Das Prinzip Hoffnung – Die Veddel wünscht sich Anschluss und befürchtet Verdrängung

Am 24. Mai 2022 haben die Poliklinik Veddel, New Hamburg, „Veddel barrierefrei“ und Menschen aus der Nachbarschaft zur Diskussion im Café Nova eingeladen. Zu der Veranstaltung unter dem Titel „… und wann kommt die Drogerie auf die Veddel?“ kamen rund 30 Menschen, um sich über die Entwicklung der nördlichen Veddel und des Kleinen Grasbrooks auszutauschen.

Damit hatten die Veranstaltenden nicht gerechnet: das Café neben der Kirche in der Wilhelmsburger Straße war so gut gefüllt, dass zusätzliche Stühle herbeigeschafft werden mussten. Von Anfang an füllten rege Gespräche den Raum. Zunächst gaben Andreas vom „Café Nova“ und Kerstin von „Veddel barrierefrei“ mit einer visuellen Präsentation einen Überblick über den aktuellen Stand der Rahmenpläne der Stadtentwicklung für den sogenannten Stadteingang. Bisher ist lediglich die Nutzung der 50 Hektar (ca. 70 Fußballfelder) großen Fläche rechtsgültig beschlossene Sache. Die genaue Umsetzung wird erst im „B-Plan“ festgelegt:

Abb. New Hamburg

Ambitionierte Pläne und widerständige Anwohner:innen

Der Kleine Grasbrook liegt zwischen der nördlichen Veddel und der S-Bahnstation Elbbrücken

Auf dem Kleinen Grasbrook sollen etwa 3.000 Wohnungen entstehen, ein Drittel davon gefördert. Außerdem soll sich Dienstleistungsgewerbe ansiedeln, das 16.000 neue Arbeitsplätze schaffen soll. Dazu sind Grünflächen, Schulen und KITAs geplant, die U4 soll bis zur Veddel verlängert, die beiden Inseln mit einer Brücke oder einem Tunnel verbunden werden, auch ein Nachbarschaftszentrum soll entstehen. Nach den bisherigen Plänen soll es zusammen mit einem Einkaufszentrum und den Veddeler Bücherhallen in einem sogenannten Mobility Hub am Veddeler Bahnhof unterkommen. Dort soll es zukünftig leicht sein, vom Fahrrad oder Auto in den ÖPNV umzusteigen. Der Baubeginn ist um 2025 geplant, Dauer: etwa 20 Jahre. Allerdings können auch die Öffnung des ehemaligen Freihafens 2013, die Erhöhung der Deiche und die Umleitung des Verkehrs als Vorbereitung für die Bauplanungen gesehen werden. Das Deutsche Hafenmuseum soll einen festen Standort an der Spitze des neuen Stadtteils Grasbrook bekommen, ebenso wie das Lagerhaus G als Gendenkort gestaltet werden (WIR berichteten).

In die überregionalen Schlagzeilen hat es bisher vor allem die Veddeler Fischgaststätte (WIR berichteten) geschafft, denn die Traditions-Gastronomie soll nach den Plänen des Senats auf den Grasbrook umziehen. Betreiber Christian Butzke will das aber nicht, eine laufende Petition gegen den Schritt haben bisher über 20.000 Menschen unterzeichnet. Denn nicht nur ist der Spezialbratofen aus den 1920er Jahren nicht umzugstauglich; die hier geplanten Wohn- und Gewerberiegel sind zusammen mit dem lauten und dreckigen LKW-Verkehr, der an selber Stelle weiter fließen soll, für die Veddeler:innen kaum vorstellbar.*

Veddeler Fischgaststätte
Veddeler Fischgaststätte
Foto: Galerie- Veddeler Fischgaststätte

Denkmal- und Naturschutz werfen Fragen auf

Zollanlage in der Tunnelstraße
Foto: © Ajepbah

Unter Denkmalschutz stehen in dem Veddeler Entwicklungsgebiet, das auf circa 13 Hektar sieben bis acht Grundstücke sowie Verkehrsflächen mit unterschiedlichen Besitzverhältnissen umfasst, die alten Zollanlagen und der Rundbunker bei der Aral-Tankstelle am Veddeler Marktplatz. Die Stadt favorisiert für erstere zwei Entwürfe: Entweder sollen die Rampen in einen großen Innenhof integriert oder zu beiden Seiten von Gebäuderiegeln flankiert werden. Für den Marktplatz existieren Bedenken für den Naturschutz, außerdem braust der Verkehr hier vorbei, so dass eine Bebauung fraglich ist.

