Wissenschaftlicher Artikel deckt Details über rechte Umtriebe im Polizeikommissariat 44 in Wilhelmsburg auf
Hauke Brückner war fassungslos, als er mitbekam, dass Polizist:innen des PK 44 Plakate entfernten, mit denen eine lokale Gruppe versucht hatte, das Reiherstiegviertel im Januar 2023 über rechte Bestrebungen in den Reihen der Beamt:innen zu informieren. Die Plakatierenden müssen aus der Presse von den Vorfällen erfahren haben, denn die war auf eine kleine Anfrage von Deniz Çelik, Bürgerschaftsabgeordneter der Hamburger Linken, aufmerksam geworden. Çelik war ein anonymer Brief an die Dienststelle für Beschwerdemanagement und Disziplinarangelegenheiten (BMDA) der Polizei Hamburg von Anfang 2022 in deren Jahresbericht aufgefallen (u.a. WIR berichteten). Die Beamt:innen des PK 44 indes zeigten die unbekannten Verfasser:innen des Plakats wegen Beileidigung an.
Brückner ist Wissenschaftler und erforscht für eine studentische Forschungsgruppe, die am Zentrum für interdisziplinäre Studienangebote der Universität Hamburg gefördert und aufgebaut wurde, Konflikt- und Polizeigeschehen in Hamburg. Am 15. Mai ist sein Artikel „Im Schatten der Polizei Hamburg: Ein Fallbeispiel in Kontestationspraxis”1 im Annual Journal for Norm Contestation and Peacebuilding erschienen.
Er erinnerte sich, auf Facebook 2021 schon einmal auf die Polizist:innen des Wilhelmsburger Polizeikommisariats gestoßen zu sein. Damals lag sein Forschungsschwerpunkt noch woanders. Eher nebenbei hatte er, nach Hinweisen aus der Bevölkerung, Screenshots von den (öffentlich einsehbaren) Chatverläufen der Polizist:innen untereinander und ihren Kommentaren auf Posts von anderen Accounts angelegt. Nun durchforstete er Berichte von Menschenrechtsorganisationen und führte Hintergrundgespräche mit Eingeweihten und Betroffenen.
Durch Çeliks Fragen kam heraus, dass ein Polizeibeamter (nachfolgend „VF” genannt) des Kommissariats 44 in der Georg-Wilhelm-Straße 77 auf seinem öffentlichen Facebook-Account über ein Jahrzehnt lang Beiträge aus dem rechtsextremen Spektrum geteilt hatte. Viele seiner Kolleg:innen standen über die Social Media Plattform mit dem „Bürgernahen Beamten“ (BünaBe) und „Cop4U“ in Kontakt, lehnten die rechtsextremen Ansichten in den Beiträgen und der Kommentierenden aber weder ab, noch forderten sie den Kollegen zum Löschen auf (WIR berichteten).
Auf Wilhelmsburg regten sich angesichts der rechtsradikalen Haltung des Beamten, die augenscheinlich polizeiintern akzeptiert worden war, Unmut und Verunsicherung. Zum einen war noch immer nicht bekannt, was genau sich abgespielt hatte, zum anderen fügt sich das Geschehen in eine Reihe rechter Umtriebe und Netzwerke in sogenannten Sicherheitsbehörden im gesamten Bundesgebiet ein. Bereits im Dezember 2022, kurz nach Bekanntwerden der Vorwürfe, fand eine Demonstration direkt vor dem PK44 statt und eine lokale Gruppe versuchte, das Viertel zu informieren (s.o.).
