Groß-Sand: Anhörung als Posse?

Bei der öffentlichen Anhörung zur Schließung des Krankenhauses Groß-Sand im Hamburger Rathaus redeten die Wilhelmsburger*innen gegen Wände

Auf den großen öffentlichen Protest gegen die Schließung von Groß-Sand reagierte die zuständige Gesundheitssenatorin Melanie Schlotzhauer mit der Teilnahme an einer Informationsveranstaltung in Wilhelmsburg und der Einladung zu einer öffentlichen Anhörung des Bürgerschaftsausschusses für Gesundheit am 21. Juli 2025.

Über 100 Besucher*innen und 30 Redebeiträge

Blick in den Festsaal. Im Vordergrund die Besucher von hinten gesehen. Im Hintergrund die Ausschussmitglieder an U-förmig ausgerichteten Tischen mitn grünen Tischtüchern
Über 100 Interessierte waren zur Anhörung gekommen. Foto: W. Hopfenmüller

Weit über 100 Interessierte waren in den ehrwürdigen Festsaal des Rathauses gekommen. Fast 30 Einwohner*innen aus Wilhelmsburg und Beschäftigte aus dem Krankenhaus hatten Redebeiträge angemeldet. Die Mahnungen der Ausschussvorsitzenden Birgit Stöver, Missfallensbekundungen seien nicht zulässig, erwiesen sich als unnötig. Alle Argumente und Vorschläge zur Notwendigkeit eines voll ausgestatteten Krankenhauses wurden entschieden und höflich vorgetragen.
Sie waren auf Kundgebungen und in Veröffentlichungen in den vergangenen Wochen schon oft zu hören, man konnte sie in jeder Zeitung nachlesen (s. u. Berichte im WIR): Die Insellage des Stadtteils, die Absurdität, das Krankenhaus zu schließen und gleichzeitig Quartiere für weitere 15. 000 Menschen auf Wilhelmsburg zu bauen, die Tatsache, dass es insgesamt südlich der Elbe nur halb so viele Krankenhausplätze für die Bevölkerung gibt wie auf der nördlichen Elbseite. Ebenso oft waren schon die Erfahrungsberichte von Patient*innen und Mediziner*innen sowie die Vorschläge und die Forderungen zur Sicherstellung einer regionalen Notfallversorgung nachdrücklich vorgetragen worden. Manuel Humburg vom Verein Zukunft Elbinsel (ZEW) fasste in seinem Beitrag diese Forderungen und Vorschläge in acht Punkten noch einmal zusammen (Protokoll der Anhörung auf der Homepage).

Eindringliche Schilderungen der aktuellen Lage

Demonstration. Im Vordergrund eine Teilnehmerin mit einem Schild: Notfallstation muss bleiben
Die Wilhelmsburger*innen machen sich Sorgen. Foto: ZEW

Die Ausschussmitglieder nahmen die Redebeiträge ohne große Regung zur Kenntnis. Die eindringlichen Schilderungen der Situation vor und nach den Tagen der Schließung der Notfallaufnahme am 15. Juli von zwei Kolleginnen aus Groß-Sand sorgten allerdings doch für Nachfragen:

Sarah Yurdakan arbeitet in der Notaufnahme im Nachtdienst. Sie hätten mehr als sieben Rettungswageneinsätze pro Tag, berichtete sie. Sie benannte als Beispiel lebensbedrohliche Fälle von Patient*innen mit akuter Atemnot oder den Fall eines Patienten mit ausgekugelter Schulter, der vor Schmerzen kollabierte. In einem ihrer Nachtdienste sei das AK Harburg für acht Stunden komplett abgemeldet gewesen, kein einziger Rettungswagen konnte dorthin fahren. Und alle diese Rettungswagen seien zu ihnen gekommen. „Das war eine ziemlich hektische Nacht.“ Und auf die Nachfrage, ob das schon häufiger vorgekommen sei, sagte sie: „Ja, zumindest in meinen Nachtdiensten.“

Katja Ruschkowski arbeitet in Groß-Sand auf der Intensivstation. Sie berichtete über die Situation am 17. Juli, zwei Tage nach der Schließung der Notaufnahme. Ihr Notfallteam sei zur Pforte am Haupteingang gerufen worden. Die Angestellten, die jetzt dort sitzen, hätten keine medizinische Ausbildung. Der alten Dame mit Luftnot, die sie dort fanden, hätten sie vor der Schließung der Notaufnahme schnell und unkompliziert helfen können – nun hätten sie die Feuerwehr rufen müssen, damit die Dame in eine andere Notaufnahme gebracht werden konnte.

In einem weitere Fall sei das Team wegen einer Person mit einer allergischen Reaktion an die Pforte gerufen worden. Sie hätten dann 45 Minuten auf den Transport warten müssen und in diesen 45 Minuten habe eine einzelne Fachkraft die Person die ganze Zeit intensiv betreuen müssen. Ruschkowski wies auch noch einmal auf die Situation im AK Harburg hin. Dort würden die Rettungswagen zu Spitzenzeiten auf dem Parkplatz triagiert (nach Dinglichkeit der Fälle sortiert), weil die Notaufnahme dort überfüllt und überlastet sei. Und die Rettungswagen seien dann für weitere Einsätze blockiert.

