„Ich kann nur Dank sagen!“

Dora Demann aus Kirchdorf feierte ihren 100sten Geburtstag. Sie lebt mit Sohn und Schwiegertochter im Eigenheim und versorgt sich zum Teil noch selbst

Dora vor ihrem Buffetschrank mit einer Broschüre aus ihrem Geburtsjahr. Foto: M. Groß

„Ich werde oft gefragt: ‚Wie machst du das, so alt zu werden und so fit zu bleiben?‘“, erzählt Dora bei unserem Interviewtermin. „Aber ich habe kein Rezept. Eine Zeit lang habe ich mich geärgert, wenn ich etwas nicht mehr konnte oder vergessen hatte. Da schimpfte eine Freundin mit mir: ‚Du musst das akzeptieren.‘ Und jetzt akzeptiere ich das. Was nicht geht, geht nicht“, meint sie.

Dora wurde am 13. Juli 1924 in Berlin geboren. Sie war ein lebhaftes Kind. In einem Zeugnis stand: „Dora stört häufig ihre Mitschüler. Das muss sie sich schleunigst abgewöhnen.“

Wie kam sie dann nach Hamburg?

Das ist eine abenteuerliche Geschichte. Sie arbeitete damals beim Fernmeldeamt und hatte eine Kollegin in Augsburg beim Fernmeldeamt, mit der sie sich über die Fernmeldeleitung anfreundete. Rosel aus Augsburg kam nach Berlin und die Freundschaft wurde enger. Als Rosel ihre Mutter in Augsburg besuchte, lernte sie dort Willi aus Hamburg kennen, der zur Miete bei der Mutter wohnte. Willi besuchte dann Rosel in Berlin und auch sein Freund Horst aus Hamburg kam nach Berlin, um Willi zu treffen. Zwei Männer und Rosel, da lag es nahe, auch Dora einzuladen.

Dora und Horst sahen sich und der „Blitz schlug ein,“ wie Dora erzählte. Horst kam dann wieder und lernte Doras Eltern kennen. Nach ein paar Wochen besuchte Dora ihn in Hamburg. Da begrüßte sie die zukünftige Schwiegermutter weinend. Horst war einberufen worden und musste am nächsten Tag auf dem großen freien Feld in der Nähe des Hauptbahnhofs, dem Gelände des heutigen ZOBs, antreten. Dora: „Wir hatten uns zweimal gesehen und weg war er!“ Er kam dann auf Dienstreise einmal nach Berlin und dann nochmal nach Hamburg. Da verlobten sie sich im Treppenhaus, wie Dora lachend erzählt.

Ende 1945 kam Horst heil aus dem Krieg wieder nach Berlin. Von dort reisten sie auf offenen Güterwaggons und auf Puffern von Eisenbahnen schwarz nach Hamburg. Dora hatte keine Aufenthaltsgenehmigung und bekam keine Lebensmittelmarken. Sie wohnten zuerst mit bei Horsts Eltern auf der Veddel Am Gleise. Damals war der Bahnhof noch auf der Seite vor den Häusern. 1946 heirateten sie und waren froh, als sie im gleichen Haus ein Zimmer mieten konnten und später die Wohnung bekamen.

Am liebsten arbeitete sie mit Gardinen

Nach der Heirat arbeitete Dora zuerst in der Schokoladenfabrik Gartmann in der Wendenstraße. Privat hatte sie schon immer gern genäht. So ergab es sich, dass die Direktrice von “Bornholdt” am Neuen Wall sie abwarb. Dort gab es im Keller vier Nähmaschinenplätze, wo die Gardinen genäht wurden. Aber bei Sonderverkäufen half Dora auch gern im Verkauf aus. Sie blieb sechs Jahre. 1956 wurde ihr Sohn Jürgen geboren und sie half vormittags im Spielplatzkinderheim an der Katenweide auf der Veddel. Sie konnte gut mit Kindern umgehen. Das sah die Leiterin des Kinderjugendheims am Uffelnsweg und bot ihr eine Stelle an. Jürgen wurde von der Schwiegermutter betreut. Die half auch immer, den Kinderwagen die vier Etagen in die Wohnung rauf und wieder runter zu tragen.

Die große Liebe ihres Lebens, ihr Mann Horst, der fünf Jahre älter war, überlebte den zweiten Herzinfarkt nicht und starb bereits im 60sten Lebensjahr. Danach arbeitete Dora in der Fährstraße bei Arno Stüben. Sie verkaufte die Stoffe für die Gardinen, der Chef ging zu den Kundinnen die Fenster ausmessen, dann wurden die Gardinen von Heimarbeiterinnen genäht. Leider wurde das Geschäft geschlossen und Dora arbeitete zuletzt noch bei Karstadt in der Mönckebergstraße. Wo? – Natürlich in der Gardinenabteilung. Sie liebte doch die feinen Stoffe.

