„Ich will inspirieren mit meiner Expedition“

Die Klimaaktivistin Lilith van Amerongen (23) plant eine 45-tägige Expedition zum Südpol, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Die junge Wilhelmsburgerin arbeitet als „Nordic Nature Guide“ in Norwegen. Doch gerade ist sie auf Spenden- und Sponsorensuche für ihre Expedition, der WIR hat sich mit ihr zum Interview getroffen

Eine junge Frau, schwarze Hose, schwarze Bluse, lange Haare, steht in einem grünen Park. An einen Baum ist ein schwarzes Fahrrad angelehnt.
Lilith van Amerongen, Foto: C. Meyer

Wir treffen Lilith van Amerongen im Café Kaffeeliebe am Veringkanal, bei strahlendem Sonnenschein zum Interview. Sie scheint gut gelaunt zu sein und bereit, um zahlreiche Fragen zu beantworten.

C. Meyer: „Was sind deine (persönlichen) Ziele für die Expedition?“

„Es gibt zwei Ziele für mich: Zum einen möchte ich die Öffentlichkeit mit dem Thema Klimawandel erreichen und informieren, aber auch inspirieren, etwas zu tun, sich selber einzubringen. Ich gehe ans Ende der Welt, damit jetzt was passiert. Eine junge Person, die alleine etwas Großes bewegt, zeigt doch, ich kann auch was im Alltag oder politisch tun. Zweitens der wissenschaftliche Aspekt: Ich bringe Forschungsdaten zurück (zur Uni Hamburg), da hängt auch mein Herz dran.“

C. Meyer: „Hängt das auch mit deinem Beruf zusammen?“

„Ja klar, ich wäre ohne meinen Beruf nie auf die Idee gekommen, das zu tun, was ich jetzt mache. Ich habe ja die ‚Nordic Nature Guide‘ Ausbildung gemacht, da haben wir viele Winterexpeditionen zum Polarkreis gemacht, also nördliches Skandinavien. Ich hätte es mir nicht zugetraut, mich auf die Solo-Expedition vorzubereiten, ohne meinen beruflichen Hintergrund. Durch ihn ist mir der Klimawandel auch noch mehr bewusst geworden, ich komme an dem Thema nicht vorbei. Ich glaube, dass ich jetzt etwas dagegen tun muss, deshalb habe ich überlegt: Was sind meine Stärken, wie kann ich die einbringen? Wofür setze ich meine Fähigkeiten ein? Und weil ich diese Ausbildung habe, hat es total Sinn ergeben, diese Expedition zu machen. Ich glaube, wenn wir uns für etwas Gutes einsetzen, können wir vieles erreichen.“

C. Meyer: „Wie laufen denn die Vorbereitungen bisher? Du musst ja Spenden sammeln und dich körperlich vorbereiten. Wie ist der momentane Stand?“

„Auf einem relativ guten Stand, es gibt ja viele Aspekte: einmal den Fitnessaspekt, der Planungsaspekt logistisch, die Finanzierung. Ich bin im Training drin, mache Krafttraining und Ausdauertraining, jetzt im Sommer Gletscherkurse und eine längere Trainingsexpedition. Bei der Testexpedition fühlte ich mich sehr gut, ich möchte trotzdem die Kraft haben, dass ich nicht abends im Camp ankomme und völlig k. o. bin. Zusammen mit der Uni Hamburg überprüfen wir das alle drei Monate, ich mache momentan sechs mal in der Woche Sport und es fühlt sich gut an. Dann bin ich immer noch auf Sponsorensuche, ein paar Sponsoren habe ich schon, aber noch eine Finanzierungslücke, bei gofundme ist auch gerade die heiße Phase angelaufen.

C. Meyer: „Ist es schwieriger bei dem momentan heißen Wetter sich auf so eine Aktion vorzubereiten?“

„Ja und nein. Es gibt so ’ne Grundfitness, die kann ich sehr gut hier bei warmem Wetter aufbauen. Dann gibt es den Aspekt: Wie gehe ich in der Kälte damit um? Wenn es richtig kalt ist, ist eine der Hauptregeln dort, ich darf nicht schwitzen und es ist richtig leicht, dort ins Schwitzen zu kommen, obwohl es -25 Grad hat, da muss man sich regulieren können. Deswegen mache ich auch lange Expeditionen zum Training, zum Beispiel auf Grönland. Das nächste Training mit einem Team dort ist im August. Da fangen die Herbststürme wieder an, das ist von der Kälte her der Antarktis sehr ähnlich.

