Bei einer Kundgebung des Bündnisses „WiWa bleibt!“ kündigte sich eine kleine Sensation an: Die neue Umweltsenatorin Katharina Fegebank versprach, „zeitnah“ in den Wilden Wald zu kommen und mit den Waldschützer*innen zu sprechen

Als die Umweltsenatorin in ihrem elektrischen Dienstwagen vorfährt, sind die Demonstrant*innen schon da: Gut 40 Menschen von Umweltinitiativen aus dem Hamburger Süden haben auf dem Parkplatz „Kärntner Hütte“ an der Cuxhafener Straße Banner aufgehängt, einen Tisch mit Infomaterial aufgebaut, schwenken „WiWa bleibt!“-Fahnen und halten Schilder in die Luft. Sie protestieren hier, am Fuß der Harburger Berge, gegen die Rodung des Wilden Waldes im Norden Wilhelmsburgs für ein Neubaugebiet. Katharina Fegebank möchte an diesem Ort gleich zu einem offiziellen Waldspaziergang mit geladenen Teilnehmer*innen aus Politik, Försterei und Umweltverbänden aufbrechen, unter der Fragestellung: „Krank oder vital – wie geht es dem Hamburger Wald?“
Kurzer Schlagabtausch …
Doch zunächst geht Fegebank auf die Demonstrierenden zu, begrüßt sie, nimmt das Anliegen zur Kenntnis. Schnell sind Senatorin und Waldschützer*innen in einen kleinen Schlagabtausch verwickelt. Gerade ist bekannt geworden, dass die Umweltbehörde einer vorgezogenen Rodung von 800 Quadratmetern des Wilden Waldes aller Wahrscheinlichkeit nach zustimmen wird. Dabei handelt es sich um einen Flächentausch mit einer am östlichen Waldrand ansässigen Firma (s. Kasten unten). Umso mehr werfen die Waldschützer*innen der Senatorin und ihrer Behörde nun Doppelmoral und Greenwashing vor: „Die BUKEA lädt zum PR-Waldspaziergang und macht sich angeblich Sorgen um die Vitalität und Gesundheit der Hamburger Wälder. Gleichzeitig will sie die Rodung im Wilden Wald genehmigen. Da ist ,krank oder vital‘ dann doch sowieso egal“, sagen sie.
… und dann ein Angebot
Die Zeit drängt. Gleich soll die offizielle Waldbegehung starten, die geladenen Gäste sind mittlerweile vollständig eingetroffen. Da sagt Katharina Fegebank kurzerhand zu, in naher Zeit den WiWa zu besuchen und sich die Argumente des Bündnisses „WiWa bleibt!“ in Ruhe anzuhören. Schnell drückt ihr jemand noch den Flyer für die kommende Mahnwache im Wald (26.9. bis 5.10.) in die Hand – den sie allerdings gleich an ihre Staatssekretärin Stefanie von Berg weitergibt – dann wird wieder einige Beinlängen Abstand zwischen die zwei Gruppen gebracht. Hier die Politiker*innen, Förster und Verbandsvertreter*innen – dort die Waldschützer*innen.
Der Harburger Bezirksamtsleiter Christian Carstensen hebt zur Begrüßung an, Malte Siegert, der NABU-Vorsitzende, wechselt schnell noch demonstrativ die Seiten und stellt sich mitten in die vorderste Reihe der Demonstrant*innen. Eine gute Geste, die zeigt: Hamburgs größter Naturschutzverband steht hinter den Waldschützer*innen (WIR, 30.1.24), ebenso wie die anderen Umweltverbände. Nachdem noch die Worte „Baum“, „Emotionalisierung“, „Wohnungsbau“ und der unvermeidliche „Zielkonflikt“ gefallen sind, sagt Stefanie von Berg energisch: „Jetzt möchten wir dann aber wirklich nur die geladenen Teilnehmer zur Begehung bitten“ und dann zuckeln sie los und bald sind die Protestierenden auf dem Parkplatz wieder unter sich.
Die „Waldretter*innen“ sind trotz allem gesprächsbereit
Noch am selben Abend verständigt sich das Bündnis „WiWa bleibt!“ auf eine Vorgehensweise bezüglich des Senatorinnenbesuchs, und bereits am nächsten Tag geht eine freundliche Einladung mit der Bitte um einen konkreten Terminvorschlag an die Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrar (BUKEA) raus. „Da nehmen wir Frau Fegebank beim Wort“, sagt Waldretter Jürgen, „und wir erwarten, dass es eine argumentative Begegnung auf Augenhöhe wird.“ Natürlich ist den Aktiven bewusst, dass die Entscheidung schon so gut wie gefallen ist – jedenfalls für die 800 Quadratmeter – und sie haben genug Erfahrung mit Politiker*innen-Gesprächen, um zu wissen, dass es den Verantwortlichen dabei meist nicht um das ehrliche Überprüfen ihrer Pläne geht, sondern um das bessere Verkaufen derselben und um die Befriedung eines Konflikts mit den Bürger*innen.
Hinzu kommt, dass die Grünen den WiWa-Aktiven bei der letzten Bürgerschaftswahl und der anschließenden Regierungsbildung übel mitgespielt haben: Im Wahlkampf sprachen sie sich definitiv für den Erhalt des Wilden Waldes und gegen den Bau des „Spreehafenviertels“ aus, legten dies sogar schriftlich in einem potenziellen Regierungsprogramm nieder – um dann in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD (wieder einmal) umzukippen und nun dem Bau des „Spreehafenviertels“ sogar Priorität einzuräumen, so steht es im Koalitionsvertrag, eine Aussage, der sich auch die bezirklichen Grünen anschlossen (WIR, 30.4.25). Dennoch: „Wir sind gesprächsbereit“, betont Waldretter Horst. „An uns soll es nicht liegen! Wenn es auch nur einen Funken Hoffnung auf einen Bewusstseinswandel beim Gegenüber gibt, dann sprechen wir.“
Das Bündnis „WiWa bleibt!“ prüft außerdem rechtliche Schritte für den Fall, dass die Fällgenehmigung für die 800 Quadratmeter Wilden Wald tatsächlich erfolgt. Zudem werden die Waldschützer*innen den WiWa mit Beginn der Rodungssaison am 1. Oktober wachsam im Blick behalten – der Mahnwache kommt somit in diesem Jahr eine hochaktuelle Bedeutung zu.

