Gemeinnützigkeit für den Non-Profit-Journalismus

30 Jahre Wilhelmsburger InselRundblick – das sind auch 30 Jahre Kampf ums Geld. Damit WIR weiter aus dem Stadtteil für den Stadtteil berichten können, muss das Gemeinnützigkeitsrecht reformiert werden

Ein Schreibmaschinenband. Auf einem Blat Papier steht "Rechtssicherheit gemeinnütziger Journalismus"

Wer den Wilhelmsburger InselRundblick regelmäßig liest oder bei der Podiumsdiskussion im Rahmen der Wochen der Pressefreiheit dabei war, dem ist es schon aufgefallen: Neuerdings schreiben und reden WIR viel über unseren Wunsch, unseren Verein als gemeinnützig anerkennen zu lassen. Außerdem rufen wir unter vielen Artikeln dazu auf, uns finanziell zu unterstützen. Beides hängt eng zusammen.

Wozu brauchen der Wilhelmsburger InselRundblick und auch andere Lokalmedien die Gemeinnützigkeit?

Bisher haben sich (für die Leserschaft kostenlose) Lokalmedien vor allem über Anzeigen-Schaltungen finanziert. Auch WIR konnten damit viele Jahre lang die Druckkosten für den InselRundblick stemmen. Allerdings wollten WIR nie ein „Anzeigenblatt” sein, in dem redaktionelle Beiträge fast verschwinden. Außerdem ist die Anzahl der Einzelhändler*innen und Gewerbetreibenden in einem Stadteil naturgemäß begrenzt. Damit war es auch in unseren Printzeiten immer wieder notwendig, Fördermittel, z. B. aus dem Bezirk Hamburg-Mitte oder den Quartieren zu beantragen. Dazu haben WIR glücklicherweise treue Stammleser*innen, die uns mit einer (Förder-)Mitgliedschaft unterstützen.

Eine Karte von Deutschland mit einer Infografik
Hamburg hat immerhin vier Tageszeitungen, Wilhelmsburg außer dem WIR aber nur den „Neuer Ruf” und das Elbe-Wochenblatt (HVB/FUNKE), beides gedruckte Anzeigenblätter

In den letzten Jahren ist jedoch ein regelrechtes Zeitungssterben, insbesondere im kommerziellen Lokaljournalismus, zu beobachten. Die Gründe dafür sind vielfältig: Das lokale Gewerbe hat durch die Inflation und die Corona-Pandemie gelitten. Sie sparen als erstes an Ausgaben wie Werbung, zumal sie vor Ort bereits bekannt sind. Vor allem aber sind Alle daran gewöhnt, Inhalte kostenlos und aktuell im Netz zu finden. Auch WIR sind vor drei Jahren online gegangen, um mehr Menschen zu erreichen und uns die Druckkosten und Austrägerei zu ersparen.

Der InselRundblick ist zudem nicht gewinnorientiert. Trotzdem kostet der Betrieb und die Produktion des WIR Geld. Am teuersten sind die Honorare für unsere Redaktionsleitung (ohne die das ganze Projekt gefährdet wäre), die Steuerberatung und die Administration der Website. Schließlich müssen Freiberufler*innen auch von irgendwas leben.

Dazu kommt die Raummiete für die Redaktionssitzungen, auch wenn wir in der Honigfabrik zu sehr günstigen Bedingungen untergekommen sind. Es fallen außerdem Büro- und Anschaffungskosten für z. B. technisches Equipment oder Programme und Gebühren, etwa für den Provider, an. Alle anderen Mitarbeiter*innen arbeiten ehrenamtlich und komplett ohne Vergütung beim WIR.

Eine Bezahlschranke (eine sogenannte Paywall) für unsere Artikel kommt für uns aber nicht in Frage, denn wir wollen ja gerade, dass alle Menschen, egal welches Einkommen oder welche Voraussetzungen sie haben, sich über Dinge informieren können, die bei uns auf Wilhelmsburg und der Veddel passieren. Das ist unser Anspruch.

Bekommt ein Verein die Gemeinnützigkeit anerkannt, erhält er Steuerbegünstigungen, besseren Zugang zu staatlichen Zuschüssen und Stiftungstöpfen, darf Spendenbescheinigungen ausstellen und hat die Möglichkeit, steuerfreie Aufwandsentschädigungen zu zahlen (z. B. Ehrenamts- und Übungsleiterpauschale). WIR könnten also zum Beispiel eine Spendenkampagne über eine Online-Plattform starten, allen Mitarbeiter*innen ein wenig finanziell für ihre tolle Arbeit danken und versuchen, Honorare über Fördertöpfe zu bekommen. Außerdem stellen viele Anbieter (z. B. Bezahldienste oder Software-Unternehmen) ihre Dienste für gemeinnützige Vereine kostenlos zur Verfügung.

