Schön für Menschen, tödlich für Vögel

In der Umweltbehörde an der Neuenfelder Straße wurde eine Ausstellung zum Thema „Vogelschlag an Glasscheiben“ eröffnet

115 Millionen Vögel sterben jährlich in Deutschland, weil sie gegen Glasflächen an Gebäuden fliegen. Glas: Was für den Menschen ein schönes Baumaterial ist, das für natürliches Licht und Helligkeit in den Räumen sorgt, ist für Vögel eine tödliche Falle. „Möglicherweise“, so machte Umweltsenator Jens Kerstan in seiner kleinen Eröffnungsansprache deutlich, „ist Vogelschlag an Glasfassaden die größte Bedrohung für unsere Vogelpopulationen im Stadtraum“.

Seit dem 19. Jahrhundert wurde der Einbau von Glasfenstern Stück für Stück Normalität. Aber erst in jüngerer Zeit wird Glas in großem Maßstab nicht nur als Lichtgeber sondern als architektonisches Gestaltungselement verwendet: Wir alle kennen die Hochhäuser und anderen Gebäude mit ihren riesigen Glasflächen, Fensterfronten oder verglasten Balkonen.

Zum Beispiel die Umweltbehörde in Wilhelmsburgs „Neuer Mitte“, dieser geschwungene, verspielte, bunte Glaskasten, der 2012 unter der Ägide der Internationalen Bauaustellung (IBA) entstanden ist. Ein energieeffizientes, modernes und repräsentatives Gebäude, das damals das gedachte neue Zentrum der Elbinsel attraktiv machen sollte. „Ein toller, nachhaltiger Bau. Da wurde an alles gedacht – nur nicht an die negativen Folgen der großflächigen Verglasung für die Vögel“, wie der Hausherr berichtete. Und tatsächlich kam es in den Anfangszeiten auch an der BUKEA zu Vogelschlag.

Vogelschlag durch Glas an Gebäuden ist die zweitgrößte vom Menschen verursachte Bedrohung unserer Vögel

Eine Ausstellung im Foyer der Behörde erklärt jetzt anschaulich und sehr gut aufbereitet die Ursachen und Auswirkungen des Problems und stellt die Lösungen vor. „Neben Klimawandel, Umweltzerstörung und dem daraus resultierenden Artensterben ist der Vogelschlag durch Glas an Gebäuden die größte vom Menschen verursachte Bedrohung unserer Vögel; dicht gefolgt von Hauskatzen, denen 104 Millionen Vögel jährlich zum Opfer fallen“, berichtete Stefanie Wiedmann, eine der Ausstellungsmacherinnen von der TU Dresden, zu Beginn ihres Vortrags.

Das liegt vor allem daran, dass Vögel eine für das Erkennen von durchsichtiger Materie ungeeignete Sehweise haben. Für sie ist es wichtig, alle Arten von Grün in ihrer Umgebung sehen zu können, denn das sind ihre Jagd-, Brut- und Lebensräume. Daher können ihre Augen ein großes Grünspektrum sehr gut wahrnehmen, andere Dinge aber nicht so gut. Hinzu kommt, dass Vögel zwar durch ihre seitlich am Kopf sitzenden Augen einen 360-Grad-Rundumblick haben, ihr räumliches Sehen allerdings nicht so ausgeprägt ist. Beide Eigenschaften zusammen führen dazu, dass sie jedes sich in einer Glasscheibe spiegelnde Grün für bare Münze nehmen und flugs darauf zusteuern, um sich dort niederzulassen. Die Barriere Fensterglas nehmen sie nicht wahr. Meist erleiden sie dann einen tödlichen Genickbruch.

Das betrifft nahezu alle Vogelarten, die an den jeweiligen Gebäudestandorten leben; Standvögel, Nahrungsgäste, Durchzieher, kleine und größere Arten.

Viele verschiedene Vogelarten kamen anfangs auch am neuen, architekturpreisgekrönten Biologie-Gebäude der TU Dresden zu Tode: „Voll verglast, ganz viel Grün drumrum“, so Wiedmann. „Wir hatten da von Beginn an massiv Vogelschlag. Das waren Meisen, Finken, Sperlinge, auch Eisvögel, Turmfalken und Sperber.“ Studierende und Lehrende der Fakultät griffen das Thema auf, zunächst vor allem, um Abhilfe an ihrem Gebäude zu schaffen. Daraus wurde ein Forschungsprojekt, in dem die Teilnehmer*innen schließlich auch die Ausstellung entwickelten. Die Wanderausstellung tourt schon seit 2022 durch Deutschland.

