Alle Bahnen stehen still, wenn die DEGES es so will

Mehrere Jahre Bahn-Chaos in Hamburg sind vorprogrammiert: Der Bezirk Hamburg-Mitte soll bis zum 15. November 2023 Gleissperrungen an allen acht Gleisen der Hamburger „Nord-Süd-Hauptschlagader“ und dem Bau von Hilfsbrücken zustimmen

Verein Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg. Nach der Planung der DEGES (Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH) soll die Autobahn A26-Ost mitten durch Wilhelmsburg führen und dabei die Nord-Süd-Bahnstrecke unterqueren. Der Autobahntunnel unter der Bahn soll in offener Bauweise gebaut werden. Die acht Gleise der Bahn (S-Bahn, Regionalbahn, IC, ICE, Güterbahn, Hafenbahn) sollen auf Hilfsbrücken verlagert werden, die nach Fertigstellung der Autobahn wieder abgebaut werden.

Hilfsbrücken sollen ohne rechtswirksamen Planfeststellungsbeschluss errichtet werden

Ende letzter Woche erhielten die Fraktionen in der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte (SPD, GRÜNE, CDU, LINKE, AfD und FDP) brisante Post von der DEGES mit der Bitte um „etwaige Stellungnahmen“ bis zum 15. November 2023. Der Öffentlichkeit wurde keine Mitteilung gemacht. Eine „vorläufige Anordnung“ durch die, für den Bau der Stadtautobahn A26-Ost zuständige, Planfeststellungsbehörde in der Verkehrsbehörde legt fest, dass die Hilfsbrücken südlich der Kornweide schon ab 2024 errichtet werden sollen, obwohl es weder einen rechtswirksamen Planfeststellungsbeschluss noch eine gesicherte Finanzierung für die A26-Ost gibt.

Der Übersichtslageplan von Straße und Schienen, Bezeichnungen hinzugefügt. Quelle: DEGES 2023

Bauzeit bis zu zehn Jahren

Die Planung: Die A26-Ost überquert die Kornweide und die B75, fällt dann steil ab und unterquert die Bahntrasse und die Siedlung Katenweg. Die Bahnen werden ab 2024/2025 auf acht Hilfsbrücken verlegt. Als Auflage werden Bohrpfahlwände und Bohrpfählestützen in den moorigen Untergrund gerammt und so tief verankert, dass sie auch als Spundwände für einen möglichen späteren Autobahntunnel fungieren können. Sind die Spundwände gebaut, wird die Baugrube für die Autobahn ausgehoben, der Tunnel für die A26-Ost gebaut und dann zugeschüttet. Danach werden die Bahngleise erneut auf den nun wieder geschlossenen Bahndamm verlegt. Die Prozedur dürfte wohl fünf bis zehn Jahre dauern.

Riskante Operation an Hamburgs Eisenbahn-Hauptschlagader

Zwar ist der Einsatz von Hilfsbrücken für die Bahn ein standardisiertes Verfahren. Die Unterquerung der Bahn durch die geplante Autobahn A26-Ost wird allerdings zu einer hochkomplexen und höchst riskanten Operation an Hamburgs Eisenbahn-Hauptschlagader. Es gibt keine Ausweichstrecke, weder für die S-Bahn, noch die Regionalbahn, noch für die international unverzichtbaren Strecken des Transeuropäischen Eisenbahnnetzes. Der Personen- und Güterverkehr für ganz Hamburg ist in Gefahr, wenn die Nord-Süd-Bahn nicht funktioniert: Hier verlaufen direkt nebeneinander die beiden S-Bahn-Gleise, vier Gleise für den Personen-Fernverkehr sowie zwei Güterbahntrassen. Mit vier Weichen wird an dieser Stelle der Abzweig in den Hamburger Hafen geregelt. Neben der S-Bahn mit Stromschienen werden alle Trassen über Oberleitungen elektrisch versorgt.

Horizontalschnitt Straße und Eisenbahnen (Ost-West-geplante Autobahn A26, Nord-Süd-Eisenbahnen).
Von links nach rechts: zwei Gleise Hafenbahn, vier Gleise Güter- und Personenbahn Richtung Norden, zwei Gleise S-Bahn.
An den Seiten werden die Pfähle so dicht gerammt, dass sie eine Spundwand bilden.
Quelle: DEGES 2023, Unterlage zur vorläufigen Anordnung

Die „organogenen Weichschichten“ auf der Elbinsel, in denen der Tunnel gebaut werden soll, haben schon beim Bau der Wilhelmsburger Reichsstraße die Kosten um mehr als das Sechsfache in die Höhe getrieben, die Planung für den Köhlbrandtunnel mussten wegen des moorigen Baugrundes gestoppt werden.