Warum ist Lokaljournalismus nützlich für die Allgemeinheit?

Laut Absatz 1 des §52 der Abgabenordnung im Steuerrecht „verfolgt [eine Körperschaft] gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern.” Denken Sie jetzt dasselbe wie WIR zunächst?

Ist doch klar: WIR fördern die Allgemeinheit, in unserem Fall alle Menschen auf Wilhelmsburg und Veddel (immerhin über 60.000 Einwohner*innen) dadurch, dass wir ihnen die Möglichkeit geben, sich über die Dinge zu informieren, die direkt vor ihrer Haustür passieren und sich darüber hinaus daran zu beteiligen. Und zwar kostenlos und nicht gewinnorientiert. Mitmachen darf bei uns auch jede*r. Kein anderes Medium vor Ort bietet solch vielfältige Möglichkeiten, eigene Aktivitäten, Meinungen und Themen der Öffentlichkeit vorzustellen.

Screenshot der AO §52 mit einem daraufzeigendem Pfeil, neben dem steht "gemeinwohlorientierter Journalismus"
Als eigenständiger Förderungsgrund taucht Journalismus nicht in der Abgabenverordnung auf.

Allerdings reicht es nicht, gemeinnützige Dinge zu tun – die Gemeinnützigkeit muss auch anerkannt werden – und zwar vom jeweils zuständigen Finanzamt. Nur dann kann der Verein auch entsprechend von den Privilegien profitieren, die mit der Anerkennung der Gemeinnützigkeit verbunden sind. Dafür muss der Verein mindestens einen Zweck von derzeit 26 Förderungsgründen verfolgen (und es auch in der Satzung bestimmen).

Genannt wird da beispielsweise die Förderung von Sport, Pflanzenzucht oder Kunst- und Kultur. Journalismus taucht in diesem Katalog nicht auf. Darum müssen gemeinnützige Medien wie „Der Volksverpetzer” in Deutschland in einer Grauzone agieren, Medienhäuser wie das Recherchenetzwerk „CORRECTIV” oder wie die spendenfinanzierte „Kontext:Wochenzeitung” haben die Gemeinnützigkeit über andere Zwecke anerkannt bekomen: Sie bieten Bildungsprogramme, firmieren als Bildungsträger – andere Redaktionen berufen sich auf Kunst- und Kulturförderung oder den Verbraucherschutz. Auch WIR haben das diverse Male versucht – bisher ohne Erfolg. Diese Förderung durch die Hintertür ist zudem risikoreich – Rechtssicherheit bietet sie nicht und die Gemeinnützigkeit kann jederzeit entzogen werden.

Dabei ist die demokratieförderne Wirkung von Journalismus eigentlich allen bekannt: Als „Vierte Macht im Staat” soll er Bürger*innen sachlich, kritisch und unabhängig ermöglichen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Demokratie lebt von Mitgestaltung und Diskussion. Gerade das eigene lokale Umfeld bietet die Möglichkeit, politische Mitgestaltung auszuprobieren. „Spenden und Zuwendungen von Stiftungen können journalistische Projekte möglich machen, die sich am Markt nicht mehr finanzieren lassen. Gemeinnütziger Journalismus kann wirken, wo der Markt versagt: In immer mehr Landkreisen verschwinden die Lokalzeitungen, entstehen Presse- und Nachrichtenwüsten. Dort wo Lokalzeitungen fehlen, wächst Vereinzelung, steigt Resonanz für Propaganda und ‚Fake News‘. Die Arbeit von Redaktionen vor Ort stärkt hingegen den Zusammenhalt von Gesellschaft und demokratische Meinungsbildung”, heißt es dazu auf der Website von „CORRECTIV”.     

Umsetzung im Bundestag lässt auf sich warten

Deshalb setzen sich seit langem diverse Akteure, wie das „Forum Gemeinnütziger Journalismus“, ein Bündnis aus Medienprojekten wie netzpolitik.org oder CORRECTIV, Zusammenschlüssen von Journalist*innen wie Netzwerk Recherche oder Hostwriter, Gewerkschaften wie der Deutsche Journalistenverband (DJV) oder dju in Ver.di aber auch Stiftungen wie die Rudolf Augstein Stiftung für eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts ein. Das Forum hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Aufnahme des gemeinnützigen Journalismus in den Katalog der gemeinnützigen Tätigkeiten vorsieht. Dieses Ziel ist auch in der Koalitionsvereinbarung der Ampel-Regierung festgehalten. Dieser Schritt soll helfen, die Medienvielfalt in Deutschland zu bewahren, die Kritik- und Kontrollfunktion des Journalismus zu stärken und so die öffentliche Meinungsbildung in der Demokratie zu beleben. Auch WIR sind seit kurzer Zeit dort Mitglied.

