Der Umgang des Hamburger Senats mit ehrenamtlichen kulturellen und sozialen Initiativen der letzten zehn Jahre ist von Ignoranz geprägt. Auf der Demonstration zum Erhalt kultureller Freiräume in Wilhelmsburg forderten sie gemeinsam Beteiligung bei Gestaltungsprozessen im Herzen ihrer Viertel
Der aktuelle Anlass für Enttäuschung, Wut und und Unverständnis in Wilhelmsburg ist die Stellungnahme des Senats vom 8. Oktober zur „Weiterentwicklung” des Veringkanals und seiner direkten Umgebung zum sogenannten Kulturkanal (WIR 16.10.24). Weil sie den Abriss der Soulkitchenhalle, bekannt geworden durch Fatih Akins Film von 2009, vorsieht, ging die Nachricht bundesweit durch die Presse. Dabei geht es der Initiative KulturKanal und ihren Mitstreiter*innen nicht vorrangig um das symbolträchtige, aber einsturzgefährdete Gebäude, das die Stadt schon seit 2013 verrotten lässt, sondern um wohnortnahe Freiflächen.
Das seit 2022 umzäunte Gelände um die Halle herum, die Soulbrache, sowie der ehemalige Parkplatz vor der zeitweise von LIDL genutzten Industriehalle am Veringhof sind die letzten Freiflächen ihrer Art: „Wir nutzen den öffentlichen Raum als Begegnungsort, als einen Spielplatz, auf dem Menschen unabhängig von ihrem Vermögen oder Milieu niedrigschwellig teilhaben können“, erklärte Lionel Tomm von der Initiative bei der Auftaktkundgebung der Demo am vergangenen Freitag. WIR haben sie für Euch gefilmt:
Planung an den Bedarfen des Viertels vorbei
Dem Argument des Senats, die Soulbrache sei ein Industriegebiet und kulturelle Nutzung deshalb nicht erlaubt, widerspricht die Initiative vehement: Bis 2013 und auch danach seien die Halle und die Fläche vielfach offiziell geduldet kulturell genutzt worden. „Was dafür nötig war und ist, ist allein politischer Wille. Diesen fordern wir heute nochmal ein!”
Bereits bei der Schließung der Halle, mitten in einem laufenden lebendigen kulturellem Betrieb, hätten Engagierte zur Sanierung bereitgestanden. Andere hätten, vor allem während der Pandemie-Jahre, etliche Kulturveranstaltungen mit Konzerten, Theateraufführungen und Essen für alle dort organisiert, wo es niemanden störte. Jonglage-Gruppen oder Chöre hätten sich dort mit genügend Sicherheitsabstand an der frischen Luft getroffen, Anwohner*innen ihre Hunde ausgeführt, Stadtteilgruppen Organisationstreffen abgehalten. Es habe sich ein „Community-Ort” etabliert, an dem auch Menschen ins Gespräch kamen, die sich ansonsten nie kennengerlent hätten.
Auch die Wilhelmsburger Jugendlichen wünschen sich laut einer Umfrage vor allem eines: überdachte Flächen im Freien in einem eng bebauten Viertel, in dem viele Menschen auf kleinstem Raum wohnen, um sich einfach in Ruhe treffen zu können. Genau diesem Wunsch wollte die Initiative KulturKanal mit ihrem Nutzungskonzept für eine Zwischennutzung der Soulbrache entsprechen, das sie im Juni 2022 der Sprinkenhof GmbH, der Immobilienverwaltung der Stadt und Eigentümerin des Grundstücks, vorgelegt hat (WIR 22.6.22). Darin schlug sie u.a. vor, mobile Dachflächen aus regendichten Segeln aufzustellen, die gleichzeitig Bühne, ein Ort zum Karten spielen, für gemeinsame Essen oder Kindergeburtstage sein könnten. Alles in Eigenregie, alles kostenlos für die Stadt.
