Frauen dürfen im Iran nicht öffentlich singen

Das Festival für widerständische persische Kultur „HASTAM – Just because I AM“ haben WIR in der Juli-Ausgabe schon vorgestellt. Jetzt steht das Programm fest. WIR sprachen mit der Initiatorin Atena Eshtiaghi und den Mitarbeiterinnen des Bürgerhauses Judy Engelhard und Annabel Trautwein

Mit einem Auftaktkonzert im vergangenen Oktober begann die einjährige Zusammenarbeit der iranischen Musikerin Atena Eshtiaghi mit dem Bürgerhaus Wilhelmsburg (WIR 16.10.23). Ergebnis dieser Kooperation ist jetzt das Festival für widerständische persische Kultur „HASTAM – Just because I AM“, das vom 29. bis 31. August im Bürgerhaus stattfindet.

Das Förderprogramm INTRO

Das Kooperationsprojekt fand im Rahmen des Förderprogramms INTRO der Behörde für Kultur und Medien (BKM) statt. Das Programm richtet sich an Kulturschaffende, die ins Exil gegangen sind, weil sie aus unterschiedlichen Gründen von Verfolgung oder Repression bedroht sind und ihre künstlerische Tätigkeit in ihrem Land nicht fortsetzen können. In einer Pressemeldung zum INTRO-Programm heißt es: „Es gehört zu den Potenzialen der Kunst, Kritik zu üben. Und genau dafür wird sie in illiberalen und autokratischen Staaten gefürchtet und aktiv bekämpft.”
INTRO richtet sich gleichermaßen an Kultureinrichtungen, die offen für Diversitätsprozesse und die daran interessiert sind, die Zusammenarbeit mit Kulturschaffenden mit einer internationalen Perspektive zu erproben. Kultursenator Carsten Brosda hält am Eröffnungsabend des Festivals ein Grußwort.

Atena Eshtiagi

Atena Eshtiaghi berichtet im Gespräch mit dem WIR über die Unterdrückung der Kunst im Iran, die im Besonderen Musikerinnen betrifft. Frauen dürfen im Iran nicht öffentlich singen, musizieren oder tanzen. Das Verbot war auch ein Gegenstand der großen Protestbewegung 2022. Auch für die Künstler*innen im Exil sei die Bedrohung im Hintergrund immer präsent, unter anderem aus Sorge um ihre Angehörigen im Iran. Aber sie ließen sich nicht unterkriegen.
Ein Jahr lang hat Atena Eshtiaghi daran gearbeitet, iranische Künstler*innen in ganz Europa zu kontaktieren und mit ihnen das Programm für „HASTAM – Just because I AM“ zu entwickeln. An den drei Festivaltagen sind iranische Kulturschaffende aus Deutschland, Österreich, Belgien, den Niederlanden und Frankreich mit dabei: Musiker*innen, Tänzer*innen, Filmemacher*innen, eine DJ.

Die Vielfalt des künstlerischen Widerstands

Atena Eshtiaghi und das preisgekrönte Chorprojekt Female* Voices eröffnen das Festival. Sie tritt gemeinsam mit der Jazz-Pianistin Clara Haberkamp mit Improvisationen über Jazz und persische Musik im „Duo Azadi” auf – „Azadi“ bedeutet Freiheit. Außerdem gibt sie am Sonnabend ein Konzert zusammen mit der in Wien lebenden Sängerin und Instrumentalistin Golnar Shahyar.

In mehreren Bands arbeiten iranische und europäischen Musiker*innen zusammen und experimentieren mit der Verbindung von traditioneller iranischer und westlicher Musik.

Beispiele aus dem Programm

Das Duo 9T Antiope – Sara Bigdeli Shamloo und Nima Aghiani
9T Antiope. Foto: Ashkan Noroozkhani

Die Klarinettistin Shabnam Parvaresh mit ihrem „Sheen Trio” mit der deutschen Gitarristin Ula Martyn-Ellis und Philipp Buck am Schlagzeug bringen Jazz, Rock und experimentelle Musik „mit Einflüssen aus dem Iran” zusammen.

Das Duo „9T Antiope” – Sara Bigdeli Shamloo und Nima Aghiani – experimentiert mit Klangteppichen aus Samples akustischer Instrumente, elektronischen Sounds, Gesang und gesprochenem Text.

Das deutsche Trio „Picon”, das eigentlich Musik von Tango bis Swing spielt, hat sich mit der klassisch ausgebildeten Geigerin Asal Karimi zusammengetan und macht sich mit ihr im Quartett „auf neue musikalische Wege.”

