Tales of Turtur (Folge II)

Turtur reviewed
Nicht alle sind mit der Entscheidung für die Pizzeria glücklich
Foto: J. Domnick

Wilhelmsburgs einziger Club ist Geschichte. In Zukunft wird das Turtur ausschließlich eine Pizzeria sein. WIR wollen die Location am Veringkanal aber nicht klanglos vergessen, sondern veröffentlichen stattdessen eine wöchentliche Interview-Reihe mit den Menschen, für die das Turtur ein ganz besonderer Ort war. Diese Woche kommt Sarah, alias Pizza Kid, DJ und Party-Organisatorin, zu Wort

Von Timo Knorr (Fotos) und Jenny Domnick (Interviews)

J.D.: „Wann warst du das erste Mal im Turtur? Oder schon in der „Tonne“? Wie hast du davon erfahren?“
Sarah: „Ich hab‘ Mona über einen gemeinsamen Freundeskreis kennen gelernt, sie hatte damals auf dem Rolls Royce Gelände eine Open Air-Party organisiert. Die Leute und die Veranstaltung haben mir echt gefallen und ich hab‘ dann auch einmal hinter der Bar dort ausgeholfen. Mona hat zu der Zeit unter dem alten Besitzer in der „Tonne“ gearbeitet. Ihr kam die Idee, dort eine Techno-Partyreihe zu veranstalten, die hieß „Oscar treibt’s bunt“. Die haben wir dann zusammen organisiert, das hat wahnsinnig Spaß gemacht. Und später hat sie den Laden ja übernommen.“

J.D.: „Was waren deine Eindrücke?“
Sarah: „Die Leute im Turtur sind für mich zu einer Familie geworden. Ich konnte jederzeit spontan hingehen, weil ich immer wusste, dass jemand da ist, den oder die ich kenne. Es war nie komisch, sich einfach an die Bar zu setzen und da mit anderen Gästen zu sprechen. Auch die Crew habe ich ja mit der Zeit gekannt. Sie hat immer Wert darauf gelegt, sich zu reflektieren und dazu zu lernen. Ich habe mich immer sicher und wohl gefühlt.“

Sarah alias Pizza Kid
Sarah alias Pizza Kid
Foto: T. Knorr

J.D.: „Wie habt ihr die Parties organisiert? Was hast du alles gemacht?“
Sarah: „Wir haben uns das Motto überlegt, zum Beispiel „Eisnacht“, zwei Freundinnen haben die Deko gebastelt. Dann haben wir uns nachmittags im Turtur getroffen und alles zusammen aufgehängt und eingerichtet. Mona hat ja immer den Raum für Crews angeboten, die ihn dann DIY-mäßig bespielt haben. Tja, dann Barleute hinter den Tresen, Kasse auf und los ging’s. Zuerst dachte ich oft, es kommt niemand, und dann dreht man sich um eins einmal um, und zack, der Laden ist voll!“

J.D.: „Bist du bis zum Schluss dabei geblieben?“
Sarah: „Ja, nur beim Endrave konnte ich leider nicht dabei sein. Das hatte ja fast schon Festivalcharakter, die Schaluppe hatte auch im Veringkanal vor dem Turtur festgemacht. Aber zu Monas Geburtstag, ganz kurz davor, bin ich natürlich gekommen. Das war ein sehr emotionaler Abend. Irgendwann lief „Ich liebe das Leben“ von Viki Leandros. Alle standen um Mona im Kreis und haben gesungen. Das war wie, um zu sagen: Wir stehen alle hinter Dir, das Turtur wird es immer geben und es gibt ein danach.“