Politischer Unwille, fehlende Planungssicherheit
Die Sprinkenhof lehnte die Vorschläge rundherum ab (WIR 9.1.23), SPD und Grüne setzten stattdessen einen eigenen Antrag durch (WIR 16.10.23). Doch im letzten Dreivierteljahr gab es Hoffnung: Die Hamburg Kreativ Gesellschaft, eine städtische Einrichtung zur Förderung der Hamburger Kreativwirtschaft, war zuletzt bereit, eine kulturelle Zwischennutzung in die Wege zu leiten. Es habe gute Gespräche gegeben, sagt Lionel Tomm, die Initiative habe ihr Konzept weiterentwickelt, um dann aus der Presse von den aktuellen Plänen der Stadt zu erfahren.
Statt einer Kultur von unten verfolge der Senat trotz Andy Grotes gescheiterten Plänen die „Weiterentwicklung“ des Kanals von den Zinnwerken bis zur Tankstelle, was nichts anderes bedeute, als die städtischen Grundstücke an die Höchstbietenden zu verscherbeln.
Apropos Zinnwerke: Die Initiative begrüßt ausdrücklich, dass wenigstens dieser Ort bestehen bleiben soll, wobei weiterhin nicht klar ist, wer die Sanierungskosten tragen soll. „Aber: Den vielfältigen kulturellen Beat, der hier in Wilhelmsburg pocht, aus der Ferne in diesen einen Raum zu denken, wird nicht funktionieren!“
Für das Grundstück am Veringhof, auf dem das Gebäude steht, das als Letztes der Discounter LIDL nutzte, gebe es bereits zwei Interessensbekundungen, so heißt es weiter in der Stellungnahme des Senats. Dorthin war der KulturKanal seit der Umzäunung der Soulbrache 2022 ausgewichen. Nach den Plänen der Stadt sollen die ehemalige Industriehalle sowie die die Gebäude der angrenzende Autolakiererei und der Reifenwerkstatt ebenfalls abgerissen werden, das ansässige Gewerbe umgesiedelt.
Die Ini fragt: „Welches Interessenbekundungsverfahren?! Wo war die Ausschreibung? Warum wurde der Stadtteil nicht mit einbezogen?” Und: „Mit wem müssen wir reden, damit dieser Wahnsinn endlich aufhört?“
Die Inhaber der betroffenen Gewerbe, der Autolackiererei Der Spezi Fevzi Bingöl GmbH und des A & B Reifenhandel Im- und Export, Oktay Akkaya, am Veringhof 4 und 5 waren auch zur Demo gekommen. Beide haben ihre Geschäfte Mitte der 1990er Jahre aufgebaut. Schon 2001 hatte die Sprinkenhof den Bau einer neuen Halle, die Akkaya beantragt hatte, abgelehnt, weil der Standort „planungsbehaftet“ sei. Seither habe es keine Planungssicherheit mehr gegeben, so der Unternehmer. Zwölf Jahre später flatterte Akkaya die Kündigung ins Haus. Den Grund erfuhr er damals aus den Medien: ein Opernfundus, der dank Protesten aus dem Viertel und der lokalen Politik schlussendlich verhindert werden konnte, hätte am Veringhof angesiedelt werden sollen.
Dieses Mal käme die anstehende Kündigung allerdings nicht überraschend, denn die Sprinkenhof und die Wirtschaftsförderung seien bereits vor einem Jahr vorbei gekommen und hätten versprochen, ihm und Bingöl Ausgleichsflächen anzubieten. Damit die Unternehmer dort die derzeitigen Arbeitsplätze für ihre Mitarbeiter*innen erhalten und die Infrastruktur der umliegenden Versand- und Hafenbetriebe nutzen können, müsste der neue Standort jedoch ebenfalls in Wilhelmsburg gefunden werden. Lieber wäre beiden, zu bleiben, wo sie sind: „2013 haben viele Menschen protestiert und letzten Endes hat die Politik eine Einsicht gehabt (…). Ich denke, wenn die Menschen zeigen, dass sie mit der Entscheidung so nicht zufrieden sind, dann wird die Politik auch diesmal ein Einsehen haben und eine gute Alternative finden”, hofft Oktay Akkaya.