Brückner stellt das Verhalten der zwei hauptsächlich involvierten leitenden Polizisten in einen größeren Zusammenhang und benutzt sie als Fallbeispiele:
„Einheiten, vornehmlich solche vom örtlichen Polizeikommissariat (PK) 44, operieren hiernach in Wilhelmsburg routiniert eigenmächtig als Konflikttreibende, die soziale Schutzbereiche und politische Teilhaberäume verletzen.“
Hauke Brückner
Brückner fragt, wie solche Strukturen entstehen und auf welchen Werten sie beruhen. Er kritisiert fehlende Kontrollstrukturen und Daten zur Polizeiorganisation. Tatsächlich ist Deutschland nur einer von zwei EU-Mitgliedstaaten, in denen es keine unabhängige Aufsichtsinstanz über die Polizei gibt. Brückner schreibt, dass die Polizei sich ihre Gesetze selbst mache und sich damit von ihrem gesellschaftlichen Auftrag löse. Dabei tritt sie laut Brückner vermehrt gewalttätig und politisch rechts(-extrem) auf. Er fordert die Wissenschaft auf, die Diskrepanz zwischen globalen Standards und der deutschen polizeilichen Praxis zu dokumentieren. Dieses Wissen würde einen Austausch und politisches Handeln ermöglichen. Mit dem Fallbeispiel des PK 44 möchte er zeigen, wie man durch Forschung und Eingreifen vor Ort in Wilhelmsburg den urbanen Gemeinschaften helfen kann. Dabei wird deutlich, dass man Wissen auf lokaler Ebene produzieren und nutzen kann, um Machtgefälle zu verringern, Diskussionen zu fördern und politische Entscheidungen besser vorzubereiten.
Die Polizei selber war Brückner bei seinem Vorhaben keine Hilfe, sondern erwies sich als Saboteur seiner Forschung, „(…) mit der Absicht, eine Kontrolle und Einhegung der Organisation zu behindern“.
Konkrete Vorwürfe
Was hat Brückner also konkret herausgefunden? Als erstes geht es um Polizeihauptkommissar VF, der als „Bürgernaher Beamter“ sowie „Cop4U“ politisch motiviertes Fehlverhalten an den Tag legte, indem er zwischen 2011 und 2022 im Staatsdienst offensiv rechte Haltungen vertrat. Er verfasste nicht nur eigenständig rechte Posts und Kommentare auf seiner Pinnwand bei Facebook, sondern verbreitete über diesen Kanal auch Inhalte aus rechtsradikalen und -extremen Medien.
Zum Beispiel empfahl VF Bücher von rechten Autor:innen als Urlaubslektüre. Diese (und auch die Kommentare dazu) lancieren rechte Narrative und Verschwörungsmythen. Sie richten sich mehrheitlich gegen Immigration und Globalisierung und hetzen im rechtsextremen Jargon gegen „Araberclans“, als links wahrgenommene Politik bzw. Politiker:innen und die machtkritische Zivilgesellschaft. Die Autor:innen behaupten teilweise, alle diese Gruppen und Bewegungen hätten sich zu einer (verschwörerisch im Staat herrschenden) „Machtelite” zusammengetan, die den Ordnungszerfall Deutschlands herbeiführen wollte. Eine wiederkehrende Behauptung ist zudem, die „linke Mainstreampolitik” gebe die politische Richtung gegen Interessen und Mehrheitswillen „der Deutschen” vor. Die Verfasser:innen der Lektüre prophezeien einen Bürgerkrieg, der nur durch die Vorreiterrolle von militarisierten, kampfbereiten und souveränen (im Sinne der rechten Ideologie) „Sicherheitskräften“ verhindert werden könne.
Beispielsweise forderte ein Facebook-Kontakt von VF „Schusswaffenfreigabe!“ anlässlich der Protesteskalationen rund um den G20-Gipfel 2017. VF selbst sinnierte mit einem anderen Polizeibeamten über den Schusswaffengebrauch gegenüber migrantisch gelesenen Jugendlichen, die sich untereinander gegen Polizeikontrollen solidarisieren:
„Irgendwann bekommen wir nicht genug FuStw [Funkstreifenwagen] zusammen (warum auch immer, kein Personal, kein Geld etc.) und das hat das Gegenüber ganz schnell heraus und dann wird ein Kollege die Waffe ziehen …“
VF im Oktober 2016
VF äußerte sich außerdem islamfeindlich und teilte Botschaften extrem rechter Blogs, die eine „Islamisierung Europas“, den sogenannten „großen Austausch“ herbei fabulieren. Dabei ist er laut Brückner nicht alleine, die von Christchurch-Attentäter Brenton Tarrant vertretene extrem rechte Ideenwelt wird in sogenannten Sicherheitsbehörden weit geteilt. Besonders gefährlich ist dabei natürlich, dass genau diese Zugang zu Waffen und Informationen als auch das Gewaltmonopol inne haben.
