„Das Quartier wird sich einfach verändern“

Das Vereinshaus des Wilhelmsburger Ruderclubs ist endgültig Geschichte: im Winter 2023/24 wird es abgerissen. WIR haben mit Simona Weisleder, 1. Vorsitzende des 128 Jahre alten Traditionsvereins, und Sabine Bräuer, Leiterin der „Clubhaus AG“, über die Zukunft des Ruderclubs gesprochen

Zwei Frauen sitzen auf Barhockern, mit dem Gesicht von der Bar abgewandt. Im Hintergrund an der Wand ein beleuchtetes Schild mit der Aufschrift "Wilhelmsburger Ruderclub von 1895 e.V."
Simona Weisleder (li.) und Sabine Bräuer an der Theke des WRC. Foto: J. Domnick

Schon von weitem ist zu sehen: die Bauarbeiten hinter dem Clubhaus des „Wilhelmsburger Ruderclub“ (WRC) sind in vollem Gange. Während draußen große Baumaschinen gewaltige Mengen Sand auf den nassen Boden kippen, damit dort Container für Geflüchtete und später die Campusschule stehen können, sitzen wir bei Apfelschorle im gediegenen Saal des Vereins. Ab und an stecken Menschen ihre Köpfe durch die Tür, denn in einer Stunde fangen Mitglieder an, die ersten Habseligkeiten des Vereins zusammenzupacken. Was seit 2019 beschlossene Sache ist, kann nun endlich beginnen: Im kommenden Winter wird das Gebäude am Aßmannkanal, das Vereinsmitglieder Anfang der 60er Jahre mit eigenen Händen gebaut haben, abgerissen.

Schon 2016 hatte eine Architektin des „Hamburger Sportbunds“ (HSB) festgestellt, dass der Bau nur noch etwa fünf bis zehn Jahre halten wird. Etwa zeitgleich erarbeiteten die Mitglieder des Vereins in einem Workshop ein neues Selbstverständnis, weil sie feststellten, dass der Zuzug von mehreren tausend Menschen in direkter Nachbarschaft auch neue Bedürfnisse mit sich bringen wird. „Der Wilhelmsburger Ruderclub ist schon immer im Stadtteil verankert gewesen. Aber dieser Stadtteil verändert sich gerade extrem. Deshalb hat uns das neue Selbstverständnis geholfen, herauszufinden, was für ein Verein wir sein wollen, wie wir uns einbringen wollen. Ein Startschuss in die Zukunft“, erklärt Sabine Bräuer.

Sie leitet die „Clubhaus AG“, die innerhalb des Vereins für den Neubau verantwortlich ist – von den ersten Ideen zur Gestaltung, über die Finanzierung, bis zur Umsetzung der Pläne. Lange Zeit war sie 2. Vorsitzende des WRC. Die derzeit 143 Mitglieder entschieden sich 2017 wegen der Kostenabwägung, auch der zukünftigen Betriebskosten, für einen Neubau anstatt einer möglichen Sanierung. Auch der HSB hatte festgestellt, dass das Clubhaus nicht mehr zu im Verhältnis stehenden Kosten saniert werden kann und ebenfalls einen Neubau empfohlen.

„Wir sind schon seit 2016 mit der IBA GmbH im Gespräch, seit klar ist, dass hier ein neues Quartier und eine neue Schule gebaut werden sollen. Sowohl sie als auch die Politik wollen den Erhalt des Vereins“, sagt Simona Weisleder. Sie ist stolz, die erste weibliche Vorsitzende in der gesamten Vereinsgeschichte zu sein. Erst seit 65 Jahren dürfen Frauen überhaupt im WRC mitrudern. Als Mitarbeiterin der „steg Hamburg“ hat sie selbst Stadtentwicklungs- und Quartiersmanagement-Erfahrungen. „Die IBA hat den Wunsch unseres Vereins nach einem neuen, modernen Clubhaus in dem neu entstehenden Quartier immer mitgetragen. Die Mitglieder möchten, dass wir für diese Veränderungen gut gerüstet sind und langfristig unseren Ruderbetrieb sichern und verbessern.“

(Fast) die alte, neue Lage

Das neue Clubhaus wurde vom Architekturbüro „Hosoya Schaefer Architekten“ entworfen. Es wird ein Stück weiter zum Vogelhüttendeich „rutschen“, aber nicht wesentlich größer sein. Dafür muss der Parkplatz verlegt werden und das letzte Stück Grün weichen. Der Grund: Auf der großen Wiese, auf der jetzt einige Boote lagern und die Wohnwagen-Sauna „Zunderbüchse“ ihren Standort hat, ist ein Zugang zur „Campusschule“ vorgesehen, die ab 2025 am Kanal entstehen soll (WIR berichteten). Dort hat die IBA zusätzlich eine Fußgänger:innen-Brücke geplant, die zur Mannesallee hinüber führen wird.

