Die dritte gemeinsame Veranstaltung „PopUp-Redaktion“ von WIR und TIDE-TV beschäftigte sich mit der Frage „Zusammenleben in Wilhelmsburg – Wie geht das?“ Die Antwort war: „So geht das!“

Foto: W. Hopfenmüller
Das Thema der Veranstaltung am 3. Juni im Communitiy Center Inklusiv (CCI) in Kirchdorf-Süd war recht offen formuliert: „Zusammenleben in Wilhelmsburg – Wie geht das?“. Aber die Sorge der Vorbereitungsgruppe, ob denn da viele Einwohner*innen kommen würden, erwies sich als unbegründet. Über 50 Besucher*innen hatten sich im CCI versammelt, Junge und Alte, aus Kirchdorf-Süd und anderen Wilhelmsburger Quartieren. Es gab sehr lebendige Diskussionen in den Gesprächsgruppen – eine Gruppe tagte, wegen der Wärme und Enge drinnen, vor der Tür. Dort versammelten sich auch während der ersten Veranstaltungshälfte immer mal „informelle“ Klöngruppen.
Vier wechselnde Gesprächsgruppen
Wie bei den beiden vorherigen „PopUp-Redaktionen“ wurden im ersten Teil der Veranstaltung die vier Unterthemen in wechselnden Gesprächsgruppen bearbeitet – moderiert von themenkundigen „Expert*innen“. Die Ideen, Vorschläge und Kritikpunkte der Diskussionsteilnehmer*innen wurden an Stellwänden schriftlich festgehalten.
Nach der Begrüßung durch Katrin Jäger von TIDE-TV stellte WIR-Redakteurin Sigrun Clausen die Struktur der Veranstaltung und die einzelnen Unterthemen vor: „Inklusion im Alltag“ (Expertinnen: Kathrin Schwarz, Daniela Quidas-Heer), „Interkulturelles Leben auf Wilhelmsburg“ (Judy Engelhardt, Salina Rast, Jasmeet Singh), „So geht das! Positive Beispiele für gutes Zusammenleben“ (Sigrun Clausen) und „Quartiersübergreifende Interessen“ (Oliver Menk, Jassir Salam).
Der Ablauf funktionierte dann nach dem World-Café-Prinzip: Nach jeweils 20 Minuten wechselten die Besucher*innen auf das Glockenzeichen von WIR-Redakteurin Marianne Groß zur nächsten Gruppe. An allen Thementischen wurde sehr intensiv diskutiert.
In der Pause – mit hochgelobtem Büfett von der Korallus-Kitchen – gingen die Gespräche unvermindert weiter und die jungen Leute von TIDE-TV legten letzte Hand an ihre Kameras, Beleuchtung und Mischpulte. Der zweite Teil der PopUp-Veranstaltung wurde wieder von TIDE gefilmt und kann demnächst im Netz angesehen werden (WIR veröffentlichen es, sobald es vorhanden ist).
Kritik und viele positive Beispiele



Nach der Pause übernahm Hartmut Sauer vom Verein Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg (ZEW) die Moderation. Er lobte eingangs, wie diese eigentlich schwierige Thematik so lebendig und konstruktiv diskutiert worden sei – kritisch, aber auch mit vielen positiven Beispielen. Das sei nicht selbstverständlich.
Haben wir in Wilhelmsburg interkulturelles Leben?
Judy Engelhardt, Programmleiterin „Interkultur“ im Bürgerhaus Wilhelmsburg, und Expertin der ersten Station fragte: „Haben wir in Wilhelmsburg interkulturelles Leben?“ Dazu gab es viele positive Statements über Toleranz: „Man lernt in Wilhelmsburg Toleranz“, das sei auch das Produkt einer langen Entwicklung. Es wurde der Wunsch nach mehr Austausch und Vernetzung der verschiedenen Initiativen geäußert und nach mehr Räumen für „respektvolle“ Begegnung gefragt. Es müssten noch auch mehr und gerade migrantische Wilhelmsburger*innen mit ins Boot geholt werden. Es gebe hier immer noch zu viele sprachliche und auch bürokratische Barrieren. Ein Teilnehmer bedauerte, dass interreligiöse Projekte noch zu wenig von den „normalen“ Menschen angenommen würden und wies auf den Tag der offenen Moschee am 3. Oktober hin.
Was ist schon normal
Zur „Inklusion im Alltag“, dem Thema der zweiten Gruppe, fragte Kathrin Schwarz vom CCI am Anfang: „Was ist schon normal?“ Und Co-Expertin Daniela Quidas-Heer von der Schule an der Burgweide sagte zum Begriff „behindert“, er sei diskriminierend. Menschen würden höchstens behindert.
In der Gruppe wurden mehrere Beispiele von Ausgrenzung behandelt, angefangen von der fehlenden Rolltreppe am Nordausgang der S-Bahnstation Wilhelmsburg bis zur beruflichen „Abschiebung“ von Menschen in Behindertenwerkstätten mit monotoner Arbeit und geringer Bezahlung. Kathrin Schwarz erwähnte auch die schlechte ärztliche Versorgung in Wilhelmsburg, die insbesondere für Menschen mit Einschränkungen ein Problem sei. Ein weiteres Thema in der Gruppe war die „barrierefreie Öffentlichkeitsarbeit“: Es mangele an verständlichen Informationen für Menschen mit Einschränkungen.
So geht das