C. Meyer: „Würdest du sagen, die Aktion ist nochmal außergewöhnlicher, weil du eine Frau bist?“

„Es ist schon außergewöhnlich als Frau, es gab auch schon Frauen, die das vor mir geschafft haben, unheimlich beeindruckend finde ich. Denen lagen noch mehr Steine im Weg, die sie überwinden mussten, aber es ist schon relativ selten. Es gibt zwei Kategorien: der jüngste Mensch oder die jüngste Frau zum Beispiel, also Frauen haben immer noch ihre eigene Kategorie. Es wäre schön wenn sich da auch was ändern würde.“

C. Meyer: „Was würdest du machen, wenn du dein Ziel nicht erreichen könntest? Sei es körperliche Erschöpfung bei der Expedition oder in der Vorbereitung zum Beispiel?“

„Es gibt zwei Szenarien für mich: ich verdrehe mir hier ein Knie vor der Expedition im Training oder die letzten Euro der Finanzierung kommen nicht rein. Dann würde ich sicher sagen, ich verschieb‘ das auf die nächste Saison und habe mehr Zeit mich vorzubereiten und auszukurieren. Da steht für mich mein Leben an erster Stelle. Das wäre unglaublich traurig oder frustrierend, aber wenn ich auf dem Gletscher merke, hier komme ich nicht weiter, dann werde ich die Chance evakuiert zu werden, gerne nutzen, was sehr unwahrscheinlich aber möglich ist.“

C. Meyer: „Wie siehst du deine Vorbildfunktion als Klimaaktivistin? Du würdest ja gerne in der Öffentlichkeit andere Leute inspirieren.“

„Ich sehe mich schon in einer Vorbildfunktion, indem ich zeige, dass es Freude machen kann, wenn man seine Stärken für ein schwieriges Thema, ein unangehmes Thema einsetzt. Und man sollte auch politisch sein, würde ich sagen.“

Nicht alle Menschen und Politiker*innen sind auf der Seite der Klimaschützer*innen und unterstützen sie. Teile der Gesellschaft haben kein Verständnis für Veränderungen und wollen den „Status Quo“ beibehalten, selbst wenn dies mehr Naturkatastrophen und eine globale Erwärmung um mehrere Grad bedeutet. Wie sieht Lilith van Amerongen die aktuelle Lage?

C. Meyer: Wie siehst du denn die aktuelle Stimmung in der Politik/Gesellschaft? Was sagst du zu Menschen, denen die Klimabewegung zu radikal ist, die in ihr nur eine Verbotsbewegung sehen?

„Ich glaube, dass sich Menschen in unsicheren Zeiten oft auf Werte oder Ideen berufen, die sich anscheinend für sie bewährt haben. Wir können die Probleme von morgen aber nicht mit Lösungen von gestern angehen! Da braucht es Verständnis und gutes Zuhören. Auch wenn man die politische Meinung des Gegenübers gar nicht ab kann. Ich glaube, dass es zunehmend schwieriger ist, im Klimaschutz aktiv zu sein und dass die gesellschaftliche Stimmung, der Dialog verroht.

Eine ganz wichtige Grundlage des Klimaaktivismus ist, dass wir einen demokratischen Diskurs haben. Die Klimabewegung setzt sich momentan sehr gegen Rechts ein, weil auch sie diesen Rechtsruck spürt. In einer nach Rechts ausgerichteten Gesellschaft kommen wir aber mit unseren Themen gar nicht mehr an. Wir müssen erstmal den Dialog wieder auf eine friedliche Basis bringen. Wenn Leute nicht mehr an Demokratie oder freien Journalismus glauben, wie soll ich dann mit Fakten argumentieren?

Das ist ja auch sehr nah beieinander. Die Politik kann auch dazu beitragen, indem sie keine einfachen, populistischen Lösungen anbietet. Ich finde, das sieht man jetzt auch bei größeren, etablierten Parteien. Wenn z. B. ein Christian Lindner auf dem OMR-Festival sagt: ‚Nein, an die Studie glaube ich nicht!‘ Das ist eine sehr gut belegte Studie, da kann man als Finanzminister nicht einfach sagen, ‚daran glaube ich nicht.‘ Ich finde, das ist populistisch!“

C. Meyer: Es gibt meiner Meinung nach ein gefühltes Verschwinden der politischen Mitte, Menschen orientieren sich immer mehr nach rechts- oder linksaußen. Wie siehst du das als Klimaaktivistin?

