Von bestellten Schulhaltern, Löwenbändigern und britischer Pädagogik

Der Veddeler Heimatforscher Dieter Thal (WIR berichteten) hat die Geschichte der Veddeler Schulen für uns aufgeschrieben

Zwischen 1746 und heute gab es sechs Schulen auf der Veddel. Eine davon existiert bis heute, es ist die Schule auf der Veddel, vormals Schule Slomanstieg, eröffnet 1932. Zu jeder der sechs Schulen hat Herr Thal recherchiert und erstaunliche Details und Bildmaterial zutage gefördert. Besonders interessierten ihn dabei die Standorte der Schulen und die Gebäude. Auch über geplante und nie gebaute Schulen zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte er etwas herausfinden.
WIR listen hier die insgesamt sieben Schulgeschichten auf, die Dieter Thal uns geschickt hat. Die ersten beiden Geschichten finden Sie gleich darunter als Artikel. Die anderen fünf Schulgeschichten finden Sie >hier als Dokument zum Download.

1746: Die erste Schule auf der Veddel
1822: Die Schule am Sieldeich
1872: Die neue Schule am Sieldeich 28
1898: Die Mädchenschule Slomanstraße
1909 – 1914: Pläne für weitere Schulen
1914: Die „Einarmigen-Schule“ im Marinelazarett auf der Veddel
1932: Die Volksschule Slomanstieg

Die erste Schule auf der Veddel und die Schule am Sieldeich

Alles begann mit einer alten Scheune auf dem Pachtgut Veddel, ganz am westlichen Ende des Veddeler Elbdeiches

Dieter Thal. Um 1746 hat sich Johann Hinrich Döpking als „Schulmeister auf der Fiddel“ versucht.* Johann Hinrich Döpking war von Beruf Schneider und hatte vorher schon im Bezirk Rotehaus auf Wilhelmsburg eine Nebenschule betrieben. Hier durfte er Kinder bis zum achten Lebensjahr unterrichten.

Die erste Schule auf der Veddel aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Am unteren Rand der Karte verläuft der Elbstrom, am linken Rand befindet sich die Trasse der Eisenbahn. Abb.: D. Thal

Als Schulgebäude mit Unterrichtsraum und Lehrerwohnung diente eine alte Scheune auf dem Pachtgut Veddel, ganz am westlichen Ende des Veddeler Elbdeiches. Die Schule sollte auch für Kinder, die von der Peute oder der Kaltehofe kamen, zuständig sein, doch war dieser Standort für jene Kinder recht ungünstig. Denn im Winter, und besonders bei Tauwetter, waren die unbefestigten Wege auf dem Marschenboden oftmals nicht passierbar. Fazit: keine Schule für die Kinder von der Peute und Kaltehofe.

In einem Taufregister aus dem Jahre 1765 wird uns der Name des Nachfolgers von Johann Hinrich Döpking übermittelt; er hieß Johann Anton Sachleben (der seine Tochter Catharina Dorothea taufen ließ).
Es handelt sich um denselben Sachleben, der 1769, mit anderen Bewohnern der Insel, beim Landesherrn vorstellig wurde. Der Grund dieser Vorstellung war recht simpel: 1768 waren die nördlichen Elbinseln, nach Unterzeichnung des Gottorper Vertrages, an Hamburg gefallen, und der als Landesherr fungierende Senator wollte die neue Bevölkerung kennenlernen.
Auf Johann Sachleben folgte sein Sohn Diederich David Sachleben als „bestellter Schulhalter auf der Veddel“.

Im Jahr 1821 zerfiel die alte Schulscheune auf dem Pachtgut immer mehr und ein Ersatz musste her. Den Platz für diese neue Schule fand man weiter im Osten, am Sieldeich, neben der alten Windmühle. Die neue Schule wurde 1822 eingeweiht und galt als großer Fortschritt im Veddeler Schulwesen. Auch ein Gemüsegarten sowie ein schattiges, mit Lindenbäumen bepflanztes Plätzchen befanden sich auf dem Schulgelände. Die neue Schule war für einige Schüler, die von der Peute oder von Kaltehofe kamen, besser erreichbar und lag auch für die anderen Veddeler etwas zentraler.

Den Platz für die neue Schule fand man weiter im Osten, am Sieldeich, neben der alten Windmühle. Im Hintergrund befindet sich das Schulgebäude, davor die Wirtschaft mit dem „Trichter“, außerdem befand sich dort noch ein Krämerladen. Besitzer war Peter Stüben, um 1868 eine Witwe Stüben. Später war J. Stüben der Besitzer. Er führte die bekannte Wirtschaft unter dem Namen „Stübens Tivoli“ bis 1880. Abb.: D. Thal

In dieser Schule war Barthold Christoph Oellerich, ein ehemaliger Bäckergeselle, als Lehrer tätig. Da er der einzige Lehrer war, gab es auch nur eine Klasse. In den ersten Jahren brachte er besonders begabten Kindern das Lesen und Schreiben bei. Danach soll Herr Oellerich sein Amt sehr pragmatisch und bequem gestaltet haben. Er praktizierte die nach dem britischen Pädagogen Andrew Bell entwickelte Lehrmethode, die vorsah, dass erfahrene Schüler jüngere unterrichteten. Dieses System wurde Ende des 18. Jahrhundert propagiert. Es kam Herrn Oellerich wohl sehr gelegen, denn es wird berichtet, dass er seine Klasse immer mit einer Zeitung, einer langen Pfeife und einer noch längeren Peitsche betrat. Die älteren Kinder brachten den jüngeren die schwere Kunst des Buchstabierens bei, während er seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Zeitunglesen, nachging.

