Warschau 2023 – seit dem Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 ist die Einwohner:innenzahl in der polnischen Hauptstadt explodiert. In kurzer Zeit kamen knapp zwei Millionen Ukrainer:innen nach Polen, gut 300.000 Menschen davon zogen nach Warschau. Nun leben hier zwei Millionen Menschen. Die Innenstadt, die ohnehin schon eng bebaut ist, platzt dabei zusehends aus allen Nähten. In die Höhe bauen, ist da seit einigen Jahren die Devise
Neben vielen internationalen gläsernen Gebäuden zeichnen große Wohnkomplexe mit vielen Mikro-Wohnungen die Skyline des neuen Warschaus und sind Teil einer neuen Wohntrendbewegung. Eines der bekanntesten Beispiele für solche Wohnkomplexe ist die Siedlung Bliska Wola Tower – die auch als polnisches „Hong Kong“ bezeichnet wird. Bis zu zehntausend Menschen können hier auf engstem Raum leben. Die Wohnungen selbst sind im Durchschnitt nur 25 Quadratmeter klein. Wobei 25 Quadratmeter schon als große Wohnfläche gezählt werden kann; es gibt nämlich auch möblierte Appartements mit nur neun Quadratmetern Wohnfläche. Dass das funktioniert, ist einer bürokratischen Lücke geschuldet. Laut polnischem Baugesetz müssen Wohnungen mindestens 25 Quadratmeter groß sein. Vermieter:innen umgehen diese Vorgabe jedoch geschickt, indem sie den Wohnraum einfach als Gewerbefläche anmelden.
Ein Schnäppchen sind diese Zellen dennoch nicht. Die Mieten in Warschau sind im Verhältnis zum Einkommen sogar noch höher als in Hamburg. Eine Ein-Zimmer-Wohnung kostet ab (umgerechnet) 400 Euro aufwärts. Bezahlbar wird es nur, wenn die 20 Quadratmeter zu zweit bewohnt werden – für polnische Vermieter:innen durchaus eine reelle Möglichkeit.
In Hamburg ist das Wohnungsproblem zwar auch vorhanden, jedoch für Nicht-Wohnungssuchende noch nicht in diesem Ausmaß spürbar. Zudem versucht Hamburg, die Probleme ein wenig anders zu lösen, baut weiter in die Speckgürtel der Stadt heraus oder setzt auf Nachverdichtung. Der Trend zu Mikrowohnungen ist noch nicht in der Hansestadt angekommen. Im Gegenteil, es sollen besonders die Sozialwohnungen größer gebaut werden.
Dabei wäre die Idee gar nicht so abwegig. Gerade in Wilhelmsburg, wo ohnehin viele Neubaugebiete entstehen sollen, wäre es doch praktisch, ein paar Mikrowohnungen in die Baupläne miteinzubeziehen. Denn zu fairen Preisen sind kleine Ein-Zimmer-Wohnungen ideal für Studierende oder Auszubildende. Und da Wilhelmsburg anbindungstechnisch recht zentral gelegen ist, wird der Stadtteil auch für neu Zugezogene immer interessanter. Dabei muss gar nicht so weit in die Höhe gebaut werden. Ein paar Mikrowohnungen könnten in Wohnsiedlungen wie dem Elbinselquartier oder dem Rathausviertel doch einfach inkludiert werden. Würde ein Mix an Wohnflächen nicht auch die Zusammensetzung der Anwohner:innen ändern und für vielfältige neue Quartiere sorgen, wenn in Wohnviertel Wohnungen für alle Lebens- und Wohnbedürfnisse gebaut würden?
WIR-Mitglied Liza schreibt aus ihrem Kämmerlein in Warschau, wo sie die nächsten fünf Monate verbringen wird. Vielleicht fiel ihr beim Schreiben dieses Textes ein wenig die Decke ihrer 20-Quadratmeter-Wohnung auf den Kopf, aber trotz dessen ist sie glücklich, die Mikrowohnung auch als Alternative zum WG-Leben zu haben.