Hamburgweites Phämomen – Stadtteilübergreifende Solidarität
Die Forderungen des KulturKanals stoßen auch bei anderen Stadtteilinitiativen aus Wilhelmsburg, aber auch aus anderen Hamburger Stadtteilen, auf offene Ohren: Ob Fährstraße 115 bleibt! (abrissbedroht), Wilder Wald bleibt! (WiWa bleibt!, rodungsbedroht), Wilhelmsburg Solidarisch (WiSo, hat sich u.a. für den Erhalt des geschlossenen Sozialkaufhauses eingesetzt), Initiative Dessauer Ufer (IDU, setzt sich für ein würdiges Gedenken an die Opfer von NS-Zwangsarbeit im Lagerhaus G ein), Initiative Sternbrücke (gegen den Bau der „Monsterbrücke”), AG Ost (für eine kulturelle Nutzung des „kurzen Olafs”) oder Theater am KulturKanal (TAK, das dringend mehr Bühnen braucht): Sie alle traten ans Mikrofon, um ihrem Ärger Luft zu machen nachdrücklich für einen Dialog auf Augenhöhe mit der Stadt einzufordern.
Am Ende, an der eingezäunten Soulkitchenhalle angekommen, wurde der „Trauermarsch” trotz allem zu einem „Powermarsch”: Die Demonstrierenden versammelten sich vor dem Zaun zu einer gemeinsamen Performance hinter dem Fronttransparent: rote Pyrotechnik beleuchtete den tristen Ort und alle sangen gemeinsam „I want to break free” von Queen. Aus der Menge schallte es „Der Zaun muss weg” über das leerstehende Areal.
Dann wurde es poetisch: Nach einem Gedicht für das Gelände folgte die Prosa von Matthias Lintl, der selbst bis 2013 die Soulkitchenhalle kulturell betrieben hatte, bevor dann der Rapper Sam Souljah aus dem Stadtteil seinen eigens für den Tag geschriebenen Song präsentierte. Die Initiative KulturKanal schloss mit den Worten: „Was hier gerade passiert, Livemusik, bunte Lichter, tanzende Menschen und eine gute nachbarschaftliche Stimmung, all das sollte nicht hier auf der Straße stattfinden, sondern auf der anderen Seite des Zauns, denn dort steht der Platz, den wir brauchen, leer. Wir stehen bereit!” Bereit für weitere Gespräche mit der Kreativgesellschaft um eine Zwischennutzung einzuleiten und für Gespräche mit dem Senat, der sich dieses Engagement nicht entgehen lassen sollte.”
…ich finde es immer soooo frustrierend, dass wenn es der Politik in den Kram passt sich auf “das Recht” als Ausrede berufen wird: “wird vom Bezirksamt Hamburg-Mitte eine …Nutzung ablehnend beurteilt, da das Planungsrecht „Industriegebiet“ eine solche Nutzung nicht erlaubt….Neues Planrecht ist für dieses Areal nicht vorgesehen.”
So einfach ist das, man hat ja soooooo viel versucht und das Thema wurde sogar “sensibel gehandhabt.” (!)
…und wie wäre es mit einer Änderung des Rechtes? Ich meine, vorher hieß das Recht bestimmt mal “Weide-Wiese-Sumpf o.ä.”, das wurde vom damaligen Amt ja auch geändert?
Aber, hey, dies ist heute und Wilhelmsburg, voll mit Wilhelmsburger:innen, mit denen kann man es ja machen, sind eh arme Kulturbanausen und Leute von sonstwo her, Hamburg braucht halt mehr Industrie, ne neue Autobahn….eher als kulturelle Freiräume, ne U-Bahn die ganz in den armen Süden führt oder ein Paar Bäumchen… können sie gerne rumschreien, die Politik hat ja recht und weiß am besten, was gut für die Bürger:innen ist …
;( Traurig, oder?
Aber DANKE liebes WIR-Team für den excellenten Artikel (selbst wenn ich mich gerade tierisch aufrege 😉 )