„Nicht-kommerzielle Angebote, die unsere Medienvielfalt stärken – zum Beispiel im Lokaljournalismus, im Investigativ- oder grenzüberschreitenden Journalismus – brauchen endlich Rechtssicherheit“

Tabea Grzeszyk, Vorsitzende des Forums und Geschäftsführerin von Hostwriter

Weitere Fürsprecher sind „Reporter ohne Grenzen”, die sich mit einem offenen Brief an die medien- und finanzpolitisch zuständigen Bundestagsabgeordneten gewandt haben, ebenso wie Vertreter*innen von Universitäten und Wissenschaftler wie Leif Kramp und Stephan Weichert, die eine Studie zum Thema für die Otto-Brenner-Stiftung durchgeführt haben.

Auf der Petitionsplattform inn.it unterschrieben mehr als 50.000 Menschen für den Gesetzesentwurf, die Petition wurde im Juli an die Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, übergeben, die ihre Unterstützung für die Ziele der Petition bekundete. Auch die medienpolitischen Sprecher*innen von SPD, Grünen und FDP haben sich für mehr Rechtssicherheit von gemeinnützigem Journalismus ausgesprochen.

Im September ’24 versuchten das Finanzministerium und Roth daher, eine untergesetzliche Regelung zu schaffen, die vorsah, dass die Finanzämter im Einzelfall journalistischen Medien die Gemeinnützigkeit über die „Förderung der Bildung” zugestehen können. Doch dieser Anwendungserlass scheiterte – am Widerstand einiger Bundesländer. Deshalb sollte die Aufnahme von gemeinwohlorientiertem Journalismus als eigenständiger Förderungsgrund in den Förderkatalog erneut Anfang November diskutiert werden – doch der Koalitionsbruch hat dieses Vorhaben anscheinend erneut gestoppt. Bisher konnte dafür keine Mehrheit im Bundestag erreicht werden. Der Abgeordnete für unseren Wahlkreis, Metin Hakverdi (SPD), antwortete auf die Anfrage diverser Bürger*innen auf Abgeordnetenwatch.de am 2. Oktober zur Causa:

„Bisher ist noch nicht klar, über welchen Weg der Journalismus am besten gestärkt werden kann. Gesetzliche wie auch untergesetzliche Lösungen werden derzeit diskutiert. Ich zweifle allerdings, dass es vor der nächsten Wahl dafür eine Mehrheit im Bundestag geben wird.”

Wer ist dagegen, und warum?

Widerstand gibt es nicht nur aus einzelnen Bundesländern: Kommerzielle, große Verlage befürchten einen Wettbewerbsnachteil. So äußerte der Zeitungsverlegerverband BDZV, mit der Gemeinnützigkeit werde ein „Zwei-Klassen-Journalismus” ertabliert, der den gewinnorientierten Journalismus diskriminiere. Er ruft stattdessen nach direkten Staatshilfen für den Erhalt der Zustellnetze und/oder die Umstellung auf digitale Presse. Auch Christian DuMont Schütte, Vorsitzender des Zeitungsverlegerverbands Nordrhein-Westfalen (ZVNRW), sprach bei der Jahreshauptversammlung im Juni von einer möglichen Wettbewerbsverzerrung. Für Verlage, die zurzeit viel Geld in digitalen lokalen Journalismus steckten, sei der Vorstoß der Landesregierung „eine weitere Belastung auf dem Weg zu neuen Geschäftsmodellen“.

Der gemeinnützige Journalismus schafft jedoch gerade dort neue Angebote, wo Markt und Wettbewerb versagen, große Medienhäuser beispielsweise ihre Lokalangebote eingestellt haben. Anstatt Vielfalt sind „Einzeitungskreise” in vielen Regionen verbreitet, gerade im Lokalen fehlt oft eine ausgeglichene Berichterstattung, wie etwa eine neue Gemeinschaftsstudie von Hamburg Media School, Transparency International & Netzwerk Recherche, der „Wüstenradar”, zeigt. Und wo kaum noch ein Markt vorhanden ist, kann auch nichts verzerrt werden. Bürger*innen können mit ihren Spenden Projekte ermöglichen, die es sonst nicht geben würde. Im Gegenteil: Die Einführung der Gemeinnützigkeit wäre – anders als Subventionen – der kleinstmögliche Eingriff in die freie Marktwirtschaft.

