Een plattdüütschen Vertellen vun Klaus Müller und Tommy Smidt
De Flegers in den Krieg in Kabul weern nich dat Leegste. De meist Tied weern de Sirenen fix noog un de Lüüd kunnen in de Kellers lopen un doar aftöven, bit dat wedder vörbi weer. Dat Slimmste weer jümmers de Alldag. Jedereen mutt sien Arbeit nagahn, mutt inköpen, mutt op de Feller, mut Water holen, de Kinner na de School bringen un wedder afholen. Un doarbi ward de Angst jümmers grötter vör dat, watt woll komen schull, dat, watt du nich weetst. Ward dat wedder een Anslag geven? Ward de Taliban to uns hier komen un een vun uns afholen? As islamische Predigers verkleed, den düstern Blick fast fründlich?
Walid weer jüst 18 Johr old worrn, as he sick op den Weg no siene Verwandten maakt. Unkel Amir sorg för em, siet sien Öllern vör twee Johrn na Hamborg utknepen weern. As he fast för dat half tweie Huus ankummt, stoppt een Toyota Pickup blang em: Taliban! Twee vun jem jumpt ruut ut dat Auto.
„Du must nu bi dat Befreen vun uns Land mithölpen! Pack dien Saken tohoop! Morgen fröh Klock veer holt wi di af un bringt di in dat Camp to´n Utbillen. Du hest blots düsse Wahl: strieden or glieks hier starven.“
Walid kunn sick nich rögen. He wüsst genau, wat dat to bedüden hett. För em geev dat blots een eenzig Utweg: he müss noch in düsse Nacht flüchten.
Unkel Amir sorg för den ersten Afsnitt vun den Transport bit in den Iran. He geev em Adressen in Teheran, in Izmir un – ja ok München. He verkloar em Hawala, dat geheem Banknetzwerk, mit dat he sick in Europa finanziell över Water hollen kunn. För een Wiel.
Meern inne Nacht hol em een Taxi af un bring em an de iranische Grenz. Later marscheert he mit noch twindig Anneren los, dör Hitt un Stoff. Na twee Weeken vull vun Bang, Hunger, Missen un Gewalt sluten sien Öllern em in Hamburg överglücklich in de Arms.
Dat is nu söss Maande her. Dat beropen Hamburger Smuddelweer is nu in ‘n Dezember inne gang. Walid will sick den so nöömt Wiehnachtsmarkt bekieken.
Dat Schuven un Drängen vun de Minschen seggt em erst nich ganz to. Dat rüükt hier ok allens so frömd. Man de veelen Besökers sünd all good to Weg, so dat he nich foorts wedder trüüch geiht. An ‘t Enn vun den Markt is dat een beten kommodiger. Doar staht de Minschen mit een bunten Tonbeker inne Hand, ut den dat dampt. Neeschierig geiht he neger ran an den Stand.
„Na mien Jung, wullt du ok ‘n lütten Sluck?“ Een ölleren Mann sitt mehr as dat he steiht op een Hocker un holt em een Beker hen. Över sien griesen Vullboart plinkern em twee lütte Oogen kregel an. „Ik geef een ut! — Spendeern nennt man dat woll!“
Walid hett nix verstahn un grient blots fründlich. Sien Lehrer hebbt jümmers seggt, he kunn good annere Spraken liehrn un in Düütsch kunn he ok bald sien C1 Proov maken, aver Platt …?
„Ach so, jo, versteihst woll keen Platt! Möchtest du ein Getränk?“, översett nu de Ole. Schenierlich wiest Walid op den bunten Beker: „Alkohol?“ De Ole mutt nu erst mal ornlich Lachen: „Kloar. Bist woll ‘n Moslem, wat? Dat gifft den Punsch hier ok ohn Alkohol! Also: no Alkohol please!“
Un foorts langt he Walid een Beker röver un nu slabbert all beid an eern Punsch. Dat warme Tüüch maakt Walid ok ohn Alkohol driest un he stellt sien erste Fraag: „Bist du Kapitän?“, doarbi wiest he op de Mütz vun den Olen.