Blick auf den Aßmannkanal und das neue Ruderhaus vom ggü. liegenden Ufer. Ein langgezogenes Gebäude mit vielen, hell erleuchteten Glaselementen. Links die Holzschiebetür.
Entwurf des neuen Ruderclubs. Grafik: Hosoya Schaefer Architekten

Der WRC bekommt eine Bootshalle mit Werkstatt, einen großen, teilbaren Saal und einen Kraftraum, eine Küche, einen Besprechungs-, einen Gast- sowie mehrere Lagerräume, u. a. für die Kanus der Berufsschulen. Neu ist die sogenannte Kioskfunktion des Gebäudes: Bei laufendem Betrieb können die Holzläden komplett zur Seite gefahren werden, so dass das Haus offen für den Stadtteil bleibt. Außerdem wird der Vorplatz erweitert, so dass die Boote dort gewaschen und gepflegt werden können. Und: „Wir Frauen bekommen endlich genauso große Sanitär- und Umkleideräume wie die Herren!“, freut sich Simona Weisleder. „Und alle werden barrierefrei sein.“ Das soll auch für den neuen Steg gelten, für den aber noch Geld eingeworben werden muss. Das ist nicht nur für Pararuderin und Olympiateilnehmerin Sylvia Pille-Steppat wichtig, denn „(…) das Thema heißt Inklusion. Viele von uns sind ja auch nicht mehr die Jüngsten, deshalb hilft ein barrierefreier Zugang zum Wasser allen Ruder:innen“, betont Sabine Bräuer.

WIR möchten wissen, ob es auch in Zukunft möglich sein wird, den Steg als beliebte Bademöglichkeit zu nutzen. Doch davon sind die beiden Damen auch jetzt schon nicht begeistert. Da die Rudernden rückwärts fahren, sei das sehr gefährlich, sie wünschen sich eine stärkere Trennung von Ruder- und Badebetrieb.

Hohe Baukosten sorgen für Verzögerung

Bund und Stadt Hamburg mussten natürlich zunächst für die Finanzierung des Neubaus gewonnen werden. „Wir hatten gedacht, das Geld kommt dann auch von der IBA, die uns auf den Neubau angesprochen hatte, aber so war es nicht“, lacht Bräuer. Alle zwei Wochen trifft sich die Projektgruppe, an der neben dem Bauherrn Bezirk Mitte, der Projektsteuerung durch das Amt für Bauordnung und Hochbau (ABH) sowie den Architekt:innen auch Sabine Bräuer und Rüdiger Leuner als Nutzervertreter:innen beteiligt sind. Wenn der Neubau fertig ist, bekommt der WRC, wie auch in der Vergangenheit, einen Sportrahmen-Vertrag mit der Stadt.

Vor vier Jahren schien schon alles in trockenen Tüchern zu sein: 2,2 Millionen Euro hatten Bezirk, Stadt und Bund locker gemacht. Doch Anfang 2022, nach weiteren Bodensondierungen und gestiegenen Materialkosten wurde klar: Es reicht nicht. Die Bürgerschaft schob 500.000 Euro nach, um die gestiegenen Baukosten abzudecken. Weitere 400.000 Euro aus dem Quartiersfonds kamen hinzu. „Alle Parteien der Bürgerschaft waren dafür, keine hat dagegen gestimmt“, freut sich Bräuer.

Eine holzvertäfelte Wand mit wei Türen. Darüber ein Mosailrelief mit dem Wappen des WRC. An einigen Stellen sind die Mosaiksteinchen schon entfernt.
Teile des selbstgemachten Mosaiks sind schon eingepackt, im Neubau findet sich sicherlich ein hellerer Platz. Foto: J. Domnick

Ein großes Thema allerdings bleibt: „Wenn 80 Prozent der Angebote der Gewerke für den Neubau vorliegen, können wir mit dem Abriss beginnen, der Neubau kommt direkt danach und soll etwa ein Jahr dauern. Für diese Zeit brauchen wir Provisorien, um den Ruderbetrieb aufrecht erhalten zu können. Der fantastische Zusammenhalt der 25 Hamburger Rudervereine hilft uns enorm. Der Motor-Yacht-Club Dove-Elbe-Wilhelmsburg hat uns angeboten, Boote bei ihm zu lagern, um von dort einen kleinen Ruderbetrieb aufrecht erhalten zu können. Trotzdem werden wir große Container und ein großes Zelt für unsere Materialien, Teile der Möbel und Boote benötigen“, erklärt Bräuer. Denn während des Umbaus können die Sportler:innen aus Sicherheitsgründen nicht vom alten Standort aus zu ihrem Training aufbrechen. Der Bebauungsplan für das geplante „Elbinselquartier“ enthält zusätzliche Anforderungen, wie zum Beispiel eine energieeffiziente Photovoltaikanlage und eine Dachbegrünung. Simona Weisleder macht klar: „Da müssen noch ein paar Taschen aufgehen.“

WIR finden es schade, dass das Grün-Biotop zwischen Vogelhüttendeich und Aßmannkanal dem Neubau weichen muss. Und auch die „Zunderbüchse“ wird nach dem Neubau wohl nicht wieder auf das WRC-Gelände ziehen: „Wir stehen in regelmäßigem Kontakt, auch Mitglieder des Vereins nutzen die Sauna, und wir werden rechtzeitig über den Baubeginn informieren. Für die Zwischenzeit müssen sich die Sauna-Fans einen neuen Standort suchen“, erklärt Bräuer. „Und danach wird hier ja auch nicht mehr so eine kuschelige Ecke sein. Das Quartier wird sich einfach verändern“.

