672 Stunden Musik – zum 14. Mal 48h Wilhelmsburg

Am zweiten Juniwochenende präsentiert das Netzwerk „Musik von den Elbinseln“ wieder 48 Stunden lang das musikalische Wilhelmsburg. Der WIR sprach mit Projektleiterin Alena Kruse über das Programm, über Kritik und neue Herausforderungen

Mit 145 mal Musik an 52 Orten steigen am zweiten Juniwochenende wieder die 48h Wilhelmsburg: mit einer bunten Mischung unterschiedlichster Musik von afrikanischen Rhythmen über Balkanklänge bis zu Irish Folk und mit dem von jungen Menschen organisierten „Südwärts Festival“ am Sonnabend vor dem Bürgerhaus. Es wird in diesem Jahr am Freitagabend wieder eine Auftaktveranstaltung auf den Ursula-Falke-Terrassen geben und Konzerte im Reiherstiegviertel. Am Sonnabend geht es auf eine „musikalische Rundreise“ durchs Bahnhofs- und Korallusviertel und am Sonntag ziehen die 48h auf die Veddel und ins Hafenmuseum. Das komplette Programm wird am 19. Mai veröffentlicht.

Kritik an der Ehrenamtspauschale

Das bunte Plakat mit einer Vogelfigur als DJ im Zentrum und der weißen Überschrift 48H Wilhelmsburg

Bereits im Vorfeld der 48h 2022 hatte es Kritik von Musiker:innen (WIR 6/22) unter anderem an der „Ehrenamtspauschale“ gegeben. Darin wurde eine reguläre Bezahlung anstatt der kleinen Pauschale gefordert. Darauf hatten die 48h-Organisator:innen ihrerseits mit einem Brief (WIR 8/22) geantwortet.

In diesem Jahr wurde nun erneut Kritik laut, unter anderem an der Auswahl der Bands. Mariusz Rejmanowski schreibt in einem Leserbrief an den WIR unter der Überschrift „Etikettenschwindel“, es handele sich bei den 48h gar nicht mehr um ein Nachbarschaftsfest mit lokalen Musiker:innen, vielmehr seien Wilhelmsburger Musiker:innen bei der Auswahl eher benachteiligt.
Die alte und neue Kritik berührt die Kehrseite des Erfolgsmodells 48h. Ein Problem, mit dem sich die Macher:innen des Musikfestes auch vorher schon einmal auseinandergesetzt haben. Unter anderem wurde im Programmheft zum zehnjährigen Jubiläum 2019 in einer Bestandsaufnahme unter dem Titel „Eine Erfolgsgeschichte nicht ohne Wachstumsschmerzen“ dazu Stellung genommen.

2010 war 48h Wilhelmsburg noch ein von Bürgerhausleuten und Netzwerkaktiven ziemlich unbürokratisch organisiertes Stadtteilfest mit Musik in Läden, Wohnungen und auf dem Balkon. Alle konnten mitmachen, man zählte etwa 2.000 Besucher:innen, gespielt wurde, wie in der Straßenmusik üblich, „auf Hut“. Schon vier Jahre später stieß das Modell organisatorisch und finanziell an seine Grenzen. Inzwischen sind es über 20.000 Besucher:innen.

Die 48h bleiben ein nicht-kommerzielles Stadtteilfest

Die 48h Wilhelmsburg sind heute nicht mehr das überschaubare Nachbarschaftsfest wie vor 14 Jahren. Nicht nur wegen der Besucher:innen von überallher, auch die Stadtteilarbeit über das Fest hinaus, das „Community Building durch Musik“, das die 48h auch sein wollen, funktioniert heute anders, professioneller. Aber auch wenn die 48h inzwischen von außen vielleicht vor allem als großes Musikevent mit entsprechendem Budget und organisatorischem Aufwand wahrgenommen werden, sind sie kein „Etiketttenschwindel“. Sie bleiben, anders als etwa das benachbarte Dockville, ein nicht-kommerzielle Stadtteilveranstaltung. Die Musiker:innen und Bands, von Amateur:innen bis Profis, werden von einem Programmkomitee ausgewählt, für das sich jede:r bewerben kann. Und die Künstler:innen müssen auf den Elbinseln wohnen oder arbeiten. „Wir erheben den Elbinselbezug bei allen Bewerber:innen“, sagt Alena Kruse, „und bei den Bands wohnt, probt oder arbeitet mindestens ein Mitglied in Wilhelmsburg oder auf der Veddel. Bei der hohen Zahl der Anmeldungen mussten wir in diesem Jahr leider gut 30 Bands absagen. Es gibt für die Auswahl keinen festen Kriterienkatalog, den wir abhaken könnten. Wir gucken vor allem auf die Vielfältigkeit des 48h-Programms.“

Freier Eintritt und „Spielen auf Hut“

Der freie Eintritt, ebenso wie das „Spielen auf Hut“ sind nach wie vor sozusagen ein Markenkern des Festes. Gagen für die Musiker:innen sind neben der kleinen „Ehrenamtspauschale“ im Konzept nicht vorgesehen und wären auch nicht bezahlbar. Die Pauschalen wurden in diesem Jahr etwas erhöht. Die Finanzierung der 48h ist transparent und kann im Netz eingesehen werden. Ebenso wie die jährlichen Bemühungen um Sponsoren und Fördergelder. „Die neue Regelförderung von 80.000 Euro deckt ja nur ein Drittel der Gesamtkosten,“ sagt Alena Kruse. „Wir sind weiterhin auf Förderung und Spenden angewiesen und keinesfalls selbstverständlich durchfinanziert.“

Fokus auf die Netzwerkarbeit im Stadtteil

Ob die 48h Wilhelmsburg ihrem Anspruch als Nachbarschaftsfest noch gerecht werden, haben die Macher:innen immer wieder zur Diskussion gestellt. Und die „Wachstumsschmerzen“ werden in Zukunft sicher nicht kleiner. Ein Thema im Netzwerk ist die Frage, was die neuen Quartiere mit zusätzlich 15.000 Wilhelmsburger:innen in den nächsten Jahren für die Entwicklung der 48h bedeuten könnten. Alena Kruse betont: „Wir haben nicht den Anspruch und auch nicht den Plan, weiter zu wachsen, sondern möchten das Festival weiterhin auf dem Level von 2022/23 möglich machen – was bei den Kostensteigerungen in den letzten Jahren und unseren Mitteln schon sehr ambitioniert ist. Unser Ziel ist es, den Fokus wieder stärker auf die Netzwerkarbeit im Stadtteil und den partizipativen Charakter von 48h zu richten. Durch die fehlenden Mittel in diesem Jahr werden wir das leider 2023 nicht nach unseren Vorstellungen umsetzen können.“

4 Gedanken zu “672 Stunden Musik – zum 14. Mal 48h Wilhelmsburg

  1. Moin! Leider funktioniert der Link zum Leserbrief „Etikettenschwindel“ nicht. Dabei würde mich dieses Thema auch interessieren. Zumal die Frage auch schon bei facebook ganz konkret gestellt wurde, aber lediglich ausweichend und eigentlich gar nicht beantwortet wurde. Dank & Gruß!

    1. Lieber Thorsten,
      danke, dass Sie uns gleich darauf aufmerksam gemacht haben.
      Es fehlte in der Verlinkung die URL, so dass das .pdf aus unserer Mediathek nicht heraus konnte zu Ihnen.
      Nun klappt es aber!
      WIR bitten das Versehen zu entschuldigen.
      Herzliche Grüße aus der Redaktion
      Sigrun Clausen

      1. Hallo Sigrun,
        danke für die Verlinkung des Leserbriefs und Dank natürlich auch an den Verfasser des Schreibens. Viele der geäußerten Bedenken kann ich als langjähriger Fan und Beobachter der Veranstaltung nachvollziehen und ich denke, das MvdE Team täte gut daran, seine hehren Ziele und seine Selbsteinschätzung anhand der Vorwürfe einem Realitäts-Check zu unterziehen.
        Was ich ebenfalls vermisse, ist die Transparenz, die wohl gerade bei einem weitgehend aus Steuermitteln finanzierten Projekt erwartet werden darf. So wurden zwar in den letzten Jahren im Nachgang von 48h Besucherumfragen durchgeführt, die Ergebnisse aber nie – auch nicht auf Nachfrage und auch nicht auszugsweise – veröffentlicht. Der Verdacht liegt nahe, dass die Antworten nicht den Erwartungen und der eigenen Selbstdarstellung entsprachen.
        Und wenn ich jetzt lese, dass über 30 Bands abgesagt werden musste, dann werde ich wohl nie erfahren, was die Gründe dafür waren. Mangelnde politische Korrektheit der Bewerber*innen wird es wohl kaum gewesen sein, mit dem Wilhelmsburg-Bezug nimmt man es ja eh nicht so genau und musikalisches Können sollte kein Kriterium sein.
        Wenn also ein Mitglied des Netzwerks wieder mal am ersten Veranstaltungstag solo auftritt, am zweiten als Duo und am dritten mit seinem Quartett, dann würde es es vielleicht nicht nur mich rasend interessieren, was die über 30 abgelehnten Acts falsch gemacht haben, dass sie für keinen dieser begehrten Slots in Frage kamen. Mangelnde „Vernetzung“?
        Dennoch alles Gute für die Zukunft der Veranstaltung und viel Glück den Macher*innen bei den m. E. fälligen Kurskorrekturen,
        Thorsten

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Hermann Kahle

Hermann Kahle schreibt über Kultur, Schule und für den Kaffeepott

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