Wer Straßen sät …

Auf der Veranstaltung „Pegelstand Elbinsel“ mit dem Thema „Verzicht auf die A26-Ost? – Neue Prioritäten im Verkehr für den Hamburger Süden“ wurde der aktuelle Stand in der Auseinandersetzung um die umstrittene Autobahn diskutiert

Die „Pegelstände“ des Vereins Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg sind seit vielen Jahren ein wichtiges Element der Wilhelmsburger Stadtteildemokratie. Das bestätigte sich einmal mehr auf der ersten Pegelstand-Veranstaltung nach drei Jahren Corona-Pause. Gut 100 Besucher:innen versammelten sich am 4. April 2023 im kleinen Saal des Bürgerhauses zum Dauerthema „A26-Ost“.
Moderator Hartmut Sauer betonte in der Begrüßung noch einmal die Bedeutung des Themas für die Elbinsel: Wilhelmsburg werde jetzt schon von den Verkehrsachsen A1 und A7 durchzogen. Damit sei die Akzeptanz der Wilhelmsburger:innen aufgebtaucht. Die geplante A26-Ost sei nicht mehr akzeptabel.
In drei Referaten wurde dann der aktuelle Stand der Kritik an der A26-Ost dargestellt und die alte Kontroverse um die Autobahn über die Hohe Schaar und Kirchdorf-Süd verdeutlicht.

Kritik am Bundesverkehrswegeplan


Die Referent:innen: v.l. Philine Gaffron, Dominik Lorenzen, Christoph Birkel. Foto: W. Hopfenmüller

Philine Gaffron, Mobilitätsforscherin an der TU Hamburg und Mitglied des Klimabeirats des Hamburger Senats, erläuterte die Kritik am Bundesverkehrswegeplan (BVWP) aus verkehrswissenschaftlicher Sicht. Der bis 2030 gültige Plan von 2016 habe einen mangelhaften strategischen Rahmen, es gebe keine übergeordneten Zielsetzungen, und vor allem seien die Parameter der Verkehrsprognose in weiten Teilen überholt. Das Aufkommen des PKW- und LKW-Verkehrs wachse langsamer als prognostiziert. Der BVWP sei auch nicht mehr konform mit dem Klimaschutzgesetz von 2019 und berücksichtige die EU-Vorgaben für „strategische Umweltprüfung“ nicht. Zudem sei die Einordnung der Projekte in Dringlichkeitsstufen intransparent. Bezogen auf den Bericht des Weltklimarates sagte sie: „Wenn die Klimaziele bis 2035 erreicht werden sollen, muss es drastische Einschnitte geben. Mindestens ein Moratorium, um entsprechende Ziele zu definieren.“ Konkret für den Hamburger Süden zeigten die Untersuchungen der erwartbaren Effekte durch die A26-Ost keinen „Gesamtnutzen bei lokalen Emissionen“ Und ein größerer „Reisezeitgewinn“ sei zumindest fachlich umstritten, ebenso die entlastende Wirkung auf die B73, die ja als wichtiges Argument ins Feld geführt würde.

Der Teufelskreis „mehr Menschen, mehr Autos, mehr Straßen …“

Malte Siegert vom Naturschutzbund Hamburg (NABU) wies auf die aktuelle Situation des Hamburger Hafens hin. Der Rückgang der Umschlagzahlen sei nicht umkehrbar. Hingegen werde der Hafen in Zukunft „Schnittstelle für die energetische Transformation“ sein, das heißt, der Standort Hohe Schaar als Zentrum für die Entwicklung der Wasserstoff-Produktion und -Lagerung sei in Zukunft für die wirtschaftliche Entwicklung ein Hotspot. Diese Funktion sei aber mit jener der A26-Ost, die in 50 Meter Höhe über oder neben dem Gelände verlaufe, nicht vereinbar.

Dominik Lorenzen, Vorsitzender der Grünen Bürgerschaftsfraktion, stellte noch einmal seine Position und den Konflikt mit dem Senat dar. Mit diesen hatte er vor zwei Monaten für Schlagzeilen gesorgt hatte (WIR 1/23) und stimmte Philine Gaffron zu: Aus ökologischer Sicht sei die Autobahnpolitik nicht vertretbar. Ebenso sei die Gleichung „mehr Menschen, mehr Autos, mehr Straßen“ ein Teufelskreis und bringe keine Entlastung sondern immer neue Staus. Wichtig sei vielmehr, die bestehenden Straßen zu sanieren. Er meinte auch, die Planung der A26-Ost sei nicht, wie die Wirtschaftssenatorin Leonhard behaupte, schon abgeschlossen. Er sehe noch die Möglichkeit, im Bund für die Priorität des Köhlbrandtunnels zu streiten.

