Am 9. August fand die Öffentliche Plandiskussion zum geplanten „Spreehafenviertel“ statt. Der vom Stadtplanungsamt Mitte vorgestellte Bebauungsplan lässt jedoch keine zukunftsfähige Planung erkennen. Die drängenden Fragen des 21. Jahrhunderts nach Klima- und Artenschutz sowie sozialer Gerechtigkeit wurden nicht beantwortet.
Für das Neubauprojekt sollen 1.200 der 2.000 Bäume des Wilden Waldes am Ernst-Agust-Kanal gerodet werden.
Anm. d. Red.: WIR veröffentlichen hier zunächst diese Pressemeldung der Initiative “Waldretter:innen Wilhelmsburg”. Einen ausführlichen Bericht von der Veranstaltung bekommen unsere Leser:innen von WIR-Redakteurin Marianne Groß am “Erscheinungstermin” des neuen eWIRs am 19.8.
Es konnten nur wenige Menschen an der Diskussion über das IBA-Projekt im Norden Wilhelmsburgs teilnehmen, da sie im Plenarsaal der Bezirksversammlung im Bezirksamt Hamburg-Mitte stattfand. Aufgrund der Corona-Verordnung fanden in diesem Raum lediglich 35 Menschen Platz, weitere zehn Bürger:innen konnten die Veranstaltung im benachbarten „Wilhelmsburger Raum“ auf einem Fernseher verfolgen. Auf diese Weise war eine konstruktive und auch kontroverse Diskussionsatmosphäre unmöglich. Das Bürgerhaus Wilhelmsburg hatte einen größeren Saal angeboten, der aber von den Verantwortlichen abgelehnt worden war, „weil am selben Abend ein Konzert vor den Türen stattfindet und damit die notwendige Ruhe für die Plandiskussion nicht gewährleistet ist“. Im Bezirksamt in der Caffamacherreihe mussten dagegen viele Menschen vor der Tür bleiben und konnten ihre Fragen und Anregungen nicht einbringen. Zwölf Menschen demonstrierten spontan vor dem Gebäude, um ihren Protest gegen die Zerstörung der Natur auszudrücken.
Die Erläuterung des Bebauungsplan-Entwurfes übernahm der Leiter des Stadtplanungsamtes Michael Mathe. Bei der Vorstellung des Neubauprojektes und der anschließenden Diskussion blieb der Eindruck, dass das Ob des Spreehafenviertels bereits politisch entschieden ist. Eine offene Diskussion war nicht möglich, emotionale Wortmeldungen der Anwohner:innen wurden nicht nur vom Podium, sondern auch von den im Zuschauerraum sitzenden SPD- und CDU-Politikern unterbunden. Mit wenigen Ausnahmen zeigten die teilnehmenden Anwohner und Bürgerinnen nahezu übereinstimmend ihren Unmut über die überholte Stadtplanungspolitik und die mangelhaften demokratischen Partizipationsmöglichkeiten. Die Klimakrise und ihr Zusammenhang mit den städtischen Neubauvorhaben stand im Mittelpunkt vieler Wortbeiträge und Fragen. (Lediglich ein Teilnehmer ließ sich, nachdem er zunächst seine Begeisterung für die Planungen des „Spreehafenviertels“ geäußert hatte, zu der klimakrisenleugnenden Aussage hinreißen, dass Hamburg ohne Klimaerwärmung immer noch unter einer Eisschicht liegen würde …)
Frederik Schawaller vom NABU Hamburg-Süd führte aus, wie absurd und widersprüchlich die Senatspolitik ist. Er verwies auf den Hamburger Klimaplan, nachdem alle Bezirke einen Hektar Wald aufforsten sollen. Dort heißt es: „Die Erhaltung und Entwicklung der Baumbestände ist daher wichtig. Alle Bezirke sollen deshalb Flächen für eine mögliche Aufforstung bzw. die Wiedervernässung von Mooren benennen“. Vor dem Hintergrund der Klimakrise ist die Zerstörung des 10 ha großen intakten Ökosystems des Wilden Waldes, in dem mehrere Tierarten leben, die auf der Roten Liste stehen, unverantwortlich und rechtswidrig. Der Wilde Wald ist nach der aktuellen Biotopkartierung als besonders wertvoll eingestuft. Eine Zerstörung dieses Waldes würde den Biotopverbund im Norden Wilhelmsburgs abreißen lassen und den Tierarten, die auf geschlossene Naturflächen angewiesen sind, den Lebensraum vernichten. Alle Nachfragen zum Thema Naturschutz, zum Beispiel wie eine 40 km entfernte Ausgleichsfläche auf das lokale Mikroklima wirken soll, wiegelten die Bezirksvertreter konsequent ab und verwiesen darauf, dass sich die Fachbehörden hiermit im weiteren Planungsprozess befassen würden. Die Reaktionen der Anwohner:innen zeigen aber, dass sie sich nicht mit einer Stadtplanung zufriedengeben, die auf drängende Zukunftsfragen keine Antworten gibt.
Vorschläge der Bürger:innen, den Wilhelmsburger Westen, in dem sich zur Zeit nur Gewerbe, Industrie und Hafenlogistik befinden, für den Wohnungsbau zu prüfen, wurden als fraglos unrealistisch abgetan. Es war offensichtlich, dass sich der Senat und der für die Flächennutzung in Wilhelmsburg zuständige Bezirk Mitte nicht gegen die Hausmacht der HPA durchsetzen können oder wollen. Die Umwidmung und Sanierung bereits versiegelter Flächen birgt große Potenziale für Wohnungsbau und kulturelle Nutzungen. Nachfragen zur Gentrifizierung konnten aufgrund der fortgeschrittenen Zeit gar nicht mehr gestellt werden. Fred Rebensdorf, stellvertretender Vorsitzendener des Stadtplanungsausschusses Mitte, verwies darauf, dass er bald ins Bett wolle, weil er um 4:00 Uhr wieder aufstehen müsse. Dass auch die Vertreter:innen der Bürgerinitiative der Waldretter:innen und des Bündnisses „Rettet Hamburgs Natur“ nicht zum Spaß ihre Freizeit im Bezirksamt verbringen, war ihm wohl nicht bewusst.
Auch die Nachfrage eines Vertreters der Initiative „Rettet das Diekmoor“, ob mit Protesten der Waldbesetzerszene, die auch in Hamburg sehr aktiv zu sein scheine, gerechnet werde und Hamburg nach dem G20-Gipfel womöglich ein zweites Mal linksradikale Aktivitäten unterschätze, blieb unbeantwortet.
Jürgen Baumann von den Waldretter:innen fasst resigniert zusammen: “Unter solchen Bedingungen der Bürgerbeteiligung auf lokaler Ebene, aber auch im großen Polittheater, fühle ich mich wie ein Statist, während die Umwelt im Großen wie im Kleinen platt gemacht wird.”
Die vollständige Öffentliche Plandiskussion finden Sie hier:
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