Preisgekrönt aber unbekannt

„Unter den iranischen Künstler*innen im europäischen Exil”, sagt Atena Eshtiaghi, „haben nicht wenige für ihre Arbeit Preise erhalten, aber sie sind bei uns weitgehend unbekannt.”

Mina Richman, die mit ihrer Band am 31. August im Bürgerhausgarten auftritt, ist da schon fast eine Prominente. Die 25-jährige deutsch-iranische Singer-Songwriterin ist in Berlin geboren und in Bad Salzuflen aufgewachsen. Sie wurde 2022 mit Liedern über feministische Themen als beste Newcomerin für den PopNRW Preis nominiert. Ihr Solidaritäts-Song „Baba Said“ zur den großen Protesten im Iran im vorletzten Jahr ging viral und machte sie weltweit bekannt: „Baba said / I don’t want you wearing that headscarf …”


Zwischen Repression und Emazipation: Filemacher*innen aus dem Iran

Das Programm des Festivals. Bildunterschrift: Das ganze Programm unter www.buewi.de. Flyer: BüWi
Das ganze Programm unter www.buewi.de. Flyer: BüWi

Explizit politische Aussagen bietet auch das Filmprogramm des Festivals. Im Film „The Art of Living in Danger“ erzählt die Regisseurin Mina Keshavarz die Geschichte ihrer Großmutter und wirft einen Blick auf die Ära der Frauenbewegung im Iran nach der Islamischen Revolution.

In einem Kurzfilmprogramm werden in vier Filmen Zwang und Enge des autoritären Systems im Iran gezeigt. So wird im Film „And me, I’m dancing too“ von Mohammed Valizadegan die Tänzerin Saba portraitert. Sie steht stellvertretend für alle iranischen Frauen, die das Regime daran hindert, sich mit ihrem Körper frei auszudrücken.

Im Film „Revolutionary Memories of Bahman Who Loved Laila“ von Farahnaz Sharifi geht es um den Kampf um Liebe, Leben und Freiheit im Iran 1979. Farahnaz Sharifis aktueller Film „My Stolen Planet“ wurde mehrfach prämiert. Atena Eshtiaghi erhielt für ihre Musik zu diesem Film den Deutschen Dokumentarfilm-Musikpreis.

Im Anschluss an die Filmveranstaltungen gibt es Podiumsgespräche mit einzelnen Regisseur*innen über die Rolle der Kunst in der iranischen Protestbewegung und die Möglichkeit, Fragen zu den Filmen zu stellen.

Um die Bedeutung von Kunst im Iran – in der Geschichte und aktuell „im Spannungsfeld zwischen Repression und Emanzipation” geht es auch am Abschlussabend bei einer großen Podiumsrunde mit Golnar Shahyar, Farahnaz Sharifi, der Wissenschaftlerin und Schauspielerin Maryam Palizban und Performancekünstler Sina Saberi.

Zum Festivalprogramm gehören außerdem verschiedene Workshops: ein Tanz- und Performance Workshop, einer zum feministischen Poster Design, und für Spezialisten ein Workshop über die Unterschiede östlicher und westlicher Tonsysteme.

Zum Schluss eine Party

Das Festival „HASTAM – Just because I AM“schließt am 31. August mit einer Disko: DJ Nesa Azadikhah ist Gründerin und künstlerische Leiterin von „Deep House Tehran”, einer Plattform für die elektronische Musikszene. Und sie hat in Reaktion auf die revolutionäre Bewegung „Frau – Leben – Freiheit“ gemeinsam mit DJ AIDA das Label „Apranik Records” ins Leben gerufen, erste Platten mit Künstlerinnen herausgegeben, „die den Kampf iranischer Frauen für die Freiheit im Land durch ihre tägliche Musikpraxis leben”. An diesem Abend legt Nesa Azadikah House und Techno auf.

„HASTAM – Just because I AM“, so die Organisatorinnen, wendet sich gezielt an Hamburger*innen mit persischer Migrationsgeschichte. Aber das vielfältige interessante Programm bietet auch für alle Menschen etwas, die sich für die Protestbewegung im Iran interessieren und gespannt sind auf neue Musik- und Kulturerlebnisse.

„HASTAM – Just because I AM“
29. bis 31. August 2024
Bürgerhaus Wilhelmsburg, Mengestraße 20, 21107 Hamburg.
Das ganze Programm und Ticketinfos unter www.buewi.de.










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Hermann Kahle

Hermann Kahle schreibt über Kultur, Schule und für den Kaffeepott

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