Viele Fragen zur neuen Wohnunterkunft

In den nächsten Wochen ziehen die ersten Geflüchteten in die neue Wohnunterkunft am Vogelhüttendeich ein. Auf einer Informationsveranstaltung gab es viele Fragen, Kritik und Anregungen

Von der Straße aus mutet die fast fertige Wohnunterkunft für Geflüchtete am östlichen Ende des Vogelhüttendeichs an wie ein kleines Quartier. 25 zweigeschossige Container-Wohngebäude mit jeweils 24 Plätzen und mehrere zusätzliche Gebäude für Verwaltung und Gemeinschaftseinrichtungen stehen auf dem Gelände der zukünftigen Campusschule (WIR 14.3.23). Die Baukosten für die Anlage betragen 23 Millionen Euro. Anfang August ziehen die ersten 200 Geflüchteten aus der Ukraine und Asylsuchende aus anderen Herkunftsländern ein.

Mitte September wird die gesamte Unterkunft für 600 Menschen in Betrieb genommen. Nach jetzigem Stand soll die Anlage Ende 2025 geschlossen und wieder abgebaut werden. Die Campusschule soll dann, mit einem Jahr Verspätung, 2028 ihren Betrieb aufnehmen.

Das Interesse der Anwohner:innen unterschätzt

Am 18. Juli luden die zuständigen Behörden und der Betreiber der Einrichtung „Fördern und Wohnen“ (F&W) „Familien und Kinder, Bewohner:innen, Geschäftsleute und Aktive in Wilhelmsburg“ zu einer Informationsveranstaltung zur neuen Wohnunterkunft ein. Beatrice Nimphy vom Fachamt Sozialraummanagement Hamburg-Mitte (SR) wunderte sich aber in ihrer Begrüßung, dass so viele Wilhelmsburger:innen der Einladung gefolgt waren. Das Foyer des Sprach- und Bewegungszentrums (SBZ) im Rotenhäuser Damm war voll besetzt. Manche Besucher:innen mussten auf den Treppen sitzen oder vor der Tür stehen. Die Verantwortlichen unterschätzen offenbar immer noch das mit der bekannten Wilhelmsburger Willkommenskultur verbundene kritische Interesse der Einwohner:innen an allem, was mit der Einrichtung von Unterkünften zusammenhängt.

Viele Unterkünfte im Bezirk Mitte

Jakob Ungerer, Abteilungsleiter bei SR, referierte in einem Eingangsstatement über den Bedarf an Unterbringungsplätzen. Die Zahl der Zugänge von Geflüchteten besonders aus der Ukraine, aber auch aus anderen Herkunftsländern, bewege sich weiter auf hohem Niveau. Es würden in diesem Jahr in Hamburg rund 10.000 weitere Unterkunftsplätze gebraucht. Der Bezirk Mitte sei in der Tat bei der Einrichtung neuer Standorte besonders betroffen. Aber es es sollten in Wilhelmsburg keine weiteren Unterkünfte eingerichtet werden.

Nach einer ausführlichen Darstellung der Unterkunft am Vogelhüttendeich informierte die zuständige Schulrätin, Susanne Danke, über die Versorgung der Kinder. In der Unterkunft werden rund 90 schulpflichtige Kinder erwartet. Wie bei den anderen Unterkünften werden Kinder der Schuljahrgänge eins und zwei auf die Regelklassen der umliegenden Schulen verteilt, die anderen je nach ihren Vorkenntnissen auf „Basisklassen“ oder „internationale Vorbereitungsklassen“ (IVK). Sie räumte ein, dass in den IVK die Regelfrequenz von 15 bis 18 Schüler:innen bereits im letzten Jahr überschritten worden sei. Die Eltern erhielten außerdem Kita-Gutscheine und könnten sich damit eine geeignete Kita in der Umgebung suchen.

Auch die Gesundheitsversorgung, so die Information, wird dem Standard anderer Wohnunterkünfte entsprechen. Es wird eine basismedizinische Versorgung in der Unterkunft angeboten, ansonsten werden die Bewohner:innen zur „Regelversorgung“ an die örtlichen Ärzt:innen verwiesen.

Zahlreiche Fragen, wenig Antworten

Mehrere weiße Contajnergebäude im Hintergrund mit Sandwegen dazwischen. Auf einem Sandweg fährt ein Bagger.
25 zweigeschossige Wohngebäude in Containermodulbauweise. Foto: H. Kahle

Die zahlreichen Fragen und Anregungen aus dem Publikum machten dann deutlich, dass die Zahlen und Standardangaben, die die Behördenvertreter vorgetragen hatten, wenig über die Alltagsprobleme sagen, die auf die Bewohner:innen der Unterkunft und auf die Anwohner:innen und sozialen Einrichtungen im Reiherstiegviertel zukommen. Über 20 Fragen notierte Moderatorin Beatrix Nimphy an der Stellwand. Nur wenige konnten beantwortet werden.

So wurde unter anderem nach der Anbindung der Unterkunft an den öffentlichen Nahverkehr gefragt und nach Schwimmkursen für die Kinder. Die Schulleiterin der Stadtteilschule Wilhelmsburg, Katja Schlünzen, kritisierte, dass die Schule bereits jetzt personell „am Limit“ sei. Sie wollte von Frau Danke eine konkrete Aussage haben, wie viele Pädagog:innen die Schule für die kommenden zusätzlichen Aufgaben bekomme. Katrin Schwarz von „Die Insel Hilft“ erinnerte daran, dass es in Wilhelmsburg nur einen einzigen Kinderarzt gibt und zu wenig Fachärzt:innen. Es wurde angeregt, für die soziale Versorgung, zum Beispiel in Kitas, auch Bewohner:innen der Unterkunft mit entsprechender Fachkompetenz anzuwerben. Oder als zusätzlich Ehrenamtliche für die Tafel, die dort dringend gebraucht würden. Außerdem wurde vorgeschlagen, für die Bewohner:innen der Unterkunft Stadtteilrundgänge, gemeinsam mit den Anwohner:innen, zum besseren gegenseitigen Kennenlernen zu organisieren.

Eine zentrale Kritik äußerte Jürgen Geißler, Mitglied im Quartiersbeirat Reiherstiegviertel: Warum sei zu dieser Informationsveranstaltung erst so spät eingeladen worden, fragte er unter dem Beifall der Besucher:innen. Und warum sei der Quartiersbeirat nicht rechtzeitig in die Planungen der Unterkunft mit eingebunden worden. Der WIR hatte durch Zufall schon im März von der geplanten Unterkunft erfahren. Eine Informationsveranstaltung sei „regelhaft vorgesehen“, hieß es damals in der Auskunft der Sozialbehörde (WIR 3/23). Jakob Ungerer räumte ein, da sei einiges schief gelaufen, das sei „wirklich Mist“. Behörde und Betreiber wären gut beraten, die Kritik ernst zu nehmen und die Anwohner:innen an der weiteren Planung des Betriebs der Wohnunterkunft zu beteiligen. Die Bereitschaft der Anwohner:innen dazu, das zeigte die Veranstaltung, ist da.

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Hermann Kahle

Hermann Kahle schreibt über Kultur, Schule und für den Kaffeepott

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