Senatorin Schlotzhauer: „Fehlsteuerung und falsche Versorgung“

Schild auf dem Krankenhausgelände mit der Überschrft „Attention" und dem Text „Notaufnahme dauerhaft geschlossen" in vier Sprachen
Angebot für die Zukunft. Foto: H. Kahle

Im zweiten Teil der rund vierstündigen Ausschusssitzung nahm zunächst die Senatorin ausführlich Stellung. Sie äußerte Verständnis für die Wilhelmsburger*innen: „Die Themen, die Sie aufgebracht haben, sind auch unsere Themen.“ Im Wesentlichen führte sie aber ihre Position aus, die sie auch bereits auf der Veranstaltung auf Wilhelmsburg vorgetragen hatte: Die aktuelle Schließung der Notaufnahme und der Chirurgie würde nicht zu einer dramatischen Versorgungslücke auf der Elbinsel führen. Sie berief sich noch einmal auf die Ziele der Krankenhausreform, die die Grundlage des Senats für die Pläne mit dem Standort Groß-Sand seien. Danach wären die Ursache der finanziellen Notlage der Kliniken in Deutschland vor allem die „Fehlsteuerung von Patientinnen und Patienten und eine falsche Versorgung“ auch in Hamburg. Vor diesem Hintergrund werde es nach dem Hamburger Krankenhausplan in Groß-Sand eine Stadtteilklinik geben mit einem „Angebot, was für die Zukunft ausgewiesen ist“.

Wie die Stadtteilklinik konkret aussehen soll, ist unklar

Was die Stadtteilklinik auf keinen Fall sein soll, nämlich ein klassisches Krankenhaus, hatte die Senatorin immer betont. Aber wie diese Klinik dann genau aussehen wird, konnte sie nicht sagen. Außerdem wird wohl auch der*die neue Träger*in mitentscheiden. Die Ausschreibung könne aber erst beginnen, wenn die Stadt die Immobilie Groß-Sand von Erzbistum erworben habe. Und das wird auf keinen Fall vor 2026 sein. Einen Antrag der LINKEN, private, gewinnorientierte Bieter*innen vom Verfahren auszuschließen, lehnte sie mit Verweis auf den verpflichtenden offenen Wettbewerb aus.
Die Schilderungen der Situation vor Ort und die verschiedenen Vorschläge aus der Anhörung bezog sie in ihre Stellungnahme nicht ein. Auch die Ausschussmitglieder der regierenden rot-grünen Koalition begrüßten in ihren anschließenden Statements vor allem das Modell der Stadtteilklinik und sahen das Fehlen eines konkreten Konzepts sogar als Chance.

Der Verein Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg kritisierte in einer ersten Stellungnahme, dass die Argumente aus der vorangegangenen Anhörung in der Befassung durch den Ausschuss praktisch keine Rolle gespielt hätten.

Beteiligung oder Pseudobeteiligung

Logo. Die Wörter „Groß Sand muss bleiben" um ein rotes Kreuz angeordnet
Der Protest muss weitergehen. Logo: ZEW

Ein Antrag der LINKEN, die Abstimmung über die vorliegenden Anträge auf die nächste Sitzung des Gesundheitsausschusses bis zum Vorliegen eines konkreten Konzepts für die Stadtteilklinik zu vertagen, wurde mehrheitlich abgelehnt. Auch mit dem Hinweis, dass die Bürgerschaft das diesbezügliche Konzept der Koalition ja bereits im Juni beschlossen habe. Die dann zur Abstimmung stehenden Anträge der Oppositionsparteien, die unter anderem den Erhalt der Notfallambulanz und eine öffentliche Trägerschaft forderten, fanden erwartungsgemäß auch keine Mehrheit.

Für die weitere Planung sagte die Senatorin ein Beteiligungsverfahren zu, das auch nicht, wie von den Wilhelmsburger*innen befürchtet nur „Pseudobeteiligung“ zur Akzeptanzbeschaffung sein solle. Nach dem Verlauf dieser Anhörung im Rathaus wäre das allerdings eine Überraschung.

Nächstes Treffen zum Thema Krankenhaus Groß-Sand
Montag, 8. September um 19 Uhr, im RIA (Vogelhüttendeich 30)
Es soll einen Austausch zum aktuellen Stand geben und außerdem zur Perspektive und zu eventuellen weiteren Aktionsmöglichkeiten.

Alle Artikel zum Thema:
23.8.2025: „Unser Protest wird weitergehen!“
9.7.2025: Krankenhaus Groß-Sand muss bleiben!
27.6.2025: Schließung Groß-Sand – „Hier werden Leute sterben“
18.6.2025: Gesundheit ist (k)eine Ware
5.6.2025: Aus für das Krankenhaus Groß-Sand



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Hermann Kahle

Hermann Kahle schreibt über Kultur, Schule und für den Kaffeepott

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