. Ein Schwerpunkt liege dabei auf der Gewinnung und Bindung von Fahrpersonal. Zum Beispiel seien im Jahr 2023 sechs Auszubildende eingestellt worden und für 2024 weitere sechs Ausbildungsplätze vorgesehen. Auch Tariferhöhungen sowie Leistungen für Mitarbeiter*innen sollen helfen, Schiffsführer*innen zu gewinnen und an das Unternehmen zu binden. Die Anzahl der Fährausfälle (auf allen Linien) seien in der zweiten Jahreshälfte 2023 um rund 60 Prozent reduziert worden. Seit Beginn des Jahres habe es jedoch eine leichte Zunahme gegeben.
Und eine weitere gute Nachricht vermeldet das Unternehmen: Drei neue Schiffe sollen noch in diesem Jahr die bisher 26 Fähren umfassende Flotte ergänzen. Das erste Schiff soll im Mai, das zweite im August und das dritte im November abgeliefert werden. Nach der Übergabe an die HADAG folgten noch das Anlernen des Personals und letzte betriebsinterne Tests, anschließend würden die Schiffe im regulären Fährbetrieb eingesetzt. Aber: Für die Linie 73 werden die drei neuen Fähren nicht in Betracht kommen, denn sie sind alle „Bügeleisen-Schiffe”, wie Philine von “7 x 73″ sie nennt, also zu hoch für die Argentinienbrücke. Die „Nala” und die „Rafiki” kehren wohl frühestens in eineinhalb Jahren in den Hafen zurück.
Fährt sie oder fährt sie nicht? Das ist die Rätselfrage
Das Pech mit den Fähren und der fehlende Wochenend- und Feiertagsbetrieb sind aber nicht der einzige Grund für die insgesamt etwa 500 Menschen, die auf die „Fähre in den Mai” wollten. Vor allem die fehlenden und auch oft falschen Fahrgast-Informationen über die Verbindung führen zu viel Ärger. So schreibt „R.” in der Telegram-Gruppe „Fähre 73″: „Ich träume schon von einer Zukunft, in der ich nicht die HVV-App plus Twitter/X plus Gezeitenkalender plus diese Gruppe brauche, um mit der 73 vom Viertel in die Stadt zu kommen …”!
Denn die HVV-App zeigt, anders als bei Bussen und Bahnen, nicht live an, ob eine Fähre kommt oder nicht. Begründet hat das die HADAG gegenüber der „7×73″-Initiative damit, dass die Fähren zu sehr von ihren festgelegten Routen abwichen, da der/die Schiffsführer*in auch noch im letzten Moment entscheiden könne, dass die Überfahrt zur Ernst-August-Schleuse zu gefährlich sei. Deshalb funktioniere das Fahrgastinformationssystem Geofox nicht für die Linie.
Wird die geplante digitale Anzeige helfen?
Die HADAG betont jedoch, dass sie mit Hochdruck an einer Lösung dieses Problems arbeite. Sie hat drei Millionen Euro in die Entwicklung einer digitalen Anzeige an den Anlegern investiert, ein Prototyp steht bereits am Fischmarkt. Dort können die Fahrgäste auf einer Karte in Echtzeit mitverfolgen, wo sich die Fähre gerade befindet. Derzeit verhandelt die HADAG über die weiteren Standorte mit der HPA. Simon aus der Telegram-Gruppe findet: „Diese Displaylösung ist super schick und bestimmt auch super teuer. Für Wilhelmsburg würde ja schon eine einfache LED-Anzeige reichen, wo einfach nur steht, wann die nächste Fähre fährt (und eine Einbindung dieser Info auf fährtsie.de). Ich denke im Vergleich zu dem Gesamtsystem würde man hier mit sehr wenig Geld eine Lösung schaffen können, die sehr viel mehr Menschen einen Nutzen bringt. Ist natürlich nicht so prestigeträchtig wie der 300-Zoll-Bildschirm an den Landungsbrücken … “.
Analog wäre besser
Auch Philine von „7×73″ wendet im Gespräch mit dem InselRundblick ein: “Was nützt es, wenn ich an der Ernst-August-Schleuse stehe und im letzten Moment sehe, dass die Fähre nicht bis dort weiter fährt? Selbst wenn ich renne, schaffe ich den Weg zur Argentinienbrücke ja nicht in den zwei Minuten, die die Fähre dort hält.” Deshalb haben sie und ihre Mitstreiterin Kerstin in einem „sehr konstruktiven” Dialog der HADAG vorgeschlagen, ein analoges Signal einzuführen, zum Beispiel eine rote Lampe, die oben an der Haltestelle installiert ist. Sie würde vom Kapitän immer dann ausgelöst, wenn er entscheidet, den Anleger nicht anzufahren. Noch haben die Schiffsführer gar keine technische Möglichkeit dafür, doch bald sollen sie Tablets bekommen, verspricht die HADAG. Die Intitiative hat außerdem angeregt, den Anleger Arningstraße auch am Wochenende in die Linie 73 zu integrieren. So würde die touristisch orientierte Linie 72 überflüssig, sodass Kapazitäten für die 73 frei würden.
In der Bürgerschaft scheint sich ebenfalls etwas zu bewegen: Der anhaltende Unmut der Wilhelmsburger*innen, sicht- und hörbar durch die Protestaktionen auf der Fähre, die Petition, viele E-Mails und Anrufe bei der HADAG sowie die Telegram-Gruppe, hat dazu geführt, dass sich einzelne Abgeordnete für den Wochenendbetrieb einsetzen wollen. „Dafür ist es wichtig, dass möglichst viele Leute die 73 benutzen, damit das Argument des fehlenden Rentierens nicht mehr zieht”, rät Philine den Fähren-Fans.
Nachtrag: Der Bot, von dem wir berichtet hatten (WIR 27.4.23), ist nicht mehr aktiv, da X (vormals Twitter) inzwischen 100 Euro im Monat für das automatische Lesen von tweets verlangt.
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Es ist schade, dass es so schwierig ist, von der Ernst-August-Schleuse zu den Landngsbrücken zu kommen. Da ich oft ausländischen Besuch bekomme, fällt diese Attrraktion wegen Unzuverlässigkeit aus.