„Nich ganz, mien Jung. Dat is man blots een Elfsegler“. Un nu fangt de Ole suutje un sinnig an to vertellen. Vun ‘t Seilen, vun de Elf, vun de Schippere un vun den Hamborger Haben.
„Ik bün so ‘n richtigen Fischkopp!“ Dat Woort versteiht Walid nu överhaupt nich. „Na, pass op: dat is een Fisch …“, dorbi maakt he een Schnuut as so een Karpen, „un dat hier, dat is mien Kopp – Kopf!“ Walid versöök em achterran to kamen.
„Gifft Minschen de meent, dat würr een Schimp. To ‘n Bispill inne Schweiz glöövt se dat. Aver hier anne Waterkant is dat een ehrbor Naam för unse Seefohrer-Traditschon!“, seggt de Ole. Dat Woort kenn Walid: „Ja, Tradition – das ist gut!“
„Süh, un fröher – doar weer ick een Tallymann!“, vertellt nu de Ole wieder. Batz stell Walid sien Beker hen. De blanke Angst steiht em in’t Gesicht: „Du? Ein Taliban?“
Nu weer de Ole platt. Aver blots för een kotten Momang. Denn mutt he erst mal wedder luuthals Lachen. So luut, dat de anneren Lüüd sick ümdreihn. „Ick? Een Taliban? Nee, nee, mien Jung. Ein Tally–Mann! Mit een „M“! Dat sünd de Arbeiters, de fröher op de Scheepen de Stücken Foder tellt hebbt.“
Un as Walid jümmers noch unglöövsch ut de Wäsch kiekt, stimmt de Ol mit sien depen Bass an: „Na Minsch, kennst nich dat Leed vun Harry Belafonte: ,Come Mr. Tallymann, tally me Banana …’?”
Un nu mööt se all tohoop lachen bit dat de Punschbekers överswappt.
Afghane und Fischkopp
Hochdeutsche Übersetzung von Tommy Smidt
Die Luftangriffe in Kabul waren nicht das Allerschlimmste. Die Sirenen schickten die Menschen zumeist rechtzeitig in die Keller und man wusste, wann es vorbei war. Das Schlimmste war eigentlich der Alltag. Man musste den täglichen Beschäftigungen nachgehen, einkaufen, zur Feldarbeit, Wasser holen, die Kinder zur Schule bringen und abholen. Und dabei stieg die ständige Angst vor dem Ungewissen durch den ganzen Körper. Wird es einen Anschlag geben? Werden die Taliban zu uns kommen und jemanden abholen? Getarnt als islamische Gelehrte, den finsteren Blick fast freundlich kaschiert?
Walid war gerade 18 geworden, als er sich auf den Weg zu seinen Verwandten machte. Onkel Amir sorgte für ihn, seit die Eltern vor zwei Jahren nach Hamburg geflohen waren. Kurz bevor er das halb zerstörte Haus erreichte, stoppte ein Toyoto Pickup neben ihm: Taliban! Zwei von ihnen sprangen heraus: „Du musst jetzt bei der Befreiung unseres Landes mithelfen! Pack ein paar Sachen, morgen früh um 4 Uhr holen wir dich ab und fahren ins Ausbildungscamp. Du hast nur eine Wahl: kämpfen oder sofort sterben!“
Walid war unfähig sich zu bewegen, er wusste genau, was das bedeutete. Es gab für ihn nur einen einzigen Ausweg: Er musste noch in der Nacht fliehen.
Onkel Amir organisierte sofort den ersten Transportabschnitt bis in den Iran, gab ihm Adressen in Teheran, Izmir und – ja- München. Er unterwies ihn in Hawala, das geheime Banknetzwerk, mit dem er sich in Europa finanziell über Wasser halten konnte, für eine Weile.
