Das anzeigenfinanzierte Lokalblatt für den Süderelberaum „Der Neue Ruf“ hat der AfD erneut mit einer ausführlichen Beilage in seiner Zeitung Platz für rassistische Hetze gegeben. Das „Harburger Bündnis – einig gegen Rechts“ ruft für Sonnabend, 16. September 2023, zu einer Demonstration vor dem Verlagsgebäude auf
„Druck auf Nazis statt Nazis abdrucken!“ So bewirbt das Harburger Bündnis einig gegen Rechts (HBegR), bestehend aus verschiedenen klassisch linken Gruppen aus Harburg und Umgebung, die Demonstration vor dem Verlagsgebäude in der Cuxhafener Straße. Es will „(…) nicht weiter hinnehmen, nicht nur Wahlwerbung, sondern auch exklusive Sonderbeilagen der AfD im Neuen Ruf und damit in unseren Briefkästen zu finden.“
Anlass ist die Werbe-Beilage „Uns Hamburg“, die am Freitag, 1. September, dem Neuen Ruf (NR) beilag. Herausgegeben und bezahlt von der AfD, kommt sie daher wie eine echte Zeitung, inklusive Namen, Editorial (verfasst vom Fraktionsvorsitzenden Dirk Nockemann) und dem Titelbeitrag „Messerstadt Hamburg“ (ohne erkennbare:n Autor:in). Darin wird mit irreführenden Zahlen suggeriert, Menschen aus Einwandererfamilien seien größtenteils brutale Messerstecher, „offene Grenzen und Masseneinwanderung“ die „Mutter aller Probleme“. Garniert ist der Artikel mit einem halbseitigen Bild einer behandschuhten Hand, die ein Messer hält.
„Diese unverhohlene Verknüpfung von Gewalt und Migrationshintergrund ist nicht nur infam, sondern auch gefährlich, da sie eine bereits angespannte gesellschaftliche Situation weiter anheizt. Wohin das führt, sieht man an den zahlreichen Hate-Crimes der letzten Zeit (…). Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit bietet dieses Blatt eine Plattform für rechtsextremistische Propaganda. Seine neueste Veröffentlichung lässt keinen Raum für Zweifel darüber, wie tief es in den braunen Sumpf verstrickt ist“, heißt es weiter im Demo-Aufruf des Bündnisses.
In seinem persönlichen Grußwort an die Leser*innen behauptet Nockemann, die im Juni von der Innenministerkonferenz auf Initiative Hamburgs beschlossenen Maßnahmen für mehr Sicherheit im Bahnverkehr seien „gefährlicher Unsinn“, da die Regierenden mit dem Bürgergeld „neue Migrationsanreize für Millionen auf Koffern sitzender Afrikaner“ geschaffen hätten und fragt: “Wann packt man das Übel endlich bei der Wurzel?“
Das HBegR fordert, dass sich die Redaktion des NR „offiziell von der AfD distanziert und das Abdrucken von Fake-News, Wahlpropaganda etc. aus dieser Ecke unterlässt“.
Der „Offene Stadtteiltreff gegen Rechts“*1 hatte schon im April, als dem NR wieder einmal AfD-Werbung beilag, geschrieben:
„Entgegen mancher Annahmen ist es nämlich nicht verpflichtend für Zeitungen, so etwas zu veröffentlichen. Nur in Zeiten des Wahlkampfes besteht die Verpflichtung, Wahlwerbung abzudrucken. Sonderhefte wie dieses oder anlasslose allgemeine Propaganda sind von so einer Pflicht natürlich nicht abgedeckt und die Redaktion biedert sich hier also freiwillig der in weiten Teilen vom Verfassungsschutz beobachteten Partei an.“
https://osgrh.blackblogs.org/2023/04/02/rechtes-sonderheft-im-der-neue-ruf/
Tatsächlich hat der „Neue Ruf“, herausgegeben und 1966 mitgegründet von Hannelore Bobeck-Niculescu, eine jahrelange Geschichte mit Beiträgen der und Berichterstattung über die Hamburger AfD. Dabei fallen neben den ausführlichen Beilagenheften, an denen der NR verdient, auch Pressemitteilungen der AfD auf, die wie scheinbar neutrale Berichterstattung aufgemacht sind. So zum Beispiel auf Seite 6 der Ausgabe vom 27. März 2021. Hier darf sich Matthias Arft, AfD-Fraktionsvorsitzender in der Bezirksversammlung Harburg, über den „Gender Kokolores“ der SPD und Grünen echauffieren, Vertreter:innen anderer Parteien kommen in dem Artikel nicht zu Wort.*2
Auch benutzen Autor:innen des Lokalblattes AfD-nahe Rhetorik. So zuletzt am 9. August auf der Titelseite: Der Aufmacher-Artikel „Wehret den Anfängen“ nutzt diesen Satz, der insbesondere seit Ende des Zweiten Weltkriegs vor der Gefahr des Erstarkens rechtsradikaler Kräfte warnt, um über über Jugendliche zu berichten, die abends auf Spielplätzen ausschweifende Parties feiern würden. Der Artikel warnt vor der “Wiederkehr der Jugendbanden mit allen Folgeerscheinungen wie in den 1990er Jahren.”
Im Mai 2019 reagierten Unbekannte mit einem Farbanschlag auf das Verlagsgebäude des NR, in dem auch die „Bobeck Medienmanagement GmbH“ sitzt, auf die AfD-Unterstützung. Diese Firma ist laut Impressum verantwortlich für die Herausgabe des digitalen Neuen Rufs, vertretungsberechtigter Geschäftsführer ist Peter Bobeck-Niculescu, Sohn der Herausgeberin. In der Chronik der Blackblog-Seiten heißt es dazu:
„Der Geschäftsführer bedauert diesen Angriff. Nach seiner Aussage ist die Zeitung politisch neutral. Auch andere Parteien haben in der Vergangenheit in der Zeitung Werbung geschaltet.“
https://chronik.blackblogs.org/?p=10173
Jens Kalkowski ist für die Anzeigenleitung des Verlages verantwortlich. WIR haben ihn und die Herausgeberin Hannelore Bobeck-Niculescu, die auch in mehreren anderen Einrichtungen und Vereinen wie dem Kulturhaus Süderelbe und dem Seniorennetzwerk Neugraben-Fischbek aktiv ist, um eine Stellungnahme gebeten, bisher aber leider keine Antwort erhalten. Das ist nicht neu: Bereits 2015 veröffentlichte das „Hamburger Bündnis gegen Rechts“ (HBgR) einen Offenen Brief an den NR auf ihrer Homepage. Darin warfen die Verfasser:innen anhand von Beispielen aus der damaligen AfD-Beilage und einem im NR veröffentlichten Artikel von Matthias Matussek dem NR vor, sich anstelle von Menschlichkeit, Solidarität und einer differenzierten Berichterstattung selbst in die Verbreitung rechter Propaganda einzureihen.
Das Bündnis forderte den „Neuen Ruf” deshalb auf, jegliche Gewinne aus der AfD-Werbung an Projekte zu stiften, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren und Perspektiven für die Geflüchteten ermöglichen. Außerdem sollten sich die Verantwortlichen zu der Veröffentlichung äußern und ein klares Zeichen gegen rechte Hetze in Ihrem Wochenblatt etablieren. Auch das Bündnis „Wilhelmsburger:innen gegen Rechts“ hat bereits bei seiner Gründung im Mai 2019 AfD-Beilagen beziehungsweise -Anzeigen im Neuen Ruf sowie im Elbe-Wochenblatt in seiner Chronologie rechtsextremer Aktivitäten der letzten Jahrzehnte auf Wilhelmsburg aufgelistet (WIR 5/2019).
Nach Kenntnis des WIR reagierten Mutter und Sohn Bobeck-Niculescu nicht.
Am 9. September ist nun ein Artikel in der AfD-Causa im “Neuen Ruf” selbst erschienen: Auf Seite 1 der aktuellen Ausgabe beruft sich das Blatt auf die Pressefreiheit und sieht sich nicht für den Inhalt der Beilage verantwortlich: „(…) der neue Ruf ist nur der Verteiler.” Er lasse sich „von keiner Partei oder sonst jemandem vorschreiben, was man zu veröffentlichen hat.” Noch einmal: Selbstverständlich wählen Verlage aus, für wen sie Werbung machen – und für wen nicht.
Immerhin hat die Redaktion eine Entgegnung der Initiative „Omas gegen Rechts” auf Seite 3 veröffentlicht, in der diese die rassistische Hetze Stück für Stück enttarnt. Am Ende fordern die Omas: „Bitte trauen Sie dieser Hetze in den AfD-Beilagen nicht. (…) Sie ist unsozial, sie ist rassistisch, sie ist von gestern.”
*1Das Projekt wurde von Privatpersonen gegründet und bestand bis zur Corona-Pandemie im Kern aus regelmäßig stattfindenden Infoveranstaltungen über Rechtsextremismus an verschiedenen Orten in Harburg. Aus dem Kreis werden weiter online Informationen zu themenbezogenen Ereignissen veröffentlicht.
*2Pressemitteilungen sind Texte, die von Interessensvertreter:innen verfasst und an Medien in der Hoffnung auf Veröffentlichung geschickt werden. Eine Pflicht dazu besteht nicht. Der NR veröffentlicht auch Pressemitteilungen anderer Parteien wie der FDP, CDU und vereinzelt der Linken.