Anfang des Jahres wurde von der Wilhelmsburger DENKmal-Gruppe ein Wettbewerb zur kritischen Kommentierung des Kriegerdenkmals an der Emmauskirche ausgeschrieben. Jetzt ist der Wettbewerb entschieden: Auf dem Reiherstiegfest am 24. September wurden die prämierten Entwürfe vorgestellt. Im November sollen die „Umbau”-Arbeiten beginnen, um den Gewinner:innen-Entwurf umzusetzen. Die Holzkiste, die das umstrittene Denkmal seit fast fünf Jahren umhüllt, kommt weg
Drei aufgestellte Gewehre dominieren den seit 2019 verhüllten Gedenkstein, eingerahmt von Totenkreuzen, über die Stahlhelme gestülpt sind. Darunter ist eine abgebrochene Eiche zu sehen, die neue Zweige austreibt als Symbol „für ein wiedererstarkendes deutsches Volk”. Über diesem Motiv sind die Daten 1914 – 1918 (später hinzugefügt 1939 – 1945) eingemeißelt, ganz unten ist folgender Spruch zu lesen: “Den für Volk und Vaterland Gefallenen zur Ehre und im Glauben an die deutsche Zukunft”. Die Machtergreifung der Nazis im März 1933 und die folgende Gleichschaltung sollten zeigen, worum es bei dem Denkmal wirklich ging: um Nationalismus, Militarismus und Verherrlichung des Krieges. Die auf dem Stein beschworene deutsche Zukunft war Adolf Hitler, der vier Monate nach der Einweihung des Denkmals die Macht ergriff und den Zweiten Weltkrieg entfesselte, dem über 50 Millionen Menschen zum Opfer fielen.
Der DENKmal-Prozess
Das Denkmal war Ende 2017 bei Bauarbeiten aus den Büschen an der Kirche wiederaufgetaucht, kurz darauf von Unbekannten mit einem antifaschistischen Graffito besprüht und dann als “Stein des Anstoßes” bis auf weiteres mit einem Holzverschlag, der “Kiste”, umhüllt worden. Eine Initiative aus Vertreter:innen der evangelischen Reiherstieggemeinde, der Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg & Hafen und engagierten Bürger:innen hat in den Folgejahren ausführlich in einem DENKmal-Prozess zur Geschichte des Denkmals geforscht und den Umgang damit diskutiert. Ergebnis dieses Diskussionsprozesses war der Beschluss, das Denkmal mit einer “künstlerischen Intervention” kritisch zu kommentieren.
Der Wettbewerb
Die Frage, wie dieses Kriegerdenkmal mit seiner nationalistischen und militaristischen Botschaft mit dem heutigen kritischen Blick „verwandelt“ werden kann, wurde in einem Wettbewerb entschieden. Das Künstlerduo Vera Drebusch und Reto Buser hat die überzeugendsten Antworten geliefert. Die beiden gewannen nun den Wettbewerb, den die DENKmal-Gruppe ausgeschrieben hatte. Am 25. Juni 2022 entschied sich die Jury in großer Einigkeit für dieses Konzept.
Die Kriterien zur Bewertung waren: Inhaltliche Überzeugungskraft in der Brechung der nationalistischen und militaristischen Botschaft, Einbeziehung des lokalen Umfeldes in Wilhelmsburg, interkulturelle Zugänglichkeit und Verständlichkeit, Einsatz digitaler Medien zur Darstellung des historischen Hintergrunds, Nachhaltigkeit des Konzepts und dauerhafte Funktionsfähigkeit, Sicherheit der Objekte für das Umfeld.
Vera Drebusch und Reto Buser haben in ihr Konzept alle diese Kriterien mit einbezogen. Zentrale Idee ist eine Drehung des Denkmalsteins in Richtung der Stolpersteine, die auf dem Bürgersteig der Mannesallee für Familie Leipelt (Widerstand der Weißen Rose) schon 2002 verlegt wurden. Die Betrachtenden werden so mit den Opfern jenes Systems, dem die Inschrift des Kriegerdenkmals den Boden bereitete, konfrontiert. Gleichzeitig wird die Verbindung mit bereits vorhandenen Erinnerungsmalen für den Widerstand hergestellt. Eine vergleichbare räumliche Nähe zwischen einem Kriegerdenkmal und Stolpersteinen ist in Deutschland sicher selten gegeben. Das Künstlerduo hat diese Chance nutzt. Diese Verbindung wird noch betont durch eine Linie im Asphalt der Straße. Partizipation und Verankerung im Stadtteil sind wichtiger Bestandteil des Konzepts. Auch das war für die Jury überzeugend: Eine kontinuierliche Betreuung des um den Denkmalstein herum geplanten kleinen Gartenprojektes kann in Kooperation mit der Emmaus-Kita und möglicherweise über das Projekt ‚Interkulturelle Gärten‘ gewährleistet werden. Hintergrundinformationen werden in direkter Nähe des Denkmalsteins geliefert und mit Hilfe der Geschichtswerkstatt regelmäßig aktualisiert.
Wann ist es soweit?
Dank der finanziellen Unterstützung der Behörde für Kultur und Medien, des Bezirks Hamburg-Mitte und der privaten Liebelt-Stiftung geht es nun ans Werk. In mehreren Schritten wird das Denkmal selbst gedreht und das Umfeld verändert. Wenn alles klappt, soll die komplette Installation im nächsten Frühjahr eingeweiht werden.
Bei Fragen zum künstlerischen Wettbewerb und den weiteren Abläufen, wenden Sie sich bitte an die DENKmal-Gruppe: menk.o@honigfabrik.de
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