Stop bullying the neigbourhood

Zum zweiten Mal hat die Initiative „Kontrolleur:innen kontrollieren“ am 31. Januar 2023 zur Demonstration gegen massive Ausgangskontrollen an den S-Bahnstationen Veddel und Wilhelmsburg aufgerufen.

Trotz des Regens und Sturms versammelten sich gegen 18.30 Uhr etwa 30 Personen am Busbahnhof Veddel. Aus einer großen Box kamen Lieder zum Thema und dazwischen erklärten Redner:innen, warum sie die Fahrscheinkontrollen im Viertel für unverhältnismäßig halten.

Nachdem es bereits im Dezember eine erste Kundgebung am Hauptbahnhof gegeben hatte (WIR berichteten), stellte die Bürgerschaftsabgeordnete Heike Sudmann (Die Linke) eine kleine Anfrage an den Senat. Daraufhin widmete sich die Presse, von MoPo und taz bis t-online und Hamburger Abendblatt dem Thema, Hinz und Kunzt sprang am Tag der Demo auf. Sowohl in der Berichterstattung, als auch in den Redebeiträgen wird deutlich: Die Auswirkungen der massiven Fahrscheinkontrollen, die in ärmeren Stadtteilen viel häufiger vorkommen als in betuchteren Gegenden, sind vielschichtig:

Mit Schildern und Flyern informieren die Demonstrant:innen aussteigende Fahrgäste am Bahnhof Veddel.
Foto: T. Knorr

Zum einen werden vor allem soziale Probleme kriminalisiert. Denn: Wer sich kein Ticket leisten kann, um zur Arbeit, Behörden oder Freund:innen zu fahren, kann sich erst recht nicht das sogenannte „erhöhte Beförderungsentgeld“, also die 60 Euro Strafe, leisten. Passiert das öfter, droht eine Geldstrafe oder bis zu ein Jahr Haft. Denn obwohl sich unterschiedlich Initiativen und Politiker:innen verschiedener Parteien schon dagegen eingesetzt haben, beurteilt ein Gesetz aus der Zeit des Nationalsozialismus, das bis heute in Kraft ist, das Fahren ohne gültigen Fahrausweis weiterhin als Straftat. Auch eine Umwandlung in eine Ordnungswidrigkeit würde den Betroffenen nicht viel weiterhelfen, da sie die finanziellen Strafen, gerade in Zeiten von Post-Corona und steigender Inflation, auch dann nicht begleichen könnten. Eine Rednerin betont: „Allein die Initiative ,Freiheitsfonds‚ hat dem Staat durch 123 aufgelöste Haftjahre 6,8 Millionen Euro gespart. Das zeigt, dass es hier nicht um das Geld geht, sondern nur darum, dass dem HVV und anderen Verkehrsunternehmen das Leben von armen Menschen egal ist und Kapitalinteressen über alles stellt.“ Was den HVV das Personal zur Kontrolle der Passagiere kostet, möchte der Verkehrsverbund nicht sagen. Es gehe bei den Fahrscheinüberprüfungen schlicht darum, die Quote von Menschen, die ohne Fahrschein fahren, niedrig zu halten, sagte HVV-Sprecher Rainer Vohl der taz. Die ist allerdings seit Jahren mit fünf bis sechs Prozent auch nicht besonders hoch.

Ein weiteres Problem sieht eine Rednerin des gestrigen Abends in der Art und Weise der Ausgangskontrollen: „Jedes Mal, wenn in die Bahn oder den Bus Sicherheitspersonal einsteigt, werde ich nervös, für mich fühlt es sich nie an wie Sicherheit. (…) Wenn traumatisierte Menschen sich einer Wand von uniformierten Männern (und meist sind es Männer) gegenübersehen, manchmal sogar kläffenden Hunden, kann das schlimme psychische Auswirkungen haben. Ob ich nun ein Ticket habe, oder nicht.“ Auch Personen, die über einen unsicheren Aufenthaltsstatus verfügen, fürchten nicht nur das Strafgeld. Denn wer keinen gültigen Fahrschein dabei hat, muss ihren/seinen Personalausweis vorzeigen, andernfalls wird die Polizei gerufen.

„Bus und Bahn sind für alle da“, die ersten Demonstrierenden sammeln sich.
Foto: Initiative Kontrolleur:innen Kontrollieren“

Hinrich von der Initiative „HVV umsonst“ erklärt am Mikrofon, warum der ÖPNV auch aus ökologischer Sicht kostenfrei werden sollte: „Repressive Ansätze, die zwar Kontrollen ausweiten, aber nicht darauf abzielen, motorisierten Individualverkehr abzubauen und den ÖPNV sozial ausgewogen zu finanzieren, sind rückwärtsgewandt und zum Scheitern verurteilt. (…) Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die inzwischen für alle bedrohlichen Emissionen durch den individuellen Autoverkehr zu mindern.“

Die Diskussionen um das 9- bzw. 49-Euro-Ticket der letzten Monate zeigen, wie notwendig die Debatte um einen kostenfreien ÖPNV, wie es ihn im Übrigen in einigen Städten und Staaten bereits gibt, neu entfacht. Die Initiative „Kontrolleur:innen kontrollieren“ will dran bleiben, neue Pläne sind bereits in Arbeit. Bis dahin gibt sie auf ihren Flyern Tipps, mit welchen Tricks Menschen geholfen werden kann, wenn es wieder einmal heißt „Einmal den Fahrschein, bitte!“

Ein Gedanke zu “Stop bullying the neigbourhood

  1. Ich werde jedesmal wütend, wenn die Kontrolleure wieder jemanden erwischt haben. Es ist erniedrigend und grausam. Obendrein fremdschäme ich mich für die Kontrolleure. Irgendwie schäbig, arme Schlucker zu erwischen. Gibt es keine besseren Jobs für sie? Machen sie das gern?

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Jenny Domnick

Als freiberufliche Texterin und gesellschafts-politisch aktive Person ist sie viel im Internet unterwegs, unternimmt aber auch gerne Streifzüge am und im Wasser. Wenn's pladdert, müssen ihre Freund*innen als Testesser*innen für ihre Hobby-Kochkünste herhalten.

Alle Beiträge ansehen von Jenny Domnick →