Sigrun Clausen berichtete dann über die Diskussion in der Gruppe „Zusammenleben – so geht das“. Hier wurden die verschiedenen Projekte, Initiativen und Angebote des Zusammentreffens unterschiedlicher Menschen, die es in Wilhelmsburg gibt, auf den Stellwänden gesammelt.
Vorweg wies Clausen darauf hin, dass die positiven Beispiele von Zusammenleben nicht darüber hinwegtäuschen dürften, dass es Rassismus, Übergriffe der Polizei auf Migrant*innen und weitere, z. T. große Missstände gebe. Und dass es für die davon Betroffenen oft schwierig sei, sich zu Wort zu melden oder sich zusammen zu schließen. Auch auf einer Veranstaltung wie dieser seien sie aus nachvollziehbaren Gründen kaum vertreten oder würden sich nicht öffentlich äußern können.
Als Beispiele für gute Projekte des Zusammenlebens wurden die AG Kirchdorf, die Poliklinik auf der Veddel, die AG Frühe Hilfen, der Infoladen und Projekte wie 48h Wilhelmsburg genannt, ebenso der Wilhelmsburger Bildungsfonds mit den Kinder-Zirkus- und -Literaturprojekten, die aus dem früheren Forum Bildung Wilhelmsburg hervorgegangen sind. Positive Entwicklungen brauchten in der Regel Anstöße durch Initiativen oder Einzelne, was auf Wilhelmsburg deutlich häufiger geschehe als in anderen Stadtteilen. Die Vielfalt an Projekten sei eine Besonderheit der Insel – und ihre Bedeutung sei manchmal so groß, dass staatliche Stellen genau wüssten: Eine Zusammenarbeit ist geboten.
Ein Problem sei, dass manche Initiativen, auch ohne es zu wollen, oft als mehr oder weniger geschlossene „Bubble“ wahrgenommen würden, eine soziale Blase, die nach außen auf andere abgeschlossen wirkt oder es tatsächlich ist. Das gelte bis zu einem gewissen Grad auch für die Veranstaltung selbst, merkte Clausen an.
Ein großes Problem für die ehrenamtlichen Initiativen sei die Beschaffung der nötigen Finanzmittel. Viel Arbeit und Zeit gingen oft für das Einwerben von Zuschüssen usw. drauf. Doch trotz aller Schwierigkeiten sei es wichtig, einfach den ersten Schritt zu machen und etwas auszuprobieren.
Die Deichsicherheit und Groß-Sand
Oliver Menk von der Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg berichtete aus der Gruppe „Gemeinsame Interessen“ unter anderem über zwei Probleme, die alle Menschen auf der Elbinsel beträfen: Die Deichsicherheit, und aktuell die Schließung des Krankenhauses Groß-Sand. Außerdem fehlten überall in Wilhelmsburg Sportplätze und das kulturelle Angebot sei zu gering. Als konkretes Beispiel wurde der Sportplatz im Inselpark genannt, den sich Basketballer*innen und Fußballer*innen teilen müssen. Hier sei ein Extra-Fußballplatz vonnöten. Und unter anderem das Bürgerhaus und die Honigfabrik hätten zwar viele Kulturangebote in ihrem Programm, aber es gebe für diesen Stadtteil von demnächst 60.000 Einwohner*innen kein Kino und kein Theater.
In den Beiträgen einzelner Teilnehmer*innen wurde außerdem eine vorausschauende Verkehrsplanung (mit einer Stadtbahn und 7×73-Fähre) angemahnt und die zu geringe Zahl an (intakten) Parkbänken und Mülleimern kritisiert. Außerdem müsse es mehr soziale, bezahlbare Wohnungen im Stadtteil geben.
Auch in der zweiten Hälfte der Veranstaltung war die Diskussion sehr lebhaft. Es gab viele Wortmeldungen, so dass Hartmut Sauer als „Zeitwächter“ manchmal bremsen und zum „Kurzfassen“ mahnen musste.
Ermunterung, sich weiter einzumischen
Diese dritte PopUp-Redaktion von TIDE TV und WIR zeigte wie auch die beiden vorigen Veranstaltungen, dass es nicht wenige Wilhelmsburger*innen mit Interesse an einer Diskussion über ihren Stadtteil, seine Probleme und Möglichkeiten gibt. Ziel der Veranstaltungen war nicht, Beschlüsse zu fassen oder Eingaben an die Bezirksverwaltung zu verfassen, sondern, wie Katrin Jäger es in ihrem Schlusswort sagte, die Besucher*innen zu ermuntern sich weiter öffentlich einzumischen, zum Beispiel mit Beiträgen oder besser noch der Mitarbeit im WIR oder bei TIDE-TV.