Am Wochenende isst sie bei den Kindern

Dora zog 1981 nach Wilhelmsburg. Von dem Erlös eines Hauses, das sie von einem Onkel geerbt hatte, kaufte sie sich eine Wohnung im Fitgerweg. Ihr Sohn Jürgen heiratete 1984 seine Margrit. Als er 2000 ein Haus in Kirchdorf bauen wollte, fragte er seine Mutter, ob sie mitmachen wolle. Seitdem lebt sie, in ihrem kleinen eigenen Reich, zusammen mit Jürgen und Margrit im Haus. Sie ist sehr dankbar für die Heinzelmännchen, die in ihrer Abwesenheit das Bad putzen, die Fenster und anderes. Sie erlebte, wie die Enkelkinder erwachsen wurden. Inzwischen hat sie auch zwei Urenkel.

Mit ihren Freund*innen hält sie hauptsächlich telefonisch Kontakt. Sie wird aber auch dreimal in der Woche vom Kleinbus der Tagespflege abgeholt. Nachdem sie dort zuerst nur an einem Tag war, hat sie schnell auf drei Tage gesteigert, weil es ihr da so gut gefällt. „Wir haben uns alle gut zusammen gerauft, wir verstehen uns blendend und lachen viel. Und das Essen ist toll!“, erzählt Dora begeistert. Der einzige Wemutstropfen ist, dass sie dann so früh, um sieben Uhr, aufstehen muss, weil der Bus schon um acht Uhr vor der Tür steht. An den anderen beiden Tagen kocht sie sich selbst was, am liebsten Eintopf, und am Wochenende isst sie bei ihren Kindern.

Kein Ständchen …?!

Wenn ihr Sohn Zeit hat, fährt er sie aber auch im Rollstuhl spazieren oder bringt sie zum Wilhelmsburger Mühlenchor, dem sie seit 30 Jahren angehört, oder zum Veddeler Erzählcafé. Sie war traurig, dass ihr der Chor bei der Geburtstagsfeier am Sonnabend im Kupferkrug gar kein Ständchen brachte. „Die Feier war so schön,“ erzählt sie. “Ich hatte viele nette Leute eingeladen.” Am Montag fuhr sie mit Jürgen dann wieder spazieren. Er schob sie aber nicht nach Moorwerder, wo sie oft waren, sondern in die entgegengesetzte Richtung zur Mühle. Dort kam dann die Überraschung. Der Mühlenchor war versammelt und brachte ihr ein Ständchen und es wurde noch bei Kaffee und Kuchen gefeiert.

Und immer die Musik

Sie besucht den Chor ab und zu noch, aber sie meint: „Jetzt kann ich nicht mehr singen.“ Aber das stimmt gar nicht. Sie trug zum Abschluss der WIR-Redakteurin Marianne Groß alle sechs Strophen des Liedes von der Krummen Lanke vor. Sie kann dieses Lied noch immer in Verkleidung als junger Mann mit Schiebermütze vortragen und niemand erkennt sie. Zum hundertsten Geburtstag hatte sie sich auch Noten gewünscht und ist gespannt, ob sie noch auf dem Klavier, das in der Tagespflege steht, spielen kann. Die Finger sind noch sehr beweglich.

3 Gedanken zu “„Ich kann nur Dank sagen!“

  1. Dora ist mein absolutes Vorbild, was Lebensfreude und – Weisheit betrifft.
    Früher hat sie auch Theater gespielt, es war umwerfend.
    💕
    Barbara

  2. Ich möchte mich für den tollen Artikel über Dora Demann bedanken. 100 Jahre und immer noch so wach im Kopf, das wünschen wir uns alle. Dora freute sich über unser Ständchen, dann sangen wir vom Mühlenchor noch 5 Plattdeutsche Lieder, die sie so liebt. Also gab es nochmal am Montag eine zweite Geburtstagsfeier. Herrlich. Liebe Grüße Heike Greff (seit 2015 in diesem wunderbaren Chor)

  3. ja, aus der Sicht von Dora Demann war es eine gelungene Geburtagsfeier.
    Zumal die Jubilarin diese selbst organisierte. Sie lud alle Gäste ein und bestellte das Essen in der besagten Lokalität. Die Freude wurde im Nachgang allerdings arg getrübt, als die handschriftlich zusammengestellte und völlig überzogene Rechnung auf einem Abrisszettel präsentiert wurde. In einem Gespräch über Art und Weise seiner Haltung zur Preisgestaltung gab sich der Gastronom sehr reserviert.
    Infolgedessen sehen wir uns gehalten, diese Lokalität in Zukunft zu meiden.
    E.D.

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Marianne Groß

... ist Gründungsmitglied des Wilhelmsburger InselRundblicks e. V. Sie berichtet – soweit möglich – über alles, was sie selbst interessiert und hofft, damit die Leser*innen nicht zu langweilen. Dazu gehören die Veränderungen im Stadtteil, Ökologie und Kultur. Zusammen mit ihrem Mann kümmert sie sich um den großen Garten und liebt es, Buchsbäume zu schneiden.

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