Nun waren die Gäste der Veranstaltung aufgerufen, Nachfragen zu stellen und sich danach in mehreren Gruppen an Tische zu setzen. Dort konnten sie, begleitet durch je eine Moderation, ihre Gedanken und Meinungen zu den Planungen auf großen Plakaten festhalten: Was findet ihr positiv und was negativ an den Plänen? Was braucht die Veddel? Was sind eure Wünsche?

Die Nachfragen ergaben, dass der „Penny“, bisher Veddels einziger Vollversorger, ebenfalls in den Mobility Hub umziehen soll. Dem Betreiber REWE gehört allerdings das bisherige Grundstück. Einverstanden mit den Plänen ist die Gruppe nicht. Auch das Hotel nebenan müsste seinen Platz für die neuen Gebäude räumen.
Einige Veddeler:innen wollten wissen, was aus den Versprechen des Bezirks geworden sei, Wohnungen und Werkstätten vorzugsweise an sie zu vermieten. So sollten die langjährigen Mieter:innen größere Wohnungen bekommen und die Wege zu ihren Arbeitsplätzen verringert werden. Doch davon hat niemand etwas gehört, seit der Senat die Planungshoheit vom Bezirk übernommen hat (WIR berichteten).

So könnte der geplante Mobility Hub einmal aussehen.
Abb. Hochbahn

Die Veddeler:innen wollen mitbestimmen

Am Ende stellten die Gruppen ihre Plakate dem Publikum vor. Positiv fanden die Veddeler:innen, dass „überhaupt mal was passiert“, denn auf der Veddel fehlt es an vielem: Größeren Wohnungen, Räumen für Vereine, Initiativen, Künstler:innen, einem sicheren Raum für die Bücherhalle, Grünflächen, Schulen, KITAs, einer Moschee, einem Tanzlokal und und und. Trotzdem lassen sich die Befürchtungen nicht vom Tisch wischen: Wird es wirklich eine sinnvolle bauliche und vor allem auch soziale Verbindung zwischen den zwei Stadtteilen geben? Oder wird die Veddel erneut vergessen?

Dafür bräuchte es nach Meinung vieler Gäste Gründe für die Bewohner:innen des Kleinen Grasbrooks, zur Veddel zu kommen. Aber auch eine Zusammenlegung der Schulbezirke, damit die Kinder sich kennen lernen und besuchen, wäre sinnvoll. Und werden die Veddeler:innen am Ende von steigenden Mietpreisen verdrängt, sobald ihr Stadtteil attraktiver wird? Besser wäre es, die Preisbindung der Sozialwohnungen nicht auslaufen zu lassen, und, anstatt nur ein Drittel, 50 Prozent dem freien Markt zu entziehen. Wo sollen die 16.000 Arbeitenden ihre Autos abstellen und wann gibt es endlich funktionierende Fahrstühle am nördlichen S-Bahnhof? Eine große Post, damit nicht jedes größere Päckchen aus Rothenburgsort abgeholt werden muss, eine Bank und ein Abenteuerspielplatz stehen ebenfalls auf der Wunschliste. Und wo ist der Schutz vor dem Straßenlärm? Andreas fasst es so zusammen: „Das Prinzip ist momentan Hoffnung, aber so richtig glauben wohl die wenigsten an eine gute Entwicklung für die Veddel.“

Wie geht es weiter?
Am Ende sammelten die Gäste Vorschläge, wie es mit der Bürger:innenbeteiligung weiter gehen soll.
Foto: J. Domnick

Damit ihre Fragen, Vorschläge und Kritik nicht verhallen, wollen sich die Bewohner:innen und Initiativen weiter vernetzen und am Ende eigene Forderungen an die Stadt stellen. Wünschenswert wäre ein echtes Mitspracherecht der Veddeler:innen wie mit der „Planbude“ auf St. Pauli. Denn die bestehenden Strukturen wurden bisher nicht in den Prozess eingebunden.

*Am 3. Juni veröffentlichte der Hamburger SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf auf Twitter die Nachricht, die Veddeler Fischgaststätte sei gerettet. Die Hamburger Baubehörde habe zugesagt, dass die Fischgaststätte an ihrem bisherigen Standort erhalten bleibe. „Eine Verlegung hätte den weiteren städtebaulichen Entwicklungsprozess belastet, das wollten wir nicht“, sagte Kienscherf der „Hamburger Morgenpost“. Quelle: NDR.de

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Jenny Domnick

Als freiberufliche Texterin und gesellschafts-politisch aktive Person ist sie viel im Internet unterwegs, unternimmt aber auch gerne Streifzüge am und im Wasser. Wenn's pladdert, müssen ihre Freund*innen als Testesser*innen für ihre Hobby-Kochkünste herhalten.

Alle Beiträge ansehen von Jenny Domnick →