Was soll das?!

Hamburg bekommt zum Fahrplanwechsel am 10. Dezember 2023 ein „neues“ S-Bahnlinien-Netz. Alle zweistelligen Linien (S11, S21, S31) fallen weg. Mit der S3 und der neuen S5 wollen Deutsche Bahn (DB) und HVV den Süden besser anbinden. Aber gibt es wirklich Verbesserungen?

Grafik des neuen S-Bahnliniennetzes inkl. Verbesserungen laut HVV
Da müssen die Verbesserungen schon erklärt werden. Alle Grafiken: S-Bahn Hamburg

Nun bin ich nicht die Beste darin, Verkehrsvorhaben zu verstehen. Mir fehlt das räumliche Vorstellungsvermögen. Aber: Für mich sieht es so aus, als sei (für den Süderelberaum) lediglich eine Linie umbenannt worden, nämlich die S31, die nun als S5 (Start ab Elbgaustraße) die Strecke zwischen Neugraben und Stade verbindet, dort also lediglich die S3 ersetzt. Über Altona fährt sie jedoch nicht mehr, dafür muss mit der S3 der City-Tunnel benutzt werden. Die S3 wird verkürzt , bekommt in Neugraben ihre Endhaltestelle. Die Bahn dazu: „Neben dem neuen Namen bringt die S5 eine neue frische Farbe in unser Netz: Sie erstrahlt in himmelblau und hebt sich damit gut von den anderen bekannten Farben ab.“

Grafik Streckenführung neue S3
Die S5 fährt künftig nur noch ab/bis Neugraben

Einzige wirkliche Verbesserung: „Im neuen Netz wird die S3 von montags bis freitags ab Betriebsbeginn bis etwa 19:00 Uhr mit Langzügen fahren. Langzüge bestehen aus drei Fahrzeugen mit jeweils drei Waggons, also insgesamt neun Waggons“, schreibt die S-Bahn Hamburg auf ihrer Website. Aber auch neun Waggons bringen nichts, wenn sie gar nicht oder verspätet kommen. Und für all die Menschen, die am Abend von oder zu ihrer Arbeitsstelle oder ihren Freizeitaktivitäten nördlich der Elbe gelangen wollen, sowieso nicht. Angeblich soll die Doppelung von S3 und S5 zwischen Neugraben und Hauptbahnhof von ca. fünf Uhr morgens bis 22 Uhr einen 5-Minuten-Takt Richtung City ergeben. Ab Ende 2029 soll auch noch eine dritte Linie über die Elbe dazu kommen: die S6. Aber wie soll der Takt ohne ein neues, zusätzliches Gleisbett erhöht werden?

Um sicher zu gehen, dass ich mich da nicht irre, habe ich mich durch mehrere Presseartikel zum Vorhaben gearbeitet und mit Menschen unterschiedlicher Altersklassen, Berufsgruppen und (sozialer und materieller) Lebensverhältnisse im Hamburger Süden gesprochen. Das Ergebnis war immer das Gleiche: „Keine Ahnung, was sich dadurch für uns ändern soll …“ Unsere WIR-Mitbegründerin Marianne Groß spricht sogar von einer Verschlechterung, da sie jetzt mit der S3 statt mit der S31 nach Altona fahren muss: „Die S3 ist immer viel voller! Außerdem ist die Strecke oben rum doch viel schöner!“

Grafik Streckenführung der S5
„Erstrahlt in himmelblau“: Die S5

Die Hamburger Opposition sieht das laut einem NDR-Beitrag ähnlich: „Die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels sprach von einer Neuorganisation alter Probleme. ‚Einige Langzüge mehr werden nicht das Grundproblem mangelnder neuer Strecken nach Harburg und Umgebung lösen.‘ Weniger Ausfälle und mehr Pünktlichkeit seien natürlich gut, sagte die verkehrspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Heike Sudmann. ‚Doch die vollgestopften Züge werden auf vielen Strecken erhalten bleiben, denn zusätzliche Angebote und Kapazitäten gibt es erst mal nicht.‘ Neue Linienführungen und Liniennamen reichten nicht aus für die Mobilitätswende.“

Grafik Streckenführung S6 ab 2029
Soll den Süden ab 2029 noch mehr entlasten: Die S6

Egal, wie ich es drehe und wende – mir kommen immer zwei Gedanken dazu: Zum einen kann ich nicht nachvollziehen, wie neue Linien im Süden Entlastung bringen sollen, solange kein zusätzliches Gleichbett gebaut wird. Egal wie viele Linien neu erfunden werden, sie müssen alle über dieselbe Trasse.

