Fahrradstadt Wilhelmsburg?

2010 sollte Wilhelmsburg zu einem Modellstadtteil für den Fahrradverkehr gemacht werden. Klappt es in den nächsten 15 Jahren?

Schon früh haben die Verantwortlichen in Wilhelmsburg das Potenzial für den Radverkehr erkannt. So trägt ein Konzept der IBA anläßlich der Wilhelmsburger Radwoche 2010 den vielversprechenden Titel „Wilhelmsburg auf dem Weg zum Modellstadtteil für einen zukunftsfähigen Radverkehr“. Um die Zukunftsorientiertheit und Nachhaltigkeit des Projekts zum Ausdruck zu bringen, wurde das Projekt „Fahrradstadt Wilhelmsburg“ genannt. Auch die HPA ist mit von der Partie und nennt im „Masterplan Radverkehr Hamburger Hafen“ zum Beispiel das Ziel, die Radverkehrswegweisung im Jahr 2011 umzusetzen. Die Stadt Hamburg kommt auch zu Wort: „Zu den Grundsätzen und Leitlinien gehört, dass das Fahrrad integrierter Bestandteil des Gesamtverkehrssystems ist und als vollwertiges Verkehrsmittel anerkannt wird.“ Das Bezirksamt ließ ein aufwändiges Radverkehrskonzept erstellen, das dann im Januar 2012 vorgestellt wurde.

„Rauf auf’s Rad!“, forderte die IBA bereits 2010. 15 Jahre später fragen sich die Willigen noch immer: „Aber wo damit fahren?“

2025: der autogerechte Stadtteil

Rund 15 Jahre später klingen die hochtrabenden Worte von damals einigermaßen absurd. Die Infrastruktur auf den Elbinseln wirkt nach wie vor wie ein Relikt aus den 70er Jahren, als Stadtplaner*innen die autogerechten Städte planten. Auch heute würde in Wilhelmsburg wohl niemand sein Kind mit dem Fahrrad zur Schule schicken. Dass das Konzept der autogerechten Stadt zum Verkehrskollaps geführt hat, zeigt sich an vielen Stellen: Die Parkplatzsituation ist nicht nur angespannt, es wird geparkt wo eben Platz ist – die Behörden haben kapituliert. Keine Fläche ist sicher, Parkverbotsschilder werden völlig ignoriert, in zweiter Reihe geparkte Autos verstopfen die Straßen, Zebrastreifen werden zugeparkt, auf dem Loop stehen Lieferfahrzeuge, Autos stehen auf der Straße weil die Besitzer*innen mal eben Brötchen holen sind. Und auch Tempolimits wie beispielsweise in der Fährstraße oder Veringstraße werden nicht wirklich kontrolliert oder sanktioniert. Auch auf neu gebauter Infrastruktur fühlen sich Radfahrende nicht sicher, wie ein Blick auf die Veringstraße zeigt: Eine aufwändige Sanierung (auch mit Fördergeldern für den Radverkehr finanziert) hat auch hier zu keiner spürbaren Verbesserung geführt – was die Veringstraße zur „Veloroute“ macht, ist leider nicht erkennbar.

Große Bürger*innenbeteiligung

Wie weit Wilhelmsburg von der Fahrradstadt entfernt ist, wurde unter anderem im Sommer des vergangenen Jahres deutlich: Als das Bezirksamt Mitte dazu aufrief, über das eigens eingerichtete DIPAS Portal, Problemstellen auf einer Karte zu markieren, wurden in einem kurzen Zeitraum (17. Juni 2024 bis 14. Juli 2024) in 3.607 Beiträgen die problematischsten Stellen für den Radverkehr markiert. Dazu wurden diese noch in 2.104 Kommentaren diskutiert.

Im Oktober lud das Bezirksamt Mitte dann zu einer Veranstaltung ein, um über die Auswertung zu sprechen. Außerdem sollte es um ein Bezirksroutenkonzept gehen, das die 14 städtischen Radrouten (ehemals Velorouten), verdichten soll. Gleich beim Auftakt der Veranstaltung gab es zahlreiche erstaunte Gesichter: Es war nie geplant, die von den Bürger*innen markierten Orte zu prüfen, geschweige denn zu verbessern.

Viele Bürger*innen beteiligten sich an der DIPAS-Umfrage des Bezirks Mitte. Auf einer interaktiven Karte sollten Problemstellen und Bedarfe für den Fahrradverkehr markiert werden. Abb.: DIPAS Portal/Bezirksamt Hamburg-Mitte
Aus den eingetragenen Daten wurden vom Bezirksamt sogenannte Radfahr-Korridore entwickelt, aus denen die Verwaltung dann einen Bedarf für Fahrradwege ableitete. Die Beiträge der Bürger*innen wurden nie ernsthaft diskutiert oder ausgewertet. Abb.: Bezirksamt Hamburg-Mitte

Vielmehr wurden die eingetragenen Daten zu sogenannten Korridoren zusammengefasst. Also Wegrichtungen, die häufig von Radfahrenden genutzt werden, aus denen der Bezirk einen Bedarf für Radwege ableitet. Aus diesen Korridoren wurden dann zwei mögliche Verkehrsführungen für die Bezirksrouten in Wilhelmsburg bestimmt. Im Groben soll eine Radroute von der Kirchdorfer Straße über die Hövelpromenade (bzw. alternativ parallel „Auf der Höhe“) über den Vogelhüttendeich zur Hafenrandstraße führen. Der Vogelhüttendeich wurde besonders häufig genannt, hier sind die Konflikte mit dem KFZ-Verkehr besonders auffällig – aber auch die Unfallstatistik zeigt hier ein erhöhtes Unfallaufkommen. Eine weitere Radroute ist für die Neuenfelder Straße angedacht.

Diese Routen und Varianten wurden bei der Veranstaltung von Interessierten fleissig diskutiert. Dazu wurde auch der Wunsch geäußert, die besonders wichtige, aber auch problematische Thielenstraße in die Planungen einzubeziehen.

Ob, wie und wann diese Bezirksrouten dann gebaut werden, ist noch völlig offen. Bei der Veranstaltung wurden die Erwartungen dann auch gleich gedämpft: Frühestens in fünf bis zehn Jahren sei mit den beiden neuen Fahrradrouten zu rechnen.

Die „Fahrradstadt Wilhelmsburg“ wird wohl auch in den nächsten Jahren auf sich warten lassen.

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