Böse Überraschungen sind vorprogrammiert

Der Erläuterungsbericht für die Anordnung erwähnt zwar Sperrzeiten für die Bahn, er listet sie aber weder zeitlich auf noch legt er dar, wann welche Strecke gesperrt werden und wie der Verkehr jeweils ersetzt werden soll. Neben absehbaren Sperrzeiten, die bereits mit der Bahn koordiniert wurden, sind Überraschungen vorprogrammiert.

Eine gründliche öffentliche Befassung und Einbindung aller Fachbehörden sowie der Bevölkerung ist unverzichtbar

Angesichts der erkennbar massiven Auswirkungen für die Gesamtstadt ist eine gründliche und öffentliche Befassung mit den geplanten Maßnahmen unverzichtbar. Das vorgegebene Zeitfenster von wenigen Tagen und die Erwartung einer quasi automatischen Zustimmung müssen von den Abgeordneten als Provokation empfunden werden. Die Planfeststellung für die A26-Ost läuft seit 2017; ein den Bau des Projektes sichernder Abschluss ist keineswegs garantiert und muss abgewartet werden.

Wir erwarten eine Befassung in der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte und in der Hamburger Bürgerschaft. Wir schlagen eine öffentliche Anhörung zur Klärung der zahlreichen offenen Fragen (z.B. Zeitachsen, Auswirkungen auf den Hamburger Verkehr, Sicherheitsrisiken, Kosten, Einschätzungen zum Baugrund und zum Entwässerungssystem auf der Elbinsel, Abstimmung mit anderen geplanten Baumaßnahmen, wie den geplanten Erneuerungen der Bahnbrücken über die Süderelbe und den Freihafenbrücken) unter Beteiligung der Hamburger Verkehrsbehörde, der Deutschen Bahn, der S-Bahn, der Wasserverbände, der Anwohner*innen etc. vor.

Alle verfügbaren Dokumente und weitere Infos unter: www.zukunft-elbinsel.de
Haben Sie Fragen? Schreiben Sie uns: info@zukunft-elbinsel.de

3 Gedanken zu “Alle Bahnen stehen still, wenn die DEGES es so will

  1. Eine vorläufige Anordnung für vorbereitende oder Teilmaßnahmen eines geplanten Baues, wie sie die DEGES anstrebt, setzt nach §17 Bundesfernstraßengesetz neben der Einleitung des Planfeststellungsverfahrens (dieser ist bei der A26-Ost erfolgt) u.a. voraus, 1.dass es reversible Maßnahmen sind, 2.dass an dem vorzeitigen Beginn ein öffentliches Interesse besteht, 3.dass mit einer Entscheidung zugunsten des Trägers des Vorhabens (also der DEGES) gerechnet werden kann.
    Die DEGES versucht das Bestehen dieser Voraussetzungen zu belegen, das gelingt ihr aber nicht.
    1. Beispielsweise kann die in der Anordnung vorgesehene Sperrung der jetzt auf der geplanten A26-Ost-Trasse verlaufenden Südlichen Wilhelmsburger Wettern faktisch nicht rückgängig gemacht werden.
    2. Das öffentliche Interesse an einem fortwährenden Bahnverkehr von S-Bahn, Regionalbahn, Fernbahn, Transeuropäischem Eisenbahnnetz und besonders auch dem Güterverkehr überrragt deutlich das Interesse an einem schnellen Bau der A26-Ost. Es gibt auch bei einer zeitweiligen Sperrung der gesamten Trasse (mit Ausnahme eines Teils des Hafenverkehrs über die Kattwyckbrücke) keine Ausweichmöglichkeit für den Nord-Süd-Bahnverkehr durch Hamburg: Die nächste elektrifizerte Nord-Süd-Bahnstrecke liegt 170km von Hamburg entfernt bei Wittenberge.
    3. Eine Entscheidung für die A26-Ost ist alles andere als sicher, da bisher noch gar kein Abschnitt der A26-Ost (weder 6a in Moorburg, noch 6b durch die Hohe Schaar, noch 6c durch Wilhelmsburg) planfestgestellt wurde. Für den Abschnitt 6b fehlt sogar noch eine von der DEGES angekündigte Änderung der Planung. Es wäre eine Verhöhnung des Gerichtes, wenn man jetzt so tut, als hätte das Gericht schon entschieden.
    Außerdem ist die Finanzierung völlig offen. Nach einem Bericht des Bundesverkehrsministerium vom Juli 2023 sind die Kosten der A26-Ost von 2014 bis 2022 um das 2,5fache gestiegen, das Bundesverkehrsministerium plant eine neue Priorisierung.
    Der von der DEGES geplanten Anordnung darf weder der Bezirk Mitte noch die Freie und Hansestadt Hamburg zustimmen.

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