Volksbegehren „Rettet Hamburgs Grün“ kommt nicht zustande

Hamburg vertut erneut die Chance auf einen Richtungsentscheid in Sachen Klimaschutz. Senat hebelt mit der Anrufung des Hamburgischen Verfassungsgericht die direkte Demokratie aus

Grafik: RHG

Ende 2021 war die Volksinitiative „Rettet Hamburgs Grün – Klimaschutz jetzt!“ (WIR 20.10.21) zustande gekommen. Mehr als 10.000 Menschen hatten sich mit ihrer Unterschrift für die Forderung eingesetzt, in Zukunft Grünflächen, Wälder und Moore in Hamburg, die größer sind als ein Hektar, nicht mehr zu versiegeln. Erreichen wollte die Initiative dies mit der formalen Bestimmung, dass auf den entsprechenden Flächen keine neuen Baugebiete durch Bebauungspläne mehr ausgewiesen werden sollten.

Dürfen sie? Senat zweifelte Rechtmäßigkeit des Volksbegehrens an

Eine erfolgreiche Volksinitiative ist eine Art Beschlussvorlage für die Hamburgische Bürgerschaft. Die Bürgerschaft kann den Inhalt der Volksinitiative beschließen oder ablehnen. Da die Bürgerschaft einen Beschluss gemäß der Vorlage „Rettet Hamburgs Grün“ ablehnte, startete die Initiative die zweite Stufe des Volksgesetzgebungsverfahrens: Sie meldete im Mai 2022 ein Volksbegehren an. Daraufhin rief der Senat das Verfassungsgericht Hamburg mit der Begründung, die Vorlage sei nicht verfassungsgemäß, an. Gut anderthalb Jahre später, am vergangenen Freitag, 8.12., erfuhren die Initiator*innen von „Rettet Hamburgs Grün“ nun endlich, ob sie das Volksbegehren durchführen dürfen oder nicht.

Sie dürfen nicht. Verfassungsgericht erklärte Volksbegehren für unrechtmäßig

Sie dürfen nicht. Das Verfassungsgerichts entschied, das Volksbegehren sei nicht verfassungskonform. Es begründete dies damit, dass die grundlegende Festsetzung, in Hamburg Grünflächen über ein Hektar nicht zu bebauen, mit dem übergeordneten Bundes-Baurecht kollidiere. Denn dort ist u. a. festgeschrieben, dass die Länder bei ihrer Bebauungsplanung alle öffentlichen und privaten Belange und Bedürfnisse gegeneinander abwägen müssen. Dazu gehören z. B. die sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung, Belange des Umwelt- und Naturschutzes, der Wirtschaft, der Verkehrsplanung und der Infrastruktur. Dieses Abwägen muss für jedes einzelne Bauprojekt geschehen. Die Richter*innen lehnten das Volksbegehren ab, da die generelle Nicht-Bebauung von Ein-Hektar+-Grünflächen nicht dem Prinzip der Abwägung jedes Einzelfalls entspräche, sondern eine Vorabentscheidung darstelle. Gerichtsurteil „Rettet Hamburgs Grün“ Pressestelle Senat

Nicht nachvollziehbar

Für alle Menschen, die der Volksinitiative ihre Stimme gegeben haben um den Volksentscheid herbeizuführen, für die Initiator*innen und für das dahinterstehende Initiativen-Netzwerk ist die Entscheidung des Verfassungsgerichts ein Schlag ins Gesicht. Nicht nur wurde ein zweifelhafter Urteilsspruch gefällt, sondern auch eine echte Richtungsentscheidung hin zu aktivem Klimaschutz und Erhalt der Artenvielfalt verhindert.

Dazu sagt Michael Heering, Mitinitiator von „Rettet Hamburgs Grün“: „Es war uns gelungen, innerhalb von nur drei Monaten über 14.000 gültige Unterschriften zu sammeln. Dafür hätten wir eigentlich sechs Monate Zeit gehabt, und auch nur 10.000 Unterschriften gebraucht.“ Allein das zeigt, wie wichtig den Hamburger*innen das Anliegen der Volksinitiative war. „Weil der Senat erfolgreich geklagt hat, können die Hamburger*innen nun leider nicht über das Volksbegehren abstimmen“, resümiert Heering. Das Gerichtsurteil ist für ihn unverständlich: „Wir können die Begründung des Gerichts nicht nachvollziehen. Denn wenn etwas grundsätzlich unterlassen wird, dann gibt es nichts abzuwägen.“ Das heißt, wenn Flächen mit mehr als einem Hektar gar nicht erst als Baugebiet ausgewiesen werden, dann gibt es keine Bau-Planung und also auch keine Bau-Vorschriften, die Anwendung finden müssten: Wo nichts gebaut wird, muss auch nichts abgewogen werden.