Ein weiterer Kritikpunkt an dem Vorhaben, beispielsweise vom Online-Portal „Übermedien“, richtet sich gegen die Annahme, stiftungs- und abonnentenfinanzierter Journalismus sei unabhängiger als solcher, der von Investoren kapitalisiert wird. Durch Zuwendungen von Stiftungen und Spender*innen wird die redaktionelle Unabhängigkeit jedoch nicht in Frage gestellt, auch er orientiert sich am Pressekodex des Deutschen Presserats und muss sich zusätzlich gegenüber der Leserschaft beweisen, weil diese das Medium mit ihren Spenden erst möglich macht. Relevanz und Erfolg von gemeinnützigen Redaktionen beruhen auf ausgewogener Berichterstattung und Unabhängigkeit.

Außerdem zweifelt „Übermedien” daran, dass das Spenden-Modell funktionieren könnte: „Nur weil in Zukunft mehr Redaktionen Geld von Stiftungen und aus Privatspenden einwerben dürfen, heißt nicht, dass ihnen das auch gelingt. Viele Menschen leisten sich schon jetzt kein Zeitungsabo mehr – wie groß ist die Chance, dass sie stattdessen gegen Spendenquittung Geld überweisen?”, fragt ihre Redakteurin Annika Schneider. Funfact: „Übermedien” finanziert sich selbst über Abonnements und auch die Tageszeitung „taz” ist damit erfolgreich.

Auch die Unabhängigkeit der steuerlich begünstigten Medien vom Staat würde nicht unterlaufen, denn die Freiheit der Presse ist in Art. 5 des Grundgesetzes verbrieft. Bei der Überprüfung von Gemeinnützigkeit durch Finanzbehörden läge keine inhaltliche staatliche Einflussnahme oder ein Abhängigkeitsverhältnis vor. Würde Journalismus in die Abgabenordnung als gemeinnütziger Zweck aufgenommen, hätten Finanzämter v. a. die Satzung und gemeinwirtschaftliche Unternehmensführung zu prüfen.

Anders als von einigen Politiker*innen, wie zum Beispiel Stephan Stracke (CSU) behauptet, können gemeinnützige Redaktionen auch nicht zum Sprachrohr extremistischer Propaganda werden. Denn die Abgabenordung sieht vor, dass in solchen Fällen die Gemeinnützigkeit aberkannt werden würde. Das Bundesverfassungsschutzgesetz regelt, dass steuerlich begünstigte Organisationen keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen verfolgen, nicht auf Beobachtungslisten der Organe des Verfassungsschutzes stehen und auch nicht Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung unterstützen dürfen.

Problematischer dürften sich da schon die Vorgaben zur politischen Betätigung gemeinnütziger Vereine erweisen, die der Bundesfinanzhof in drei Entscheidungen festgelegt hat. Die AfD nutzt dies schon heute, um Vereine anzuzeigen. Doch dieses Thema erfordert einen weiteren Artikel.

Was können Sie tun?

Solange gemeinnütziger Journalismus nicht als Förderungszweck in die Abgabenordnung aufgenommen wird, können wir weiterhin nur hoffen, dass Sie, unsere Leserschaft, uns auch weiterhin ohne die Möglichkeit unterstützen, ihre Zuwendung steuerlich absetzen zu können. Jeder Euro zählt, damit Nachrichten, Hintergründe und Entwicklungen aus Wilhelmsburg und der Veddel nicht untergehen. Außerdem können auch Sie sich für eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts engagieren: Schreiben Sie ihrer*ihrem Abgeordneten, unterschreiben Sie die Petition auf inn.it oder unterstützen Sie das Forum gemeinnütziger Journalismus.

2 Gedanken zu “Gemeinnützigkeit für den Non-Profit-Journalismus

  1. Ein sehr gut recherchierter Artikel! Weiterhin viel Erfolg bei Euren Bemühungen um Gemeinnützigkeit.
    Ein Satz war doppelt geschrieben und 60 Millionen Einwohner*innen erscheint mir dann doch etwas hoch gegriffen:) 600000 wahrscheinlich. Liebe Grüße

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Jenny Domnick

Als freiberufliche Texterin und gesellschafts-politisch aktive Person ist sie viel im Internet unterwegs, unternimmt aber auch gerne Streifzüge am und im Wasser. Wenn's pladdert, müssen ihre Freund*innen als Testesser*innen für ihre Hobby-Kochkünste herhalten.

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