Im September 2016 unterhielt sich VF auf seiner Facebook-Pinnwand mit einem anderen Polizeibeamten (nachfolgend „JP“genannt) genauer über das Motiv des „großen Austauschs“, das Thilo Sarrazin in Deutschland populär gemacht hat. JP gibt Sarazzin recht und unterstellt dessen Kritiker:innen, sie würden Lügen verbreiten, „(…) die schmutzig und hinterhältig sind. Die sogenannte unabhängige Presse übernimmt auch noch diesen Schmutz. Diese Arroganz der sogenannten etablierten Politiker ist es, die die Menschen anders wählen lässt.“ Dem hat VF nichts hinzuzufügen.
Auf VFs Facebook-Pinnwand betitelte JP außerdem im September 2019 Bundestagsabgeordnete der Parteien Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE als „Abschaum” und forderte im September 2018 die „Entsorgung der SPD“. Auf Hamburg bezogen, nannte er im Juli 2017 Protestierende beim G20-Gipfel „Linksfaschisten”, und meinte: „Die Linke Szene wäre in Hamburg auch völlig unerheblich, wenn man sie nicht so hegen und pflegen würde.”
Kein Unbekannter
Der Polizist, mit dem VF sich hier so gut versteht, ist kein unbeschriebenes Blatt. Namensgleich ist er mutmaßlich identisch mit einem ehemaligen Mitglied der einstigen Sondereinsatzgruppe 16E der Polizei Hamburg. Brückner zitiert aus dem Bericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum „Hamburger Polizeiskandal“, dass diese Einheit mit rund 25 Beamten ab ihrer Gründung im Februar 1989 bis zur Auflösung im September 1994 aus der Polizeirevierwache (PRW) 16 heraus, getarnt in Zivilkleidung, in St. Pauli und im Schanzenviertel operierte.
„Essenziell war 16E eine von Hamburgs Behörde für Inneres unter Senator Werner Hackmann eingesetzte, bewaffnete und mit Gewaltmandat ausgestattete (extrem) rechte Miliz, die als ‚politische Sondereinheit’ vor allem gegen Jugendliche, Migrant*innen, linke Zivilpersonen sowie (extrem) linke autonome Projekte vorging.“
Hauke Brückner nach Sichtung von Parlamensunterlagen zum Hamburger Polizeiskandal2
Die unzähligen Anschuldigen und über 200 Verfahren gegen Mitglieder der 16E, darunter Misshandlung und Folter, Körperverletzungen (z.T. einhergehend mit sexualiserter Gewalt), wurden trotz Medienberichterstattung und internationaler Aufmerksamkeit fast allesamt von der Staatsanwaltschaft behindert oder eingestellt. So konnte die Verschmelzung von Polizeihandeln mit Rechtsterrorismus in Hamburg laut Brückner nicht zerschlagen werden.