Um Mitternacht holte ihn ein Taxi ab und brachte ihn zur iranischen Grenze. Später marschierte er mit 20 anderen los, durch Hitze und Staub. Nach zwei Wochen voller Angst, Hunger, Entbehrungen und Gewalt schlossen ihn seine Eltern in Hamburg überglücklich in die Arme.
Das ist jetzt sechs Monate her. Das berühmte Hamburger Schmuddelwetter hat im Dezember Einzug gehalten und Walid beschließt, sich einen sogenannten Weihnachtsmarkt anzugucken. Das Schieben und Drängen der Menschen ist ihm anfangs unheimlich, die fremden Gerüche verwirren ihn. Aber die vielen gut gelaunten Besucher bewirken, dass er nicht sofort wieder umkehrt.
Am Ende des Marktes ist es etwas ruhiger, dort stehen die Menschen mit bunten Tonbechern in der Hand, aus denen es dampft. Neugierig nähert er sich dem Stand.
„Na min Jung, willst ‘n lütten Sluck?“ Ein älterer Mann sitzt mehr als er steht auf einem Hocker und hält ihm einen Becher hin. Über einem grauen Vollbart blinzeln ihm zwei kleine lustige Augen zu. „Ik geff eenen ut!—Spendeeren nennt man dat woll!“
Walid hat nichts verstanden und lächelt höflich. Walids Lehrer behaupteten, er sei sprachbegabt und könne schon bald die C1 Prüfung machen, aber Platt …?“
„Ach so, jo – versteihst woll keen Platt! Möchtest du ein Getränk?“, fragt der Alte nun auf Hochdeutsch.
Schüchtern weist Walid auf den bunten Becher: „Alkohol?“ Der bärtige Alte lässt ein dröhnendes Lachen los. „Kloar, bist woll een Moslem. Gifft ok alkoholfreien Punsch hier! Also: no Alkohol please!“ Schon reicht er Walid einen dampfenden Becher und sie schlürfen gemeinsam ihren Glühwein.
Das warme Getränk macht Walid auch ohne Alkohol mutiger und er stellt seine erste Frage: „Bist du Kapitän?“, dabei deutet er auf die Kopfbedeckung des Alten.
„Nich ganz, min Jung, dat is man bloß een Elbsegler“. Und dann beginnt der Alte langsam und bedächtig zu erzählen: vom Segeln, von der Elbe, von der Schifffahrt und dem Hamburger Hafen.
„Ik bün so’n richtigen Fischkopp!“, sagt er. Das Wort versteht Walid nun gar nicht.
„Na, pass op: dat is’n Fisch …“, dabei verzieht der Alte sein bärtiges Gesicht zu einer wirkungsvollen Karpfengrimasse, “und dat hier: dat is mien Kopp – Kopf!“
Walid versucht zu folgen.
„Manche Menschen meinen, das wär’ ‘ne Beleidigung, z. B. in der Schweiz vertritt man diese irrige Meinung. Aber wir hier von der Waterkant sehen das als respektvolle Huldigung an unsere Seefahrer-Tradition“, erklärt der alte Mann.
Das Wort kennt Walid. „Ja, Tradition – das ist gut!“, sagt er eifrig.
„Siehste, und früher – da war ich Tallymann!“, schließt sein Gegenüber.
Abrupt stellt Walid seinen Becher hin, das blanke Entsetzen steht in seinem Gesicht: „Du? Ein Taliban?“
Jetzt ist der Alte sprachlos, aber nur für einen Moment. Dann setzt wieder sein dröhnendes Lachen ein, so dass sich die anderen Umstehenden amüsiert umdrehen: „Ich? Ein Taliban? Nee, nee, mien Jung. Ein Tally-Mann! Mit „M“! Das sind die Arbeiter, die früher auf den Stückgutfrachtern die Ladung gezählt haben.“
Und als Walid immer noch ungläubig dreinschaut, stimmt der Alte mit tiefer Bassstimme an: „Na Mensch, kennste nich das Lied von Harry Belafonte ,Come Mr. Tallymann, tally me Banana …’?”
Und da müssen alle lachen bis die Punschbecher überschwappen.