Tales of Turtur (Folge I)

Turtur reviewed
Nicht alle sind mit der Entscheidung für die Pizzeria glücklich
Foto: J. Domnick

Wilhelmsburgs einziger Club ist Geschichte. In Zukunft wird das Turtur ausschließlich eine Pizzeria sein. WIR wollen die Location am Veringkanal aber nicht klanglos vergessen, sondern veröffentlichen stattdessen eine wöchentliche Interview-Reihe mit den Menschen, für die das Turtur ein ganz besonderer Ort war. Den Anfang machen Trish, Peter Plum und B.B.B., drei langjährige Gäste.

Von Timo Knorr (Fotos) und Jenny Domnick (Interviews)

J.D.: „Wann warst du das erste Mal im Turtur?“
Trish: „Das genaue Datum weiß ich nicht mehr, aber da ich schon die Tonne besucht habe, schätze ich, vor ungefähr acht Jahren.“
Peter: „Das ist ur-lange her. Ich hatte schon von der Vorgängerin, der „Tonne“ gehört, es aber nie hingeschafft. Als ich dann mal da war, hieß der Club auf einmal „Turtur“. Das muss kurz nach der Eröffnung gewesen sein, vielleicht so vor acht Jahren.“
B.B.B.: „Da hieß das Turtur auf jeden Fall noch „Tonne“, vielleicht 2015. Ich wurde zum ersten Poetry-Slam im Club eingeladen. Da bin ich dann mit einem Text über meine Ex-Beziehung aufgetreten und bin auch ins Finale gekommen.“

J.D.: „Wie oft bist du dort gewesen?“
Trish: „Keine Ahnung, oft! :D“
Peter: „Von da an öfters, vor allem, seit ich dann zwei Jahre später nach Wilhelmsburg gezogen bin.“
B.B.B.: „Seitdem war ich mehrmals im Jahr als Partygast oder bei Konzerten im Turtur, auch bei der Peristaltik-Performance von Thord1s. Die war einfach klasse!“

J.D.: „Zu welchen Veranstaltungen und welcher Musik?“
Trish: „Von Geburtstagen über entspannte Donnerstagabende bei seichtem Techno bis hin zu bass-lastigen Raves. Das meiste war Techno und (Deep-) House. Aber ich hab‘ auch mal zu Drum’n’Bass, Punk oder Hip-Hop vorbei geschaut.“
Peter: „Techno, genau mein Ding! Aber manchmal war ich auch auf Punk-Konzerten und Geburtstagen. Mit der Zeit gehörte ich zum Stammpublikum, da hab ich dann meine Leute im Turtur getroffen und immer neue kennen gelernt.“
B.B.B.: „Zu Techno-Parties oder auch mal zu Trance. Manchmal auch bei Punkkonzerten.

B.B.B.
B.B.B.
Foto: T. Knorr
Trish
Foto: T. Knorr
Peter Plum
Foto: T. Knorr

J.D.: „Was waren deine Eindrücke?“
Trish: „Das Turtur war für mich (meistens) ein Club mit entspanntem Feierpublikum und einem tollen Team.“
Peter: „Vor allem waren die Leute sehr entspannt. Man konnte immer einfach mit allen reden. Da wurde der Laden selbst fast zur Nebensache. Wobei: Die Deko und die Lichtkonzepte waren teilweise echt krass!“
B.B.B.: „Ich fand den Ort cool, aber als ich im Finale war, hat der Moderator uns alle nochmal vorgestellt und bei jedem der anderen Teilnehmer:innen deren Buchveröffentlichungen mitgenannt. Als ich an der Reihe war, hat er mich gefragt: „Und wer bist Du eigentlich?“ Ich hab geantwortet: „Ich bin halt B.B.B., das ist mein vierter Slam-Auftritt, und ich mach das, weil es mir Spaß bringt.“ Das fand das Publikum sehr amüsant.

J.D.: „Was hat Dir besonders gefallen?“
Trish: „Trotz einer steten Entwicklung vom kleinen Insel-Club zu einem Geheimtipp der Hamburger Techno-Szene hat das Turtur immer den Wohnzimmercharme behalten.“
Peter: „Die Leute. Ich habe mich dort immer sicher gefühlt. Zum Beispiel ist mal ein Typ mit einem Mädel vor die Tür gegangen. Als er wieder reingekommen ist, haben wir ihn gefragt, wo das Mädchen ist, weil sie schon ziemlich betrunken wirkte. Er hat keine klare Antwort darauf gehabt, also haben wir sie zusammen gesucht und draußen im Schnee liegend gefunden. Alle Gäste haben sich sofort um sie gekümmert. Dieses Erlebnis hat mir gezeigt, dass die Leute hier aufeinander aufpassen.“
B.B.B.: „Immer wenn ich da zufällig auf Parties gelandet bin, hatte ich das Gefühl, dass es alles Menschen sind, die öfter feiern gehen und ihre Grenzen kennen. Der Raum wirkte eingespielt, ein Community-Gefühl, kein random Feierpublikum. Auch die Lage am Wasser ist toll. Aber am meisten ist mir die Perestaltik-Performance in Erinnerung geblieben! Zunächst gab es Magen-Darm-Tee für alle und dann haben sich die Moderator:innen über ihre Verdauungsgewohnheiten unterhalten. Als nächstes haben wir dann alle zusammen Atemübungen gemacht, die die Verdauung fördern sollen. Ich finde es immer schön, wenn in einer Grupppe die Scham vor der Tür gelassen wird und alle diese Normen und Ketten, von was sich so schickt, ablegen. Im dritten Teil hat eine der Moderator:innen angefangen, Opern zu singen, wir sind ihrer Stimme gefolgt und dann saß sie da auf der Toilette und hat gesungen. Danach wurde ein Vorhang geöffnet, auf beiden Seiten des Ganges standen Toiletten. Es folgte ein Punkkonzert mit der Thematik Kacken und wir haben uns auf die Toiletten gesetzt und sie sind richtig abgegangen.“

