Klage abgewiesen: „Fährstraße 115“ empört und traurig

Eine Häuserecke mit einem gelben Haus, ein Baum davor, ggü. ein Deich. An dem Haus ein Schild, auf dem steht "am 19.7. ab vor Gericht, 115 bleibt!"
Das Haus soll für einen Deichschutzstreifen abgerissen werden. Foto: M. Groß

Am Reiherstiegdeich will die Stadt Hamburg das vierstöckige Mietshaus abreißen, um dort nach der Erhöhung des Deiches einen sogenannten Deichschutzstreifen anzulegen. Dafür nutzt sie ihr Vorkaufsrecht. Die Bewohner*innen des Hausprojekts haben dagegen geklagt – und verloren

Schon Anfang Mai dieses Jahres hatte das Verwaltungsgericht Hamburg die Klage der Bewohner*innen des Hauses aus der Gründerzeit gegen die Stadt Hamburg abgewiesen. Das Wohnprojekt wollte es mit Hilfe des Mietshäuser Sydikats (MHS) für immer dem Immobilienmarkt entziehen (WIR 17.1.24). Doch die Stadt will ihr Vorkaufsrecht geltend machen. Sie plant, das Gebäude abzureißen und begründet dies mit Hochwasserschutz.

Vor wenigen Tagen hat das Hausprojekt Fährstr. 115 nun eine Stellungnahme verfasst, die WIR an dieser Stelle inhaltlich unverändert veröffentlichen:

Gerichtsbescheid gegen Fährstraße 115: Städtischer Willkür wird stattgegeben

Wir, die Bewohner*innen der Fährstraße 115, sind enttäuscht und wütend über die Entscheidung des Gerichts, unsere Klage gegen die Stadt Hamburg abzuweisen. Diese Entscheidung ermöglicht der Stadt den Kauf und möglichen Abriss unseres Hauses. Doch wir bleiben entschlossen: 115 BLEIBT!

Stadt Hamburg legt weiter keine konkreten Pläne vor

Die Stadt Hamburg behauptet, unser Grundstück für die Deicherhöhung zu benötigen, hat jedoch immer noch keine konkreten Pläne vorgelegt, die dies überzeugend belegen. Für das Gericht hat dieser Aspekt keine Rolle gespielt, da das Urteil einzig von einer technischen Frage abhängig gemacht wurde. Weiterhin ist die Stadt ihrem Versprechen, alternative Objekte vorzuschlagen, immer noch nicht nachgekommen. Der willkürliche Kauf von Häusern und Grundstücken, die Nichteinhaltung von Versprechen und die generell mangelnde Transparenz schaffen nicht nur für uns eine mittlerweile mehrere Jahre anhaltende Situation der Unsicherheit, sondern betreffen auch zukünftige Projekte.

Im Hintergrund ein gelbes Gründerzeithaus, darüber gelegt: Der Schriftzug "Die Häuser denen, die drin wohnen" und Kontaktinfos.
„Die Häuser denen, die drin wohnen!” Mehr Infos gibt es auf Telegram und Instagram.
Sharepic: Wohnprojekt Fährstraße 115

Carte Blanche für die Stadt Hamburg

Die für das Gerichtsurteil relevante Frage war nicht, ob die Stadt unser Grundstück tatsächlich benötigt und dies nachvollziehbar begründen kann oder ob unterschiedliche Varianten des Deichbaus in Erwägung gezogen wurden. Das Urteil basiert ausschließlich auf der technischen Frage, wo genau der Deich nach dem alten Planfeststellungsverfahren endet. Das Gericht hat damit einer Quasi-Enteignung auf Basis von vagen Ankündigungen zugestimmt, denen zudem andere stadteigene Pläne augenscheinlich widersprechen (beispielsweise die geplante Veloroute) und die darauf hindeuten, dass unser Grundstück zumindest in den kommenden Jahrzehnten nicht für den Deichbau benötigt wird.

Ein langgezogener Deich, links davon Backstein-Wohnblocks, rechts davon eine Baumreihe und ein Hafenbecken, aus der Vogelperspektive
Die Stadt selbst hat am Klütjenfelder Hauptdeich am Spreehafen eine zwei Kilometer lange Sitzbank als Stützmauer in den Deich gebaut, um ihn nicht verbreitern zu müssen. Foto: LSBG

Darüber hinaus wurden in der Beurteilung der Frage, wo der Deich endet, entscheidende Aspekte des letzten Planfeststellungsverfahrens ignoriert. Klare Definitionen, die unser Grundstück als nicht angrenzend an den relevanten Deichbereich klassifizieren, wurden als unbedeutend abgetan. Stattdessen wurde auf eine vage Angrenzung am Deichgrund verwiesen, obwohl Deichgrund und Hochwasserschutzanlage nicht identisch sind.

In der Verhandlung wurde dies von der Vertreterin der Stadt nur als „sprachliche Ungenauigkeiten“ erklärt. Abgesehen davon, dass es unglaublich ist, dass eine solche Argumentation vor Gericht Bestand haben kann, stellt sich zudem die Frage, wie eine so große und so wohlhabende Stadt wie Hamburg derart schlampig planen kann – zumal wenn es um so eine bedeutende Frage wie die des Hochwasserschutzes geht!

Das Gericht hat es versäumt, klare und verbindliche Vorgaben zu setzen, und hat der Stadt Hamburg praktisch eine uneingeschränkte Erlaubnis für den Grunderwerb erteilt. Die Entscheidung reduziert wesentliche rechtliche Festlegungen auf Beliebigkeit und ignoriert die Notwendigkeit einer transparenten und sozial verträglichen Planung.

Wir kämpfen weiter – unsere Forderungen bleiben:

  1. Sozialverträgliche Alternativen jetzt prüfen: Die Stadt Hamburg muss umgehend sozialverträgliche Alternativen zum Abriss prüfen und mit uns besprechen. Wir fordern transparente Prozesse und keine weitere Geheimniskrämerei!
  2. Kommunikation: Die BUKEA muss ihr Versprechen halten und den Dialog mit uns wieder aufnehmen. Wir möchten frühzeitig über die Pläne betreffend des Deichbaus informiert werden – sofern diese existieren – und Unterstützung bei der Suche nach einem eventuellen Ersatzobjekt erhalten.
  3. Grundbucheintrag sichern: Unser Haus muss so eingetragen werden, dass es ausschließlich an uns verkauft werden kann. Kein Verkauf an Dritte, denn das wäre angesichts der Argumentation der Stadt widersinnig.
  4. Faire Rückkaufbedingungen: Sollten wir das Haus zurückkaufen können, fordern wir, dass die bisherigen Mietzahlungen als Anzahlung angerechnet werden und der Kaufpreis von 2020 entsprechend reduziert wird.
  5. Erstattung der Kosten: Alle Kosten, die durch die Nutzung des Vorkaufsrechts entstanden sind, müssen umgehend erstattet werden, so wie es uns von städtischer Seite zugesichert wurde.
  6. Selbstverwaltung und Sanierung: Solange das Haus im Besitz der Stadt bleibt, muss unser Projekt weiterhin selbstverwaltet in unsere Hand bleiben. Der Sanierungsstau der letzten vier Jahre muss schnellstmöglich behoben werden, und bauliche Maßnahmen müssen in enger Absprache mit uns erfolgen.
  7. Mietpreis und Finanzierung: Die Mieten müssen auf dem aktuellen Niveau bleiben, ohne dass Gewinne erzielt oder der Abriss durch unsere Mieten refinanziert wird. Wir werden nicht für die Kosten eines möglichen Abrisses aufkommen! Wir kämpfen weiter für unser solidarisches Wohnprojekt und den soziokulturellen Raum, der für uns und unser Viertel von unschätzbarem Wert ist.

115 BLEIBT! Kein Abriss unter dieser Nummer!

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Jenny Domnick

Als freiberufliche Texterin und gesellschafts-politisch aktive Person ist sie viel im Internet unterwegs, unternimmt aber auch gerne Streifzüge am und im Wasser. Wenn's pladdert, müssen ihre Freund*innen als Testesser*innen für ihre Hobby-Kochkünste herhalten.

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