Trauriger Höhepunkt und Auslöser des Rücktritts des damaligen Innsenseantors Hackmann war der Fall, als zwei Beamte des PRW 16 in Zivilkleidung am 15. Janur 1994 eine Schwarze Zivilperson, Dialle D., überfielen. Die taz schrieb damals:
„Dialle D. (44) trug eine Mütze mit dem Aufnäher „Gebt Nazis keine Chance“. Mit den Worten „So etwas darfst du nicht tragen“ fielen zwei Männer über ihn her und prügelten ihn krankenhausreif. Ein Augenzeuge alarmierte die Polizei, die beiden Täter wurden gefasst. Sie entpuppten sich als Kollegen. Polizeiführung und Justiz haben die Sache monatelang vertuscht. Die Ausländerbehörde der Hansestadt versucht, das Opfer auszuweisen: Hamburg hat einen neuen Polizeiskandal.“
Brückner nimmt diese und weitere Beispiele (u.a. die Verschleppung eines Schwarzen Geflüchteten und dessen anschließende Misshandlung und Beraubung durch fünf Zivilfahndende in der Lagerstraße im November 1997, die Tötung des Schwarzen Geflüchteten Achidi John 2001 durch den Zwangseinsatz von Brechmitteln und die ungesühnte Polizeigewalt beim G20-Gipfel 2017) als Beleg für seine These, dass die Gewaltausübung der Polizei Hamburg historisch durch (extrem) rechte Vorstellungen geprägt und getrieben ist:
„Die Polizei Hamburg löst sich beständig von den normativen Grundpfeilern friedlichen Zusammenlebens, verkehrt sich gewohnheitsmäßig zum Gegenteil ihres vermeintlichen Zwecks und wirkt wiederkehrend gefährdend auf Mensch und Demokratie.“
Hauke Brückner
Parallelgesellschaft Polizei
Ein Problem ist, dass die Polizei keine klare Aufteilung der Macht hat. Dadurch kann sie sich selbstständig machen und das wurde durch die neuen Polizeigesetze (2017 beschlossen) noch schlimmer. Brückner denkt, dass die Polizei sich bei ihren Einsätzen demokratischer Kontrolle durch die Gesellschaft und die lokale Bevölkerung entzieht. Sie bewerten ihre Einsätze nur untereinander, also nicht mit der Gesellschaft oder den Menschen vor Ort. Dadurch können sich gefährliche und extreme politische Ansichten entwickeln.
„Inklusive der Auffassung, Demokratie – das heißt: eine öffentliche, externe, erkenntnisbasierte und prüfende Bewertung der Polizei und daran anschließende (Mit-)Bestimmung über Rationalitäten ihrer Handlungslogiken – sei ureigen inkompatibel mit einer angestrebt souveränen und (eigen)mächtigen Polizei, die nach Eigenermessen und -interessen von oben nach unten ‘durchgreift’.”
Hauke Brückner
Währenddessen verstünden sich Polizist:innen als „präkarisierte Gefahrengemeinschaft“, die via Zusammenhalt, Loyalität und Korpsgeist nach außen verteidigt gehöre. Sie schafften sich mithilfe der zuständigen Legislative, Aufsichtsbehörden, Staatsanwaltschaften und Gerichten ein autonomes Handlungsfeld, dass sie zielgerichtet zur Umsetzung eigener politischer Zwecke nutzen könnten. VF veröffentlichte ein Fotos von sich und anderen beim Paintball spielen in Tarnkleidung.
„Mit ihrer Verweigerungshaltung gegenüber faktenbasierter Polizeiforschung entziehen sie sich Lernprozessen und verschanzen sich in ihrer Schattenwelt der Ignoranz, Unprofessionalität, Selbstreferenzialität, Unwahrheiten, Gewaltbereitschaft und Eigengesetzlichkeit.”
Hauke Brückner
Eindeutige Meinung
Der Polizist VF hat nicht nur im Internet seine politische Haltung geäußert, sondern sie auch im Dienst gezeigt. Im September 2017 war er zum präventiven Schutz einer Bundestagswahlkampfveranstaltung der Partei DIE LINKE auf dem Stübenplatz abgestellt. Aus seinem Einsatzfahrzeug heraus knipste er ein Foto und stellte es später inklusive eines ablehnenden Kommentars ins Netz. Die Kommentierenden drückten ihm ihr Beileid aus und beleidigten die Parteimitglieder. Bei einer Kundgebung zum „Feministischen Kampftag” am 8. März 2021 auf dem Stübenplatz nahm VF ein Foto von Kundgebungsteilnehmenden verdeckt auf, postete es am selben Tag auf seiner Facebook-Seite und kommentierte es mit der Bemerkung: „Heute mal den Weltfrauentag begleiten … schlimm”.
Brückner attestiert der Polizei Hamburg „eine Neigung für ein (extrem) rechtes Streben“, dass sich auch bei der Gedenkversammlung in Wilhelmsburg im Februar 2023 für die Opfer des rechtsextremistischen Terroranschlags in Hanau 2020 gezeigt habe: Obwohl von der Versammlungsleitung aufgrund der bekannt gewordenen rechten Einstellungen explizit darum gebeten wurde, dass keine Beamt:innen der Wache 44 zur Begleitung eingesetzt werden, kam die Behörde dem Wunsch nicht nach.
