Wo bleibt das Verantwortungsgefühl für Klima, Umwelt und kommende Generationen?

Offener Brief an den Kreisverband der Grünen in Hamburg-Mitte

Mit großer Bestürzung und wachsender Wut verfolgen wir als direkte Anwohnerinnen und Anwohner des Wilden Waldes in Wilhelmsburg Ihre jüngste Entscheidung, gemeinsam mit der SPD die Rodung eines der letzten intakten Naturwälder Norddeutschlands zuzulassen – zugunsten weiterer privater Wohnbebauung, die nach bisherigem Stand entgegen Ihrer politischen Versprechen kaum sozialen Wohnraum schafft, sondern überwiegend renditeorientierten Investoren dient.

Wo (noch) die Amsel singt: der gut 10 Hektar großen Sukzessionswald, der sich in west-östlicher Richtung am Ernst-August-Kanal entlang zieht. Foto: Waldretter*innen

Die Enttäuschung ist tief, zumal genau dieser Wald nicht nur ein einzigartiges ökologisches Refugium darstellt, sondern für viele Menschen im Viertel einen Ort der Erholung, ein Symbol der Hoffnung – und nicht zuletzt stellte sein Erhalt auch ein zentrales Versprechen Ihrer Partei in den vergangen Wahlkämpfen dar. Die Grünen haben immer wieder zugesichert und damit geworben, dass Naturschutz, nachhaltige Stadtentwicklung und soziale Gerechtigkeit bei ihnen untrennbar zusammengehören. Jetzt müssen wir konsequent erleben, dass diese Ideale verhandelbar sind – gegen politische Gefälligkeiten, Dienstwagen oder den Preis der Opportunität.

Obwohl auf dem Gelände der ehemaligen Wilhelmsburger Reichsstraße zehntausende neue Wohnungen geplant und im Bau sind – der Großteil fernab der angepriesenen Mietpreisbindung oder Sozialbindung –, soll nun auch noch eines der letzten ökologischen Rückzugsgebiete in Hamburg geopfert werden. All das widerspricht fundamental Ihren eigenen programmatischen Zielen. All das geschieht in einem Stadtteil, der Ihnen vor acht Jahren mit viel Vertrauen seine Stimme gegeben hat, weil Sie versprochen haben, den motorisierten Individualverkehr zu reduzieren, Verkehrsberuhigungen durchzusetzen, sichere Wege für Radfahrende und Fußgänger*innen zu schaffen und den Erhalt eines der letzten norddeutschen Urwälder zu sichern.

Passiert ist davon nichts – außer einer frisch asphaltierten Fährstraße, auf der Autos heute noch schneller fahren können. Sie haben exakt die Gegenteile Ihrer Versprechen umgesetzt. Dass Sie dies als „verkehrspolitischen Fortschritt“ verkaufen, ist blanker Hohn.

Ich stamme aus einer grünen Familie, meine Eltern waren Gründungsmitglieder der Partei. Was ich heute erleben muss, lässt mich nicht nur sprachlos, sondern fassungslos zurück: Eine Partei, die einst für Umwelt- und Naturschutz stand, betreibt heute in Wilhelmsburg eine Politik der ökologischen Zerstörung, der sozialen Spaltung und der Kapitulation vor der Immobilienlobby. Es fällt schwer, hierin noch einen Unterschied zu den anderen Parteien zu erkennen, die Sie selbst permanent kritisieren.

Wo bleibt Ihr Verantwortungsgefühl für Klima, Umwelt und kommende Generationen? Glauben Sie wirklich, dass Sie dieses Maß an politischer Doppelmoral auf Dauer ohne weiteren, massiven Vertrauensverlust durchhalten können? Traurig.

Stoppen Sie die Rodung des Wilden Waldes. Setzen Sie sich für echten sozialen Wohnraum ein und nicht nur für das Renditeinteresse privater Investoren. Und beginnen Sie endlich, Ihre Versprechen ernst zu nehmen, nicht nur vor der Wahl, sondern auch danach.

Mit enttäuschten Grüßen
Niko Ulrich

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert