In einem Unterrichtsprojekt beschäftigte sich eine siebte Klasse der Schule auf der Veddel kritisch mit der Reederfamilie Sloman, die mit der Geschichte der Veddel eng verbunden ist. Als Ergebnis ihrer Recherchen stand der Vorschlag, den Slomanstieg umzubenennen
Vertreter*innen der Schule und des Bezirks, Bezirksamtsleiter Neubauer und der chilenische Generalkonsul hatten sich vor der Schule auf der Veddel eingefunden, um das neue Straßenschild zu enthüllen: Der Slomanstieg wurde feierlich in Castellonstieg umbenannt. Die Idee, die kleine Straße umzubenennen, hatten Schüler*innen einer siebten Klasse der Schule im Rahmen eines Geschichtsprojekts schon 2017.
Slomans zwei Seiten
Bezirksamtsleiter Ralf Neubauer und der ehemalige Bezirksabgeordnete und „Veddel-Kümmerer” Klaus Lübke erläuterten, warum es bis zur Umsetzung so lange gedauert hat (die Schüler*innen, von denen der Vorschlag kam, sind schon lange nicht mehr auf der Schule). Einmal sei der Weg vom Vorschlag einer Umbenennung bis zur Umsetzung sehr lang und führe über verschiedene Gremien des Bezirks und der Bürgerschaft, bis schließlich der Senat die Umbenennung beschließe. Außerdem seien die Umbenennungen von Straßen oft umstritten, so auch diese.
Immerhin hatte der Reeder Robert M. Sloman auch den Ruf eines Wohltäters, gerade auf der Veddel. Ein Gedenkstein gegenüber der Schule erinnert an die Arbeitersiedlung, die er als Bürgerschaftsabgeordneter hier in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts erbauen ließ. Den „zwei Seiten” Slomans gerecht zu werden, wurde den Bezirksfraktionen allerdings leicht gemacht, weil auf der Veddel zwei Straßen seinen Namen tragen: Der Slomanstieg wurde nach dem Vorschlag der Schule umbenannt, die Slomanstraße behält ihren Namen.
Die düstere Seite der Sloman-Familie
Die Schüler*innen der Klasse 7b der Schule auf der Veddel beschäftigten sich 2017 mit der düsteren Seite der Slomans, die die Grundlage für den Reichtum und das Mäzenatentum der Familie bildete. Ihr Lehrer Josef Bauer erzählte auf der Umbenennungsfeier noch einmal, wie es dazu kam. Gemeinsam mit einem Austauschlehrer aus Kamerun organisierte er ein Unterrichtsprojekt zum Thema Kolonialismus. In diesem Rahmen stießen sie auch auf die Geschäfte der Familie Sloman. Nicht ganz zufällig, der Slomanstieg war die Adresse der “Schule auf der Veddel”, die bis 2012 noch “Schule Slomanstieg” hieß. Aus verschiedenen Quellen, unter anderem dem Buch „Gedächtnis der Stadt” der Landeszentrale für politische Bildung, gewannen sie ein Bild der Familie Sloman, nach dem Menschenverachtung eine Geschäftsgrundlage der Familien-Unternehmen war.
Totenschiffe und getötete Aufständische in den Salpeterminen
Auf den Auswandererschiffen von Robert M. Sloman waren die Bedingungen für Passagiere und Mannschaften katastrophal, viele Menschen starben während der Überfahrten. In der Presse galten die Schiffe des Reeders als „Totenschiffe”. Und Slomans Neffe Henry betrieb mit anderen in der Atacama-Wüste in Chile eine der zahllosen Salpeterminen. Die Arbeits- und Lebensbedingungen in diesen Minen waren unmenschlich und lebensbedrohlich. 1907 streikten zehntausende Arbeiter. „Chilenische Truppen massakrierten über zweitausend Aufständische”, heißt es dazu im „Gedächtnis der Stadt”.
Gregorio del Jesus Castellon Lazarte
Als Ergebnis des Projekts schrieben die Schüler*innen einen Brief an Klaus Lübke, der damals SPD-Bezirksabgeordneter war: “Wir wollen den Namen vom Slomanstieg, an dem unsere Schule liegt, ändern. Wir wollen nicht, dass es so eine Straße auf der Veddel gibt, weil sie keine gute Vorgeschichte hat.” Klaus Lübke nahm sich der Sache an. Nach mehreren Gesprächen, Überlegungen für einen neuen Namen und einem Besuch beim chilenischen Konsul stießen sie auf Gregorio del Jesus Castellon Lazarte. Castellon, der von 1931 bis 2010 gelebt hat, hatte selbst in den Salpeterminen gearbeitet und war später bis 1973 der letzte Generalsekretär der chilenischen Gewerkschaftsunion für Salpeter. Nach dem Militärputsch 1973 war er für einige Zeit inhaftiert und arbeitete anschließend als einfacher Minenarbeiter bis 1980 weiter.
Bertini-Preis für das Schüler*innenprojekt
Die Schüler*innen der damaligen Klasse 7b wurden für ihre Arbeit 2019 mit dem Bertini Preis ausgezeichnet. Auch bei der Umbenennungsfeier erhielten sie im Nachhinein noch einmal Lob. Schulleiterin Bianka Petri sagte, die Beschäftigung mit dem Slomanstieg sei für die Schüler*innen ein lebensnahes Thema zur Werteerziehung gewesen und habe ihnen gezeigt, dass man etwas bewirken könne. Und die Bezirksabgeordnete Irene Appiah begrüßte den Erfolg des Schüler*innenprojekts: „Die Beschäftigung mit Kolonialismus und Entkolonialisierung gehört auch zum Bildungsauftrag der Schule.”
Der chilenische Generalkonsul Antonio Correa meinte in seinem Grußwort mit Bezug auf die Geschäftspraktiken vor mehr als hundert Jahren, dass diese Zeiten vorbei seien. Die Wirtschaftsverbindungen zu Deutschland seien aber auch heute von großer Bedeutung, zum Beispiel bei der Produktion und dem Export von Wasserstoff.
Vielleicht ist die neue Schuladresse „Castellonstieg” ja auch eine Anregung für neue kritische Unterrichtsprojekte zu den aktuellen Wirtschaftsverbindungen zu Chile.