Im Laufe des Gedenkmarsches, der vom S-Bahnhof Veddel zum Stübenplatz im Reiherstiegviertel führte, filmten Einheiten die gesamte Versammlung ab (siehe WIR 2/2023). Später begannen Einheiten damit, Versammlungsteilnehmende mit Spiegelreflexkameras zu fotografieren und setzten zusätzlich einen versteckten Kamerawagen ein. Gleichzeitig mischten sich Polizeieinheiten in Zivilkleidung in den Gedenkmarsch. Gegen Ende der Kundgebung am Stübenplatz bedrohte eine:r dieser Undercover-Polizist:innen eine journalistisch arbeitende Person, die über die Versammlung berichtete, und nötigte sie, mit der Androhung, Presseausweis und Arbeitsequipment einzuziehen, Fotomaterial über den Aufmarsch der verdeckt agierenden Staatsgewalt zu löschen.
Weiter wurde dokumentiert, dass geschlossene Einheiten sich gleichzeitig maskierten und die individuelle Kennzeichnung an ihren Uniformen entfernten. Hauke Brückner wertet das als Dominanz- und Einschüchterungsgeste. Auch demonstrieren sie mit diesem Verhalten, dass sie über der Kennzeichnungspflicht und dem Gesetz zu stehen glauben. Teile dieser Einheiten provozierten anschließend, besonders nach Abschluss der Kundgebung, Anwohnende und Versammlungsteilnehmende, und gingen letztere willkürlich körperlich an. Ein Journalist berichtete auf seinem Instagram-Account: „Die Polizei schubste außerdem mehrmals Angehörige der Gedenkdemonstration aus unersichtlichen Gründen.” Die Versammlungsleitung riet darauf Anwesenden, die Kundgebung auf dem Stübenplatz in größeren Gruppen zu verlassen, damit Menschen der augenscheinlich politisch radikalisierten und gewaltsuchenden Polizei nicht isoliert ausgeliefert seien. Dennoch entdeckten Einsatzgruppen vereinzelt schutzlose Menschen und attackierte sie.
Schon 2020 habe die Wilhelmsburger Polizei die Gedenkveranstaltung zum Gedenken an die Opfer des sechs Monate zuvor verübten Terroranschlags für die Realisierung der eigenen politischen Ziele unter dem Deckmantel von Infektionsschutzmaßnahmen in der COVID-19-Pandemie genutzt, schreibt Brückner. Auch VF war wieder dabei, „zur Durchführung von Präsenzmaßnahmen am Aufzug beziehungsweise für die Aufzugsbegleitung” (siehe Schriftl. kl. Anfrage Deniz Çelik und Antw. d. Senats 22/11935). Wenn auch unwillig darüber, wie er auf Facebook mitteilte („nicht so prickelnd“). Schon einen Monat nach dem Anschlag hatte er einen Post des rechtsradikalen Magazins „Junge Freiheit” mit der Überschrift: „Bundeskriminalamt stuft Bluttat von Hanau nicht als rechtsextrem ein” geteilt.
Tatsächlich fiel die Polizei von Anfang an durch ein aggressiv-repressives Verhalten auf und blockierte bzw. störte stundenlang den geordneten, friedlichen und infektionsschutz-konformen Ablauf des Gedenkmarsches. Obendrein griffen geschlossene Einheiten vereinzelt friedliche Versammlungsteilnehmende an. Letztendlich brach die Versammlungsleitung den Gedenkmarsch angesichts des konfrontativen und politisch extremen Willkürhandelns der Polizei ab, „(…) um die Gesamtlage zu entschärfen und sich aus der von der Polizei demolierten Versammlung-Polizei-Beziehung zu lösen.” Trotzdem lauerte die Polizei Zivilpersonengruppen auf dem Weg zur Kundgebung am Stübenplatz auf und griff sie mit Pfefferspray und Schlagstöcken an.
Für Brückner wird durch diese Beispiele insgesamt deutlich, dass die Polizei linke und antirassistischen Proteste und Bewegungen in Hamburg grundsätzlich ablehnt und Polizeigewalt nicht auf eine Dynamik zurückgeht, in der die Polizei auf physische Konfrontation und kriminalisierte Taten von Protestierenden und Bewegungen reagiert. Stattdessen agiere die Polizei von ihrer eigenen (extrem) rechten Ideologie motiviert, suche Konflikte und missachte dabei rechtsstaatliche Maßstäbe, verletze Menschenrechte und bespitzele und attackiere friedliche Zivilpersonen (und -gruppen) während der Ausübung ihrer demokratischen Freiheitsrechte.
„Auf Versammlungen der Corona-Leugner lässt die Hamburger Polizei alles durchgehen, während antirassistische Demonstrationen gegängelt und schikaniert werden. Das ist ohne das tiefsitzende Rassismus- und Gewaltproblem der Hamburger Polizei nicht zu erklären.”
Christoph Kleine, Mitveranstalter der Hanau-Gedenkveranstaltung 2020, nach der Eskalation
Erschreckend deutlich wird diese Deutung auch durch den Anschlag mit einer Nagelbombe auf dem S-Bahnhof Veddel am 17. Dezember 2017: Der mehrfach wegen schwerster Gewalttaten vorbestrafte Rechtsextremist Stephan Kronbügel hatte auf dem Bahnsteig zwei mit Schrauben gefüllte Sprengsätze zur Explosion gebracht – nur durch Zufall wurde niemand schwer oder tödlich verletzt. Die Menschen im Stadtteil orneten den Anschlag als sehr wahrscheinlich rechten Terror ein, erinnerte sie das Vorgehen doch naheliegend an die Taten des NSU, da die Veddel und Wilhelmsburg von außen als migrantisierte Stadtteile behandelt werden, in denen sich viele Schwarze und PoC3 bewegen.
Im Gegensatz zu diesen Einschätzungen schlossen Polizei Hamburg und die Staatsanwaltschaft Hamburg wenige Stunden nach dem Anschlag, wider jegliche kriminologische Logik, ein rassistisches oder rechtes Handlungsmotiv des zu diesem Zeitpunkt unbekannten Täters als Ermittlungshypothese aus. Auch als der Täter bekannt wurde, wollten die Ermittler:innen kein rassistisches Tatmotiv erkennen, sondern ordneten Stephan Kronbügel in die „Trinkerszene“ Harburgs ein. Im Laufe des Prozesses wurde bekannt, dass sich eine ehemalige Lebensgefährtin des Täters mehrfach vergeblich an die Polizei gewandt hatte, weil K. den Anschlag ihr gegenüber angekündigt hatte. An das Gericht musste sie sich ebenfalls selber wenden, als Zeugin war sie nicht geladen. Schließlich wurde Kronbügel ein Jahr nach seiner Tat wegen heimtückischen Mordversuchs zu zehn Jahren Haft verurteilt (von denen er achteinhalb absaß), das rassistische Tatmotiv spielte indes keine Rolle.
„(…) If a convicted neo-Nazi sets off a bomb in a well-known immigrant neighbourhood and it is not understood as a racist attack, what hope is there that the state and media are substantially engaged in identifying and dismantling the more insidious, everyday, structural, and systemic forms of racism that undermine the well-being of racialized people in the city?“4
Julie Chamberlain über die Ereignisse rund um den Veddelanschlag im Vorwort ihres Buchs „Wilhelmsburg is our home!” 2022
Zwei Jahre später schreibt ein Facebook-Kontakt von VF als Reaktion auf dessen Post über einen Bombenfund aus dem Zweiten Weltkrieg im Reiherstiegviertel:
„… in wilhelmsburg? warum nicht nach fund / entdeckung einfach stillschweigen bewahren und (fern-)zünden? Steuergelder gespart und win-win-situation heraufbeschworen; mehr geht doch nicht, oder?“
VF ließ es so stehen.
Inzwischen ist VF auf ein anderes Revier versetzt worden. Das Disziplinarverfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen die politische Neutralitätspflicht, die Pflicht zur Verfassungstreue, gegen das Mäßigungsgebot und gegen die Wohlverhaltenspflicht gegen ihn ist seit kurzem abgeschlossen. Er bekam lediglich eine Kürzung seiner Dienstbezüge. Zeitweise war der Staatsschutz involviert, der aber bereits ausgeschlossen hat, dass die Posts eine strafrechtliche oder staatsgefährdende Komponente haben.
Außer der internen Versetzung VFs sind dem WIR keine Maßnahmen bekannt geworden, um die rechten Umtriebe der Wilhelmsburger Polizei aufzuklären, zu verfolgen, zu bestrafen und in Zukunft zu verhindern. Und das, obwohl im Rahmen der Auswertung des Facebook-Profils von VF vier weitere Beamte der Polizei Hamburg mit politisch rechts zu bewertenden Kommentierungen aufgefallen sind. Laut Senat war einer dieser Beamten ebenfalls am PK 44 tätig. Die anderen drei arbeiteten im Landeskriminalamt, im Leitungsstab und am PK 31 in Mundsburg. Ein weiterer Beteiligter gehört der Polizei Niedersachsen an.
„Im Zuge der Ermittlungen konnte bei den betreffenden vier Hamburger Polizeibeamten kein Dienstvergehen festgestellt werden. Die untersuchten Äußerungen stellten aufgrund ihrer inhaltlichen Ausprägung keinen beamtenrechtlichen Pflichtverstoß dar”.
Hamburger Senat
Der Stadtteil indes hat nichts vergessen: Nach Demonstration, Plakataktion und (zumindest lokaler) Berichterstattung fand am 25. Mai eine gut besuchte Podiumsdiskussion zum Thema im Bürgerhaus statt, an der neben Hauke Brückner, Nathalie Meyer (Partei Die Linke) sowie Sophie Brüll (Initiative MARBL: Miteinander für antirassistische Bildungs- und Lernräume) teilgenommen haben (WIR berichteten). Moderiert wurde die Veranstaltung von Omeima Garci, Moderatorin und angehende Journalistin aus Wilhelmsburg.
Dieser Artikel basiert auf folgender Veröffentlichung:
Brückner, Hauke. „Im Schatten der Polizei Hamburg: Ein Fallbeispiel in Kontestationspraxis”. In: Annual Journal for Norm Contestation and Peacebuilding 1: Urban Communities in the Shadow of Policing (Mai 2023)
1 Kontestation bedeutet das Infragestellen von bestehenden Herrschafts- und Gesellschaftsstrukturen
2 Brückner verwendet selbstverständlich wissenschftlich korrekte Quellennachweise, die wir hier aus Lesbarkeitsgründen weggelassen haben.
3 Der Begriff People of Color (im Singular Person of Color) ist eine Selbstbezeichnung von Menschen, die Rassismus erfahren. In dieser Bedeutung wird der Begriff seit der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung in den 1960ern verwendet. Als Wiederaneignung und positive Umdeutung der abwertenden Zuschreibung “colored” beschreibt People of Color ein solidarisches Bündnis von unterschiedlichen Communities, die strukturelle Ausschlusserfahrungen aufgrund von Rassismus machen. Quelle und mehr Infos hier.
4 Deutsche Übersetzung: „Wenn ein verurteilter Neonazi in einem bekannten Einwandererviertel eine Bombe zündet und dies nicht als rassistischer Angriff verstanden wird, welche Hoffnung besteht dann, dass Staat und die Medien sich intensiv mit der Identifizierung und Zerschlagung der heimtückischeren, alltäglichen, strukturellen und systemischen Form des Rassismus, die das Wohlergehen rassifizierter Menschen in der Stadt untergraben, beschäftigen?”
Hauke kennt sich aus.
Und mit Jenny wird das schon.
Top
Unerträglich und so krass massiv ! Das erschreckende ist ja es wird von “Einzeltäter” geredet, aber „Mit ihrer Verweigerungshaltung gegenüber faktenbasierter Polizeiforschung entziehen sie sich Lernprozessen und verschanzen sich in ihrer Schattenwelt der Ignoranz, Unprofessionalität, Selbstreferenzialität, Unwahrheiten, Gewaltbereitschaft und Eigengesetzlichkeit.“ … es kann doch nicht einfach so getan werden, als sei nichts. Für mich ein gravierender Vertrauensverlust, mithin menschen- und demokratiefeindlichem Auftreten. Das geht uns alle an!