J.D.: „Zu welchen Veranstaltungen und welcher Musik warst du selber Gast im Turtur?“
Sarah: „Ab 2012 hab ich im Turtur zu Techno gefeiert. Irgendwann kam Mona der Gedanke „Mensch, immer nur Techno ist doch langweilig, lass uns doch mal Trash machen!“ Daraus ist 2018 die Reihe „Trashing me softly“ entstanden, die ich mitorganisiert hab. Die fand so zwei mal im Jahr statt. Ich hab dann auch angefangen, mich als DJ auszuprobieren, selber mitzuorganisieren. Zum Beispiel die Soliparties für KKTF, bei denen ich auch Teil der Crew war. Mona war immer dabei, ein Teil der Besatzung, hat selber geschichtet. Als Besucherin bin ich aber auch zu Punkkonzerten gegangen.“

J.D.: „Was hat Dir besonders gefallen?“
Sarah: „Das Gefühl, connected zu sein. Wenn was nicht geklappt hat, hat man immer schnell Leute gefunden, die einen supported haben.“

Timo Knorr
Timo Knorr
Foto: timoknorr.de/privat

Timo Knorr

lebt und arbeitet als Fotograf in Hamburg. Linn Schröder, Stefan Stefanescu und Dorothea Heinrich hatten großen Einfluss auf seine heutige Arbeit. 
Sein Fokus liegt auf der fotografischen Erforschung von Gruppen, die sich in einem Spannungsfeld der gesellschafltichen Konflikte der aktuellen Zeit bewegen. Ein kleiner Teil seiner Arbeit ist aktuell in der Wildwuchsbrauerei ausgestellt.
Für die Reihe „Tales of Turtur“ hat er alle Menschen fotografiert. WIR bedanken uns aufs Herzlichste!

J.D.: „Und was nicht so sehr?“
Sarah: „Der Techno war mir manchmal zu slow. Ich steh‘ mehr auf Südpol-Techno, voll in die Fresse (lacht)! Da hätte ich mir manchmal mehr Diversität innerhalb des Genres gewünscht.“

J.D.: „Hast Du Erinnerungen an besondere Momente?“
Sarah: „Während der Trash-Parties kam es manchmal zu sehr berührenden Momenten, weil die Mukke einfach alle Menschen zusammenbringt: Wenn wir die Leute raus haben wollten, sind wir noch trashiger geworden mit der Musikauswahl. Aber dann lagen sich die Menschen bei „I will always love you“ von Whitney Houston in den Armen.“

J.D.: „Was hat das Turtur für Dich bedeutet? Wie geht es Dir mit Monas Entscheidung?“
Sarah: „Ich bin sehr traurig. (M)ein sozialer Raum geht flöten, aber ich kann Monas Entscheidung zu 100 Prozent nachvollziehen. Alleine die Verantwortung für einen Club zu tragen, ist heavy. Und 12 Jahre Techno sind dann ja auch mal genug.“

J.D.: „Wo wirst du jetzt zum Feiern oder Parties selbst organisieren hingehen?“
Sarah: „Wilhelmsburg ist als Clubregion tot, das Turtur hat da Vieles aufgefangen. Bevor ich woanders hinfahre, überlege ich doch noch acht Mal, ob mir das nicht zu weit und nervig ist. Die Soulbrache ist ja auch gerade abgesperrt worden, so dass der KulturKanal da erstmal nichts mehr machen kann und das Dörner-Gelände geht ja auch nicht mehr, weil die HPA es wieder nutzen will.“

J.D.: Möchtest du noch irgend etwas anderes loswerden?
Sarah: „Mona, es war ’ne geile Zeit. DANKE!“

In der nächsten Woche: Tim Terror (Sänger der Punkbands „Frevel“ und „Gestrüpp“)

Zum Nachlesen: Letzte Woche haben Trish, B.B.B. und Peter Plum, drei langjährige Gäste* des Turturs, über ihre Erfahrungen im Turtur gesprochen.

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Jenny Domnick

Als freiberufliche Texterin und gesellschafts-politisch aktive Person ist sie viel im Internet unterwegs, unternimmt aber auch gerne Streifzüge am und im Wasser. Wenn's pladdert, müssen ihre Freund*innen als Testesser*innen für ihre Hobby-Kochkünste herhalten.

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