J.D.: „Und was nicht so sehr?“
Trish: „Das diese Club-Saison die letzte war.“
Peter: „Die Klos waren oft echt widerlich. Die Preise kamen mir auch hoch vor, aber das kommt, weil ich davon verwöhnt war, im „Moloch“ zu arbeiten, wo wir als Mitarbeiter:innen nichts zahlen mussten. Zur Not konnte man im „Turtur“ gut Pfand sammeln und dann vom Erlös trinken.“
B.B.B.: „Es hat, soweit ich weiß, nie ein Awareness-Konzept gegeben. Das sehe ich kritisch.“

Timo Knorr
Timo Knorr
Foto: timoknorr.de/privat

Timo Knorr

lebt und arbeitet als Fotograf in Hamburg. Linn Schröder, Stefan Stefanescu und Dorothea Heinrich hatten großen Einfluss auf seine heutige Arbeit. 
Sein Fokus liegt auf der fotografischen Erforschung von Gruppen, die sich in einem Spannungsfeld der gesellschafltichen Konflikte der aktuellen Zeit bewegen. Ein kleiner Teil seiner Arbeit ist aktuell in der Wildwuchsbrauerei ausgestellt.
Für die Reihe „Tales of Turtur“ hat er alle Menschen fotografiert. WIR bedanken uns aufs Herzlichste!

J.D.: „Hast du Erinnerungen an besondere Momente?“
Trish: „Es gab viele tolle Momente und Erinnerungen, aber die bleiben privat. 😉
Peter: „Jeder Besuch im Turtur war auf seine Art besonders. Ich hab mich immer sicher gefühlt, weil Rassismus, Faschismus, Sexismus und Homophobie dort nicht geduldet wurden.“
B.B.B.: „Neben der Peristaltik natürlich der Poetry-Slam, bei dem ich aufgetreten bin. Kurz danach habe ich damit aufgehört, weil mir die Szene zu oberflächlich war und ich Angst hatte, genauso so ein „Buchdude“ zu werden, der immer wieder die gleichen Texte macht, genau gleich aussieht etc., weil es ankommt und kapitalbringend ist. Ich wollte den Gedanken an Geld nicht mit drin haben, es war einfach Kunst, die ich schaffen musste.“

J.D.: „Was hat das Turtur für dich bedeutet?“
Trish: „Das Turtur war mein Lieblingsclub mit Wohnzimmeratmosphäre.“
Peter: „Entspannung, Socializing, Feiern.“
B.B.B.: „Für mich war das ein Partyort, an dem ich wohl gefühlt hab, an dem ich immer zufällig und nicht geplant gelandet bin. Aber genau das war die Bedeutung des Turturs für mich: Ein Arschtaschenclub, der immer für mich da war.“

J.D.: „Wie geht es Dir mit Monas Entscheidung?“
Trish: „Ich kann Monas Gründe zwar vollkommen nachvollziehen, aber dass wir den einzigen Club auf der Insel verlieren, ist sehr schade. Und natürlich bin ich traurig darüber, meinen Lieblingsclub zu verlieren. Aber zum Glück kann ich dort ja in Zukunft immer noch Pizza genießen.“
Peter: „Geht mir genauso. Ist zwar echt schade, aber, mein Gott, dann fährt man halt woanders hin. Ich freue mich auf die Pizza!“
B.B.B.: „Ja schade. Er wird mir fehlen.“

J.D.: „Wo wirst du jetzt hingehen?“
Trish: „Einen richtigen Ersatz habe ich mir noch nicht ausgeguckt aber aufgrund der Nähe bietet sich das Stellwerk in Harburg für mich an.“
Peter: „Das ist die große Frage. Es sollte auf jeden Fall etwas Neues in Wilhelmsburg eröffnet werden. Schon praktisch, wenn man zwischendurch nach Hause und wieder zurück laufen kann.“
B.B.B.: „Nirgendwohin. Manchmal ist da ja was auf dem Hof der Honigfabrik, da würde ich mal vorbei schauen. Ansonsten zu Parties in den Wohnprojekten des Viertels. Zum Techno-Feiern muss ich jetzt wohl ganz bis zum „Südpol“ nach Hammerbrook gehen.“

J.D.: Möchtest du noch irgend etwas anderes loswerden?
Trish: „Ich hoffe, es gibt weiterhin Tarifa an der Bar!“
Peter: „Ich wünsche Mona, dass die Pizzeria bald wieder öffnen kann und dann gut durchstartet.“
B.B.B.: „Ich freu mich, da bald mal eine Pizza zu essen und wünsche Mona und der Crew ganz viel Erfolg damit. Hoffentlich wird es vielleicht doch nochmal eine kleine, kuschelige Party geben, bei der man das alles wieder ein bisschen aufleben lassen kann!“

In der nächsten Woche: Sarah (Organisatorin und DJ)

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Jenny Domnick

Als freiberufliche Texterin und gesellschafts-politisch aktive Person ist sie viel im Internet unterwegs, unternimmt aber auch gerne Streifzüge am und im Wasser. Wenn's pladdert, müssen ihre Freund*innen als Testesser*innen für ihre Hobby-Kochkünste herhalten.

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