Abb.: Landschaftspflegerischer Begleitplan für die Maßnahme/„EGL GmbH“
Tauschhandel oder Salamitaktik?
Die Begründung für den Antrag auf Rodung von 800 Quadratmetern Wildem Wald ist verworren
Zu Beginn des Jahres erreichte die Initiative Waldretter*innen Wilhelmsburg aus sicherer Quelle die Information, dass eine an den Wilden Wald grenzende Firma ihr Betriebsgelände erweitern und dafür eine angrenzende Teilfläche des Waldes roden wolle. Nachforschungen der Waldretter*innen ergaben, dass das stimmt.
Mittlerweile hat der Vorgang seinen offiziellen Weg genommen und steht kurz vor der Entscheidung. Es handelt sich um die Firma „BM Bau“ an der Schlenzigstraße 16, die sich um rund 800 Quadratmeter in den Wilden Wald hinein vergrößern möchte. Das Waldstück gehört der Stadt Hamburg, es wird vom Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) verwaltet. Das Interessante: Der LIG bietet es der Firma im Tausch gegen einen kleineren Zipfel ihres Betriebsgeländes an.
In der Standortbezogenen Vorprüfung des Einzelfalls heißt es zur Begründung für das Vorhaben: „„Vom Eigentümer [der Firma ,BM Bau‘] wird eine Erweiterung des Betriebsgeländes gewünscht, weil das Unternehmen stark gewachsen ist und dringend Lagerfläche für Baumaschinen und Baumaterialien benötigt.“

Wenn das alles wäre, müsste eigentlich die Firma der Stadt das Gelände abkaufen und dann die Rodungs- und Baugenehmigung beantragen. Es ist aber anders. Einige Zeilen vorher, gleich zu Anfang, heißt es nämlich: „Der LIG möchte dem Eigentümer des benachbarten Flurstücks 7940 [,BM Bau‘, Betriebsgelände] diese Teilfläche zum Tausch gegen die westliche Spitze seines
Grundstücks anbieten.“ Warum? Weil die westliche Spitze des Firmengeländes für das Bauvorhaben „Spreehafenviertel“ (B-Plan Wilhelmsburg 102) benötigt wird! In die Bebauungspläne für das „Spreehafenviertel“ ist der Flächentausch sogar schon eingezeichnet.
Nun ist aber das „Spreehafenviertel“ noch gar nicht genehmigt! Das Bebauungsplan-Verfahren läuft noch. Da stellt sich dann schon die Frage, worum es hier eigentlich geht: Wirklich „nur“ um eine schon länger gewünschte Vergrößerung eines Betriebsgeländes? Oder ist es doch eine Salamitaktik zur Flächenfreimachung für das Spreehafenviertel, indem man lauter kleine Teilstücke des Waldes unter fadenscheinigen Begründungen zu roden beginnt?
So oder so, die Umweltverbände aus der AG Naturschutz kommen in ihrem mehrseitigen Gutachten (das der Redaktion vorliegt) zu dem Schluss: „Die Rodung der o. g. Teilfläche des Wilden Waldes in Wilhelmsburg ist konsequent abzulehnen. [ … ] Generell sind die Planungen im Bereich des Wilden Waldes ein hochumstrittenes Politikum. Insofern wird von uns auch eine Salamitaktik zur Beseitigung des Waldes strikt abgelehnt.“