Die überlastete B73

Christoph Birkel, Geschäftsführer vom Harburger Tempowerk/hit-Technopark und Beiratsmitglied im Wirtschaftsverein Hamburger Süden, hatte dann die etwas undankbare Rolle des Gegenparts. Er trug als Einziger noch einmal die umstrittenen Argumente für die Notwendigkeit der A26-Ost vor. Er stehe der A26-Ost positiv gegenüber. Sie hätten im Tempowerk ein hohes Aufkommen an Pendler- und Lieferverkehr, der unter der überlasteten B73 leide. Das hohe Verkehrsaufkommen dort sei ja auch eine Belastung für die Anwohner:innen. Man brauche viele Verkehrswege, auch um bei Staus ausweichen zu können. Die A26-Ost sei wichtig für die Wirtschaftsentwicklung in Hamburgs Süden. Natürlich sei auch er für die Mobilitätswende, die Bahn müsse ausgebaut werden. Aber man dürfe das eine nicht gegen das andere ausspielen.

Notwendige Zwischenlösungen

Sechs Teunehmer:innen stehen im Mittelgang in der Schange vor dem Saalmikrofon.
Lebendige Diskussion. Foto: H. Kahle

In der anschließenden Publikums-Diskussionsrunde gab es einige Ergänzungen. So wies ein Teilnehmer aus Moorburg auf den großen ökologischen Schaden durch Vernichtung von Mooren hin. Lutz Cassel erwähnte die Alternativen des Wasserverkehrs im Hamburger Hafen. Das sei ein alter Vorschlag des Beirats, auf den die Stadt nie eingegangen sei. Philine Gaffron wies noch auf eine aktuelle Forderung des Klimabeirats hin: Bei allen geplanten ÖPNV-Großprojekten müsse man fragen: Wie lange dauert die Realisierung, was kostet sie, wer soll sie ausführen? Es sei wichtig, schnell realisierbare Zwischenlösungen zu finden, zum Beispiel zusätzliche Buslinien mit eigenen Busspuren. Die Rolle der Grünen wurde kontrovers diskutiert. Dominik Lorenzens öffentlicher Vorstoß wurde gelobt: Er habe der Debatte neuen Auftrieb gegeben (WIR 3/23). Es wurde aber auch moniert, dass die Grünen in den letzten zehn Jahren schon zweimal in Koalitionsverträgen die „Autobahnkröte“ geschluckt hätten und parlamentarisch bisher nichts zur Verhinderung der A26-Ost auf die Reihe gekriegt hätten.

Der Unsinn mit der A26-Ost ist durch die Verleihung des Umwelt-Dinosauriers und die Auseinandersetzungen in der Ampelkoalition inzwischen sogar bundesweit bekannt. Der Pegelstand am 4. April hat gezeigt, dass auch der Widerstand vor Ort noch lebt. Nach der Veranstaltung blieben noch viele Besucher:innen im Foyer des Bürgerhauses und diskutierten – auch darüber, wie es weitergehen könnte.

Köhlbrandtunnel wieder infrage gestellt

Nach letzten Meldungen wird der fest beschlossene Köhlbrandtunnel wieder infrage gestellt. Die zu den Akten gelegte Brückenvariante wird wieder geprüft. Kern der gewundenen Senatserklärung zum Tunnel: zu teuer, Bauzeit zu lange, Untergrund zu matschig. Im ungünstigsten Fall könnte der Senat dann das eingesparte Geld als Argument für die Finanzierung der A26-Ost ins Feld führen. Andererseits lehrt uns die Meldung aber auch, wie es im Anti-A26-Lied heißt: „Die Sache ist doch noch nicht geritzt“(WIR 7/22).

Sketchnotes von der Veranstaltung. Oben die Portraits der vier Beteiligten auf dem Podium. Links Infos aus dem Impulsvortrag von Dr. Gaffron, sowie Fragen und Antworten von Hartmut Sauer und den drei Eingeladenen zur A26-Ost. Rechts Anmerkungen aus dem Publikum. Auch einige Fragen. Rechts unten der Satz: „Lassen Sie uns nicht heute die Autobahnen bauen, die wir morgen nicht mehr brauchen“. Sketchnotes: © Ania Groß
Ania Groß hat Sketchnotes gemacht. Links der Impulsvortrag von Dr. Philine Gaffron und die Fragerunden von Hartmut Sauer mit den drei Gäst:innen auf dem Podium. Rechts die Anmerkungen und Fragen aus dem Publikum. (Ein Klick aufs Bild zeigt die visuellen Notizen in groß.)

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Hermann Kahle

Hermann Kahle schreibt über Kultur, Schule und für den Kaffeepott

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