Gegen ein besonderes Entgelt erhielten einige Kinder auch eine Unterweisung im Rechnen. Wenn es im Klassenraum zu laut wurde, ließ Oellerich seine Peitsche knallen – nicht immer soll er die Richtigen getroffen haben, aber das spielte in der damaligen Zeit keine Rolle. Die Unterrichtspausen wurden auf der Straße zum Spielen genutzt, einen Spielplatz oder Schulhof gab es nicht. Von Seiten der Bewohner gab das Benehmen der Schulkinder immer wieder Anlass zu Beschwerden.

Im Jahre 1856 fanden diese unhaltbaren Zustände an der Veddeler Schule ein jähes Ende. Der alte und sicherlich nicht sehr gebildete Herr Oellerich wurde pensioniert, und ein neuer, seminaristisch ausgebildeter Lehrer aus Wilhelmsburg übernahm sein Amt. Herr Brandes war ein etwa dreißigjähriger Mann voller Energie und Idealismus. Sein Unterricht fand sehr schnell Anerkennung bei den Veddelern, aber am sozialen Umgang mit den Kindern musste er noch einiges ändern. Die für die Kinder unerhört erscheinende Anforderung, regelmäßig die Schule zu besuchen, dann auch noch fleißig zu lernen, wurde von den meisten ignoriert. Brandes‘ einzige Waffe gegen diesen Ungehorsam waren strenge körperliche Züchtigungen in Form von Schlägen. Disziplinarstrafen oder zivile Anklagen deswegen brauchte er zu jener Zeit nicht zu befürchten.

Allerdings gab es auch damals schon Leute, die mit diesen Erziehungsmethoden ihre Probleme hatten. Die Zeitung „Reform“ veröffentlichte für ihre sensationssüchtigen Leser einen haarsträubenden Bericht, in dem Lehrer Brandes als „Löwenbändiger von der Veddel“ dargestellt wurde. Die Folge war eine Aufforderung vom Landesherrn, sich so zu verhalten, dass ein friedliches Auskommen mit der Bevölkerung gegeben sei. Doch unbeirrt setzte Herr Brandes seinen eingeschlagenen Weg fort und erreichte durch seine Beharrlichkeit und seinen Fleiß, dass einige Zeit später Rechenunterricht im 2. Schuljahr beginnen konnte.

Eine zweite Klasse wurde eingerichtet, die ein sogenannter Präparand (untere Stufe der Ausbildung zum Volksschullehrer) gegen 40 Taler Gehalt und freie Station im Hause des 1. Lehrers verwaltete. Mädchen und Jungen saßen in den beiden überfüllten Klassen zusammen. Im Winter hatte die Oberklasse oft 120 und die Unterklasse 90 Schüler. Diese Verhältnisse dauerten bis zur Einweihung eines neuen, modernen Schulgebäudes 1872.

Nachdem die neue Schule am Sieldeich 28 eingeweiht war, wohnte in den alten Lehrerräumen noch der Polizeiwachtmeister Knack, weitere Räume wurden wirtschaftlich genutzt. 1885 wurde das alte Schulgebäude abgerissen. (Einige Jahre vorher, um 1881, war bereits die Wirtschaft „Tivoli“ einem Abriss zum Opfer gefallen. Auf dem Gelände entstand die Gastwirtschaft „Veddeler Hof“.)

Blick von der Tunnelstraße in den Sieldeich, nun mit Gründerzeitbebauung. Auf der rechten Seite steht der Veddeler Hof an dem Ort, an dem vorher die Schule stand. Im Hintergrund ist die alte Dampfmühle zu sehen. Foto: D. Thal

*Sie haben richtig gelesen: „Fiddel“, und nicht Veddel. In alten Chroniken, Urkunden und Kirchenbüchern tauchen immer wieder unterschiedliche Schreibweisen für die Veddel auf. Um 1308 „Vedele“, um 1545 „Vettel“, und 1655 wurde in das Sterberegister von Moorfleet „Feddel“ eingetragen. Ebenso findet man in alten Aufzeichnungen die Bezeichnung „Fiddel“. Es gab zu dieser Zeit keine einheitliche Schreibweise von Ortsbezeichnungen und anderen Eigennamen.

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