Zum anderen ist doch die Frage: Wann wird die U4 endlich nach Süden verlängert? Und zwar über die Veddel, eine Haltestelle im oder nahe des Reiherstiegviertels (z.B. am „Werkcentrum Elbinsel“ oder noch besser am Stübenplatz), weiter zur S-Bahn-Station Wilhelmsburg, über eine Haltestelle „Süderelbe“ (an der es bis heute nur schlecht ausgebaute Buslinien gibt), bis Harburg. Ja, der Boden ist problematisch, ja, das wird lange dauern. Aber was nicht begonnen wird, kann nie fertig werden. Und der schlammige Untergrund hat die Stadt bisher auch nicht vom Bauen abgehalten, ob bei der Elbphilharmonie, dem Scholz-Tower oder den bisherigen U4-Haltestellen.

Sicher, das sind alles Prestigeobjekte für noch mehr Touristen, die Geld in die Kassen spülen. Aber welcher der Verantwortlichen steht schon täglich gequetscht wie eine Ölsardine in der S3, wenn sie oder er auf die absurde Idee kommt, den Wohnort verlassen zu wollen oder zu müssen? Wer von ihnen bibbert nachts an dunklen, zugigen Haltestellen, wenn die HVV-App mal wieder andere Abfahrtzeiten als die real existierenden ausgespuckt hat, oder es, wie beinahe täglich, zu „Störungen auf dem Streckenabschnitt“, zu Polizeieinsätzen, Un- oder Ausfällen kommt?

Bis vor kurzem war mal wieder die Tunnelstrecke (City-Tunnel) gesperrt. Die A7 auch. Am ersten Adventswochenende, mit dem Beginn von Weihnachtsmärkten und Dom, zusammen mit dem üblichen Reeperbahn-Publikum, bedeutete das: „Nichts geht mehr!“ Menschen kamen weder in die S-Bahnzüge hinein noch aus ihnen heraus, die U3 als einzige Alternative nach St. Pauli musste im Schritttempo fahren – der/die Zugführer*in befürchtete wohl, die Bahn würde sonst von der Brücke kippen. Am Hauptbahnhof, mit dem altbekannten Problem der viel zu schmalen Bahnsteige, war beim Umsteigen ein Fortbewegen kaum noch möglich. Keine Ausnahmesituation sondern fast schon Alltag für die zigtausend Fahrgäste aus dem Hamburger Süden.

Der Süden braucht endlich die U4-Verlängerung!

Grafil der bisherigen und geplanten Linienführung der U4
Verlängerung dringend benötigt: Die U4. Grafik: M. Dörrbecker

4 Gedanken zu “Was soll das?!

  1. Nach einigen Wochen Erfahrung mit dem neuen Fahrplan:
    Es ist wirklich viel besser geworden! Sehr angenehm, wenn die Wagen nicht so voll sind, man nie lange auf die Bahn warten muss und die Linienbezeichnungen ohne die zweistelligen Bezeichnungen eine klare Sprache sprechen. Das habe ich auch als Vorteil für Tourist*innen beobachtet.

  2. Danke für Deinen Beitrag, Wolfgang. Die betrieblichen Änderungen ohne Anpassungen an der Infrastruktur werden meines Erachtens die Betriebsqualität merklich erhöhen. Dazu ist die Erhöhung der Beförderungskapazität durch Langzüge ein echter Gewinn – insbesondere für den Abschnitt Hbf – Harburg wertvoll.
    Für mich persönlich ist eine weitere Verbesserung, dass wir werktags nun schon ab ca. 5:35 Uhr einen 5min Takt in Wilhelmsburg Ri Hbf haben, den hatten wir vorher erst ab 6:00 Uhr. Das zusätzliche Platzangebot war dringend nötig!

  3. Der Artikel hat einiges mit der Promotion der S-Bahn Hamburg für das neue Liniennetz gemein: Beides ist in Teilen sinnfrei, in Teilen unsinnig, in manchem unvollständig.
    Für Ausfällende oder Verspätungen der S-Bahnen gibt es vielerlei Gründe, einige wenige dieser Gründen werden durch das neue Netz entfallen.
    Die alte S31 konnte nicht mit Langzügen fahren, da das Kehrgleis in Altona dazu nicht geeignet ist. Auf der alten S3 konnten zwischen Stade und Neugraben keine Langzüge fahren, weil dort die Bahnsteige nicht lang genug sind. Das Stärken und Schwächen der S3 in Neugraben war zeit-, personal- und störanfällig. Dies entfällt im neuen Liniennetz.
    In Altona mussten bisher in der Hauptverkehrszeit (HVZ) 3 Linien kehren: Die S31 auf dem Kehrgleis im Tunnel, die S2 auf einem Kehrgleis nördlich, die S11 am Bahnsteig. Diese Linien haben sich oft gegenseitig im Weg gestanden und für (zusätzliche) Verspätungen gesorgt. Das entfällt zukünftig.
    Am Hauptbahnhof gibt es im neuen Liniennetz weniger höhengleiche Linienkreuzungen, dadurch entfallen einige Verzögerungen, bei der Ein- oder Ausfahrt der Züge.
    Soweit, verkürzt und unvollständig, zu den Veränderungen im Liniennetz, die eine Verringerung der Störanfälligkeit bewirken werden.

    Die Beförderungskapazitäten vom HH-Hauptbahnhof Richtung Süden werden wie folgt erhöht:
    Die neue S3 fährt von frühmorgends bis spät abends den gleichen Takt wie die alte S3, nur 1 bzw. 3 Minuten früher. Während aber die alte S3 nur in der morgendlichen und der nachmittäglichen HVZ mit Langzügen fuhr (bzw. hätten fahren sollen), soll die neue „S3 von montags bis freitags ab Betriebsbeginn bis etwa 19:00 Uhr mit Langzügen fahren.“ (S-Bahn-HH). Während die alte S31 abends letztmals um 21:42 Uhr ab Hauptbahnhof Richtung Harburg fuhr, fährt die neue S5 bis 22:21 im 10 Min-Takt ab Hauptbahnhof Richtung Harburg, danach bis Betriebsende im 20 Min. Takt.
    Die Behauptung von Frau Heike Sudmann: „….. ‚ zusätzliche Angebote und Kapazitäten gibt es erst mal nicht.‘. Ist natürlich Unsinn und als Verkehrspolitische Sprecherin der Links-Fraktion müsste Sie das auch besser wissen.

    Du schreibst: „Angeblich soll die Doppelung von S3 und S5 zwischen Neugraben und Hauptbahnhof von ca. fünf Uhr morgens bis 22 Uhr einen 5-Minuten-Takt Richtung City ergeben.“ Wieso „angeblich“?
    1. 2 Linien fahren jeweils im 10 Min-Takt, durchschnittlich ergibt das einen 5 Min-Takt.
    2. Tatsächlich soll ein 4 / 6er-Takt gefahren werden. Auf einen S3 Langzug (9 Wagen) folgt nach 4 Min. ein S5 Vollzug (6 Wagen), folgt nach 6 Min. ein S3 Langzug usw.(lt. Plan).
    Du schreibst: „Aber wie soll der Takt ohne ein neues, zusätzliches Gleisbett erhöht werden?“ Warum glaubst du, das auf einem Gleis NICHT 3 Züge pro 10 Min. fahren könnten?
    Das wirkliche (und seit Jahren bekannte) Problem ist die nicht ausreichende Stromversorgung der Strecke, die reicht bisher für maximal je einen Voll- und Langzug je Richtung innerhalb 10 Min. In mehreren Presseartikeln war die Rede davon, dass die S-Bahn-HH vorhat bis Ende 2029 die Stromversorgung soweit auszubauen, das dann eine höhere Zugfrequenz möglich ist.
    Immerhin deinen letzten kann ich voll und ganz zustimmen:
    „Der Süden braucht endlich die U4-Verlängerung“
    Die ist eigentlich längst überfällig!

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Jenny Domnick

Als freiberufliche Texterin und gesellschafts-politisch aktive Person ist sie viel im Internet unterwegs, unternimmt aber auch gerne Streifzüge am und im Wasser. Wenn's pladdert, müssen ihre Freund*innen als Testesser*innen für ihre Hobby-Kochkünste herhalten.

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