Rudern als Sportfach?

Wegen des Baus der Campusschule, die eine besondere pädagogische Ausrichtung mit sportlichem Schwerpunkt bekommen soll, stehen die Verantwortlichen des WRC seit drei Jahren in Kontakt mit der Schulbehörde. Und seit letztem Sommer gibt es eine „Gründungsschulleitung“ mit der sie sich schon zusammengesetzt haben. „Wir würden uns freuen, noch mehr Kinder und Jugendliche an den Ruderbetrieb heranführen zu können und zugleich wäre es ein tolles Angebot für eine Schule, die so von Wasser umgeben ist“, ist Sabine Bräuer überzeugt. „Aber es kommt auf die Ausgestaltung an. Die Schule sollte dann auch eine:n Sportlehrer:in einstellen, die oder der rudern kann. Auch die Bootspflege ist uns wichtig. Wir können zwar gerne mal einen Zwei-Tage-Kurs o. ä. anbieten, aber den Schulunterricht könnten wir nicht ehrenamtlich stemmen.“ Bis es soweit ist, wird noch etwas Zeit vergehen, die Erarbeitung eines gemeinsamen Konzeptes von Schule und Verein wird in etwa drei Jahren starten. Denn der Schulunterricht wird zunächst mit den jüngeren Kindern beginnen, fürs Rudern müssen sie aber neun bis zehn Jahre alt sein und schwimmen können.

Im Vordergrund ein Stück grüne Wiese, dahinter Sandboden, auf dem Baukräne stehen, daneben Container. Rechts im Bild die Bäume neben dem jetztigen Parkplatz des WRC.
Das Grünstück gehört künftig zum Ruderclub, im Hintergrund die Bauarbeiten für Geflüchtetenunterkunft und Campusschule.
Foto: J. Domnick

Mit dem Siegerentwurf der „h4a Architekten“ für die neue Schule in direkter Nachbarschaft sind die beiden Ruderinnen sehr zufrieden „Wir waren beim Preisgericht anwesend. Als Gast hat man keine Stimme, aber man kann Fragen stellen. Was mir an dem Konzept (…) gefallen hat, sind die Kleinigkeiten. Zum Beispiel, dass die Sportplätze nicht in Richtung unserer Fensterscheiben ausgerichtet sind“, sagt Bräuer. Und Weisleder ergänzt: „Wir wurden also in das Wettbewerbsverfahren mit einbezogen und sind zufrieden mit dem Ergebnis.“

Geflüchtete müssen erst mal ankommen

Bis die Campusschule 2025 ihren Betrieb aufnimmt, ziehen 600 geflüchtete Menschen diverser Herkunft mit ihren Familien in Container auf dem Gelände ein (WIR berichteten). Für sie kann jedoch erst einmal kein Ruderangebot stattfinden. Weisleder erläutert: „Wir haben uns frühzeitig mit dem Betreiber ,fördern & wohnen‘ zusammengesetzt. Sie haben uns versichert, dass die Menschen hier erst einmal ankommen und zur Ruhe kommen müssen, sie werden andere Sorgen haben, als morgen rudern zu gehen. Wenn, wird sich da auf die ein oder andere Weise was ergeben. Außerdem werden wir ja mitten in der Bauphase sein, wenn die Menschen ankommen.“

Der Verein hat schon überlegt, wie er während dieser Zeit gute Angebote zum Rudern und Treffen für seine Mitglieder machen kann. „Auch da gibt es bereits eine Gruppe, die sich darum kümmern wird. Sie ist außerdem dafür zuständig, den Stadtteil mit Informationen zu versorgen. Momentan ist ein ‚Bautagebuch‘ mit Bildern auf der Website geplant, eventuell wird es auch eine Abrissparty mit der Nachbarschaft geben“, freut sich das Damen-Team. Und auch WIR werden weiter über den Ruderclub berichten.

Das Gespräch führten Jenny Domnick und Bernd Ladwig

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Jenny Domnick

Als freiberufliche Texterin und gesellschafts-politisch aktive Person ist sie viel im Internet unterwegs, unternimmt aber auch gerne Streifzüge am und im Wasser. Wenn's pladdert, müssen ihre Freund*innen als Testesser*innen für ihre Hobby-Kochkünste herhalten.

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