Am Veringkanal fing alles an

Hark Bohm ist gestorben. Er hat als Autor, Regisseur, Produzent und Filmpolitiker ein Stück deutsche Filmgeschichte geschrieben. Zu Wilhelmsburg hatte er ein besonderes Verhältnis

„Nordsee ist Mordsee“: Die Abenteuerreise begann an der Veringkanal-Schleuse. Collage: H. Kahle

Vor einer Woche ist Hark Bohm im Alter von 86 Jahren gestorben. Mit dem Jugendfilm „Nordsee ist Mordsee“ hat er vor 50 Jahren Wilhelmsburg in die Kinos gebracht.

Wenige Jahre nach dem Start des Films 1976 habe ich „Nordsee ist Mordsee“ zum ersten Mal gesehen, zusammen mit einer Kirchdorfer Schulklasse. Nicht im Kino sondern als Videoaufzeichnung im Fernseher, im Wohnzimmer eines Schülers in Kirchdorf-Süd.

Die Kinder waren schockiert über einige Gewaltszenen, in denen der betrunkene Vater seinen Sohn Uwe und die Mutter schlägt. Aber das Leben der Jugendlichen, die mit ihrer Bande andere Kinder schikaniert und kleine Gesetzesverstöße begeht, war ihnen nicht fremd. Die meisten Drehorte kannten sie sowieso. Und dann war da natürlich das spannende Abenteuer der beiden Jungen, Uwe und Dschingis, die Freunde werden und vor den Problemen zu Hause abhauen – mit dem Segelboot die Elbe runter.

Der Film ist eine gute realistische, dramatische, Mut machende Geschichte. Das hat ihn zum Kultfilm gemacht. Für die Filmkritik ist es eine „sozialkritische Coming-of-Age-Produktion“. Hark Bohm sagte in einem Interview: „Ich wollte von einer Welt erzählen, die in meinem Bewusstsein ist, auch wenn diese in der öffentlichen Wahrnehmung nicht stattfand.“

Filmemacher und Filmpolitiker

Hark Bohm war einer der vielseitigsten Filmemacher*innen in Deutschland. Neben seinen Arbeiten als Produzent und Regisseur gehörte er in den siebziger Jahren in München zu den Gründern des „Filmverlags der Autoren“, er war an der Gründung des „Hamburger Filmbüros“ und des „Filmfestes Hamburg“ beteiligt. Das 1992 an der Universität Hamburg eingerichtete Filmstudium geht auf seine Initiative zurück.

Hark Bohm war auch als Schauspieler aktiv und in zahlreichen Filmen als Darsteller von Nebenrollen zu sehen. Vor allem aber verbinden sich mit seinem Namen einige preisgekrönte Filme, bei denen er Regie geführt hat oder als Drehbuchautor oder Coautor beteiligt war, wie die Filme „Moritz, lieber Moritz“, „Yasemin“ oder „Tschick“. Oft geht es dabei um junge Menschen, die eine schwierige Lebenssituation meistern müssen. Der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda sagte zum Tod von Hark Bohm, er habe „mit leidenschaftlicher Vernunft den Film als eine Möglichkeit gesehen, soziale Gegenwart zu zeigen, um menschliche Zukunft denkbar zu machen.“

Hark Bohm und Wilhelmsburg

Vieles hat sich seit dem Dreh vor 50 Jahren verändert. Der Veringkanal heute.
Foto: H. Kahle

„Nordsee ist Mordsee“ ist nur einer seiner guten Filme. Aber zu diesem Film und zu Wilhelmsburg hat Hark Bohm immer eine besondere Beziehung gehabt. Hier hat er die jungen Darsteller*innen des Films gefunden. Hier hat er 1974 für seinen Fernsehfilm „Ich kann auch ’ne Arche bauen“ Uwe Enkelmann „entdeckt“, der dann 1976 die Hauptfigur „Uwe“ in „Nordsee ist Mordsee“ spielt. Enkelmann und Dschingis Bowakow, der Darsteller des „Dschingis“, wachsen als Ziehsöhne in der Familie Bohm auf. Später adoptiert Hark Bohm Uwe, der von da an Uwe Bohm heißt.

Und immer wieder mal war Hark Bohm zu Wiederaufführungen von „Nordsee ist Mordsee“ auf den Elbinseln, hat Führungen zu den damaligen Drehorten gemacht, die rund um den heutigen Bertha-Kröger-Platz lagen, und zur Veringkanal-Schleuse, wo Uwe und Dschingis ihr Floß ins Wasser setzten. Und er sprach mit den Besucher*innen darüber, wie vieles sich seit den 70er Jahren in Wilhelmsburg verändert hat.

Amrum

Zur Zeit läuft in den Kinos ein Film, der auf der Nordseeinsel Amrum spielt. Es ist die Verfilmung des vor einem Jahr erschienenen autobiographischen Romans „Amrum“ von Hark Bohm. Darin erzählt er von einem schwierigen Abschnitt seiner Kindheit, den er – ausgebombt in Hamburg – am Ende des Zweiten Weltkriegs auf Amrum verbrachte. Für den Film zeichnet Fatih Akin als Regisseur verantwortlich, das Drehbuch hat er gemeinsam mit seinem Mentor Bohm geschrieben. Der Film endet mit einem Sprung in die Gegenwart: Hark Bohm steht, auf einen Stock gestützt, am Strand und schaut aufs Meer.

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Hermann Kahle

Hermann Kahle schreibt über Kultur, Schule und für den Kaffeepott

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