Ein ausgestopfter Eisvogel in einem Glaskasten.
Dieser Eisvogel wurde Opfer einer Glasscheibe am der neuen Biologie-Fakultät der TU Dresden. In der Ausstellung sind mehrere Präparate von Vogelschlagopfern aus Dresden zu sehen.

„Tatsächlich ist es so: Je mehr Glas am Gebäude plus je mehr Grün um das Gebäude herum, desto mehr Vogelschlag“, erklärte Stefanie Wiedmann. „Ausschlaggebend ist die Spiegelung von Grün. Das gilt übrigens auch für Fassaden mit kleineren oder weniger Fenstern.“ Das bedeutet natürlich nicht, dass die Lösung in der Abschaffung des letzten Grünbestands in unseren zubetonierten Städten besteht, im Gegenteil: „Wir müssen aufforsten, mehr Grünvolumen schaffen für alle Lebewesen in der Stadt“, sagte Wiedmann.

Eine Glasscheibe mit vertikalen orangefarbenen Linien.
Ein vogelfreundliches Beispielglas in der Ausstellung. Bei linearen Mustern sind vertikale Linien wichtig.

Abgeschafft werden müssen die spiegelnden, für Vögel nicht erkennbaren Glas-Barrieren. Zum einen muss die übermäßige Nutzung von Glas als Bauelement beendet werden, zum anderen muss dort, wo es wirklich gebraucht wird, mit speziell behandeltem, vogelfreundlichem Glas gebaut werden. Das entspricht auch der langfristigen Strategie der Umweltbehörde: „Am besten ist die Verhinderung von Vogelschlag schon beim Bau neuer Häuser. Dieses Thema gehen wir sektorenübergreifend hamburgweit an“, sagte Jens Kerstan.

Beispiele, wie ein solches vogelfreundliches Glas gestaltet sein muss – und ästhetisch durchaus ansprechend sein kann – werden in der Ausstellung gezeigt. Wichtig ist, dass das Glas entspiegelt ist. Gut geeignet sind Milchglas, Strukturglas oder mit Laser in das Glas gezeichnete vertikale oder gepunktete Muster und Motive. Für diese „Vogelschlagmuster“ gilt die „Handflächenregel“: Alle Markierungen dürfen nicht mehr als 10 cm voneinander entfernt sein. Gut funktionieren auch außen (!) angebrachte Lamellen oder Jalousien.

Und was können Menschen an ihren bereits gebauten, nicht vogelfreundlich verglasten Gebäuden zum Schutz der Vögel tun? Es gibt spezielle, gemusterte Folien zum Aufkleben auf das Glas. Für sie gelten die gleichen Vorgaben wie für die gelaserten „Vogelschlagmuster“. Die Folien sind allerdings sehr kostspielig und halten nur rund 15 Jahre. Wer wenig Geld, aber Spaß an kreativem Gestalten hat, kann tatsächlich mit weißer Fensterfarbe selbst die entsprechenden Muster oder passende Schriftzüge auf sein Glas malen. Für alle Methoden gilt: Immer von außen anbringen!

Gar nicht hilfreich ist die manchmal noch verwendete Greifvogelsilhouette auf der Scheibe: Sie stellt kein Muster im Sinne der „Handflächenregel“ dar – und wird außerdem von den kleineren Artgenossen gar nicht als Feind erkannt.

In Dresden an der TU haben sie sich für eine künstlerisch gestaltete Folie mit einem abstrakten floralen Muster entschieden. Und die Glasfronten der BUKEA ziert eine nach neuesten Erkenntnissen gestaltete Folie mit Punktraster und leichter Tönung.

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Sigrun Clausen

Wenn sie nicht am Nachbarschreibtisch in ihrer Schreibstube arbeitet oder in der Natur herumlungert, sitzt sie meist am Inselrundblick. Von ihm kann sie genauso wenig lassen wie von Wilhelmsburg.

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