Im übrigen gibt es solche Flächen, die aus unterschiedlichen Gründen von vornherein von einer Bebauung ausgenommen sind, in Hamburg bereits, z. B. Naturschutzgebiete. Das scheint ja mit dem Bundesbaurecht durchaus vereinbar zu sein. Warum die Ein-Hektar+-Flächen nicht als „Klimaschutzgebiete“, ebenfalls mit einem Bebauungsverbot, ausweisen?

Flächenschutz ist Klima-, Arten- und Überflutungsschutz

In Zeiten von Klimawandel, Starkregenereignissen und Artenschwund muss die Flächenversiegelung – gerade in den sowieso schon dicht bebauten und zubetonierten Städten – gestoppt werden, mehr noch, die Städte sind schon jetzt aufgerufen zu entsiegeln. Michael Heering erklärt: „Der Klimawandel steht ja nicht mehr vor der Tür, sondern ist schon im Wohnzimmer angekommen. Versiegelung ist jedoch gleichbedeutend mit einer weiteren Erwärmung der Stadt. Grünflächen hingegen kühlen und binden CO2. Außerdem sind sie Lebensraum für Insekten und dienen dem Erhalt der Artenvielfalt.“

Immer öfter treten großen Regenmassen auf. In offenen Böden kann das Wasser versickern, auf versiegelten Flächen nicht. Je mehr Boden versiegelt wird, desto öfter kommt es zu Zerstörungen durch Hochwasser und Überflutungen. Um hier gegenzusteuern, haben Wissenschaftler*innen und Städteplaner*innen das Prinzip der „Schwammstadt“ entwickelt, einer Stadt, die die größeren Wassermengen aufsaugen kann wie ein Schwamm. Auch Hamburg will, laut Klimaplan, Schwammstadt werden. Wie das angesichts all der geplanten großflächigen Bebauungen gehen soll, ist ein Rätsel.

So soll in Billwerder ein kompletter neuer Stadtteil mit mehr als 10.000 neuen Wohneinheiten buchstäblich auf die grüne Wiese gebaut werden. Eine Marschlandschaft, ähnlich der im Wilhelmsburger Osten, wäre unwiederbringlich zerstört. In Langenhorn sollen ökologisch hoch bewertete Kleingärten und ein Moor, das als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen ist – das Diekmoor -, dem Wohnungsbau weichen. Hier auf Wilhelmsburg ist der rund zehn Hektar große Wilde Wald, ein 61 Jahre alter Sukzessionswald, von der Rodung bedroht. Die IBA Hamburg will dort das „Spreehafenviertel“ mit 1.000 Wohnungen, Gewerbe und Sportanlagen bauen.

Hamburg verhindert mithilfe des Verfassungsgerichts immer wieder Volksbegehren

2012 wurde das Hamburger Volksabstimmungsgesetz (VAbstG) geändert. Der Senat hat seitdem die Möglichkeit, das Verfassungsgericht anzurufen, wenn er „erhebliche Zweifel daran“ hat, dass eine Volksinitiative mit Artikel 50 (1)2 der
Hamburgischen Verfassung vereinbar ist. In dem Artikel ist festgelegt, über welche Dinge die Bürger*innen nicht in einer Volksinitiative abstimmen können. Das sind „Bundesratsinitiativen, Haushaltspläne, Abgaben, Tarife der öffentlichen Unternehmen sowie Dienst- und Versorgungsbezüge“. Diese Dinge „können nicht Gegenstand einer Volksinitiative sein“.

Von dieser Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit des Inhalts einer Volksinitiative in Frage zu stellen und diese vor das Verfassungsgericht zu bringen, macht der Hamburger Senat seit der Gesetzesänderung regen Gebrauch. Offiziell sieht er sich verpflichtet, Volksbegehren auf deren Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen – doch liegt der Verdacht nahe, die Regierenden nutzten den geänderten Artikel 50 (1) um unliebsame Anliegen der Bürger*innen abzuwehren. Der Verein „Mehr Demokratie“ spricht diesbezüglich schon länger von einer Aushebelung der direkten Demokratie in Hamburg.

2013 kam es zum letzten Mal zu einem Volksentscheid in der Hansestadt (Rückkauf der Energienetze, erfolgreich). Alle anderen erfolgreichen Volksinitiativen wurden quasi schon im Keim erstickt, so dass es in der Regel nicht einmal mehr zum Volksbegehren kam – das betraf z. B. die Initiative für verbindliche Bürgerentscheide auf Bezirksebene (2019) oder für einen Modellversuch zur Einführung eines Grundeinkommens (Juli 2023; seit September ’23 läuft ein neuer Versuch). Jetzt traf es auch „Rettet Hamburgs Grün – Klimaschutz jetzt!“.

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Sigrun Clausen

Wenn sie nicht am Nachbarschreibtisch in ihrer Schreibstube arbeitet oder in der Natur herumlungert, sitzt sie meist am Inselrundblick. Von ihm kann sie genauso wenig lassen wie von Wilhelmsburg.

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