„Ich glaube, dass die Mitte oft für Kontinuität stand, nach dem Motto ‚es soll so weitergehen, wie es ist‘. Aber der Konsens bei denjenigen, die so viele Probleme bemerken, global und in Deutschland, ist: ‚so kann es nicht weitergehen‘. Deshalb gehen die Leute dann in die Extreme. Ich glaube, die Gefahr darin ist, dass wir uns als Gesellschaft verlieren. Wenn man starke Positionen bezieht, finde ich das nicht schlimm, aber man muss im demokratischen Rahmen bleiben und darüber diskutieren, und zwar respektvoll.

Wie wir ‚Radikalität‘ definieren, ist auch wichtig. Ich finde, es ist keine radikale Aussage, wenn Klimaaktivist*innen sagen: ‚Wir tun alles uns in der Macht stehende, damit wir den Klimawandel verhindern‘. Denn ‚radikal‘ für Menschlichkeit, Zuversicht und Respekt einzutreten, finde ich nicht sehr radikal. Aber radikal gegen Flüchtlinge zu hetzen, die im Mittelmeer ertrinken, finde ich nicht mehr menschlich.“

C. Meyer: „Hast du das Gefühl, dass die Gesellschaft insgesamt nach rechts driftet?“ 

„Das ist kein Gefühl, das ist ja ein Fakt, leider.“

C. Meyer: „Was macht dir trotz allem Hoffnung für die Zukunft?“

„Es gibt vieles, das mir Hoffnung macht. Im Alltag kann eine gute Unterhaltung mit jemandem, der auch mal nicht meine Meinung teilt, mir Hoffnung machen. Auch sich in einer Gemeinschaft zu treffen, in der man merkt, es gibt viele Menschen, die etwas tun, macht Hoffnung. Ich war immer schon etwas aktiv im Klimabereich. Sollte ich mal Kinder haben, kann ich auf die Frage, ‚Was hast du getan?‘, mit gutem Gewissen antworten.

Und dann gibt es oft kleine Hoffnungsschimmer, auch politisch, wo man sagen kann, es geht in die richtige Richtung, auch wenn wir mehr davon bräuchten. In Hamburg wurde zum Beispiel ein Klimaschutzgesetz verabschiedet, das auf dem Zukunftsentscheid, einem Volksbegehren basiert. Jetzt gibt es eine Initiative die sagt, wir wollen das noch besser machen, für ein noch besseres Klimagesetz. Das gibt Hoffnung. Wenn genug Menschen sich dafür entscheiden, es zu einer Abstimmung kommt, würde ich sagen, es hat eine realistische Chance.“

Im Klimaaktivismus geht es vor allem um die Zukunft des Planeten. Lilith van Amerongen denkt dabei auch an ihre eigenen zukünftigen Kinder, denen sie eine lebenswerte Umwelt hinterlassen möchte

C. Meyer: Was würdest du deinen eigenen Kindern in 10 Jahren gerne sagen?

„Ich würde ihnen sagen, dass es sich immer lohnt, für seine Werte einzustehen. Dass es ein gutes Gefühl ist und es sich lohnt, sich einzusetzen.“ 

C. Meyer: „Du würdest ihnen sagen: ‚Ich habe was für die Zukunft des Planeten getan?‘“

„Ja, ich hoffe, dass ich dann das Gefühl haben werde, alles probiert zu haben, damit sie eine gute Zukunft haben. Ich hoffe, dass unser Engagement ausreicht, damit wir ihnen sagen können, dass alles gut wird! Will das nicht jeder seinen Kindern sagen? Alle sind sich ja einig, dass sie eine gute Zukunft für ihre Kinder wollen. Vielleicht werbe ich ja mit meiner Aktion dafür, dass es sich lohnt, die Natur in die Vision einer besseren Zukunft mit einzuschließen “

C. Meyer: Liebe Lilith van Amerongen, der WIR dankt dir für das interessante Gespräch und wünscht dir viel Erfolg bei deiner Expedition!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert