
Einen Tag nach der großen Demonstration in Oldenburg sind im Sanitaspark circa 100 Wilhelmsburger*innen zusammengekommen, um des jungen Schwarzen Menschen zu gedenken, der in der Nacht zum Ostersonntag von einem Polizisten erschossen worden war
Die Stimmung ist eine seltsame Mischung aus Bedrückung und Freude. Bedrückung, denn ein junger Mensch ist ums Leben gekommen. Wieder ein Schwarzer junger Mann, wieder aus einer Polizeipistole. Zu Unrecht, wie viele der Anwesenden hier, auf der Oldenburger Demo und im Internet denken. Freude deshalb, weil so spontan so viele Menschen aus dem Stadtteil gekommen sind, um Lorenz gemeinsam zu gedenken.
Während viele Familien den Sonntag nutzen, um mit ihren Kindern im Park am Veringkanal zu spielen, zu grillen oder einfach in der Sonne zu liegen, legen immer mehr Menschen Blumen und Fotos auf einer Bank ab, auf der mehrere Kerzen brennen. Die Fotos zeigen Lorenz, schmales Gesicht, ohrenlange Dreads, Trainingsjacke – er könnte genauso gut einer der Jungs sein, die hier auf dem Bolzplatz nebenan kicken.
Vielfältiges Gedenken
Mittlerweile füllt sich die Wiese vor der Bank mit Menschen, viele aus der BIPoC1-Community, aber auch aller anderen Zugehörigkeiten. Die Organisatorinnen schenken Tee aus, eine Gitarristin singt ein Lied, das sie vor sechs Jahren nach den Hanauer Morden geschrieben hat. Damals hatte ein Attentäter neun Menschen aus rassistischen Motiven getötet. Angehörige und Aktivist*innen kritisieren bis heute die Behördenarbeit und das polizeiliche Verhalten in der Tatnacht. Die Zuhörenden hören aufmerksam zu, klatschen.
Eine andere Frau liest zwei Gedichte vor, das erste ist aus Semra Ertams Buch „Mein Name ist Ausländer“. Die türkeistämmige Schriftstellerin hat sich 1982 in Hamburg an ihrem 25. Geburtstag aus Protest gegen den wachsenden Rassismus selbst verbrannt. Trotz des Trubels rund um die Gedenkenden ist es andächtig, immer mehr Menschen jeden Alters bleiben stehen, halten vor der Bank inne oder unterhalten sich leise über das Geschehene und ihre Gefühle dazu. Gleichzeitig spielen Kinder zwischen den Erwachsenen, viele von Ihnen ebenfalls BIPoC, in ein paar Jahren werden auch sie in Clubs gehen wollen.
Was ist passiert?
In der Nacht zum Ostersonntag gab eine Auseinandersetzung vor einer Diskothek in Oldenburg. Die Polizei schildert die Geschehnisse folgendermaßen: Lorenz A. sei nicht in eine Disco gelassen worden, daraufhin habe er Reizgas („Pfefferspray“) in die Richtung zweier Security-Mitarbeiter gesprüht. Lorenz sei daraufhin geflüchtet und von mehreren Personen verfolgt worden. Als er ihnen mit einem Messer gedroht habe, hätten sie die Verfolgung abgebrochen. Zwischenzeitlich eingetroffene Polizeikräfte hätten Lorenz nicht stoppen können. Als er in einer anderen Straße auf weitere Polizisten getroffen sei, soll er laut Staatsanwaltschaft Reizgas in deren Richtung gesprüht haben und dann „an ihnen vorbei“ gelaufen sein. Ein 27-jähriger Polizist schoss fünfmal auf den 21-Jährigen, laut Obduktionsbericht mindestens dreimal davon in den Rücken.
Zwischendurch spricht ein Wilhelmsburger in Lorenz’ Alter vor der Versammlung: Er habe eben erst über Social Media von ihr erfahren. Er wohne hier um die Ecke und bedanke sich, dass so viele gekommen seien. Er sei Teil einer kleinen Gruppe, die gerade eine Demo in der Innenstadt für den 30. April2 plane, Hilfe sei hoch willkommen.
Schließlich geht ein rotes Kondolenzbuch durch die Reihen, fast alle schreiben etwas hinein, „damit die Familie von Lorenz sehen kann, dass ihr da wart“, sagt eine der Organisatorinnen.
1 BIPoC (Black, Indigenous, and other People of Color), ist ein Begriff aus dem anglo-amerikanischen Raum und beschreibt Personen oder Gruppen, die vielfältigen Formen von Rassismus ausgesetzt sind und die die „gemeinsame, in vielen Variationen auftretende und ungleich erlebte Erfahrung [teilen], aufgrund körperlicher und kultureller Fremdzuschreibungen der weißen Mehrheitsgesellschaft als ‚anders‘ und ‚unzugehörig‘ definiert zu werden.“ (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/People_of_Color)
2 „Justice for Lorenz“, 30.4.25, 18 Uhr am Hachmannplatz