Durchhalten

Mit Professor Hasselmann gegen die düsteren Gedanken

2021 hat uns viel Anlass zur Trauer gegeben. Vier Wilhelmsburger Freund:innen sind gestorben. Alle vier waren Menschen, die nicht nur im privaten Umfeld, als Freund:innen, Familienmitglieder, Liebste, eine große Lücke hinterlassen, sondern auch in unserer Inselgesellschaft. Denn alle vier haben sich für etwas engagiert, das über sie selbst hinausging: für eine bessere Nachbarschaft, für den Naturschutz, für sozial Benachteiligte, für eine allen zugängliche Kultur.

Mit Maren, Hildebrand, Edda und Harald sind vier von den Guten gestorben, innerhalb eines Jahres. Das war bedrückend, zwischendurch machte es mir richtig düstere Gedanken: Was, wenn das Gute und die Guten einfach immer weniger werden? Wenn da nichts nachwächst? Was, wenn wir es nicht hinkriegen, die Aktivitäten der Vier auf neue Schultern zu verteilen, sie weiter zu gestalten? Und wer stellt sich dann noch all den neuen Herausforderungen?

Dann sah ich im Fernsehen, wie einer der diesjährigen Physik-Nobelpreisträger seinen Preis entgegennahm. Der Mann heißt Klaus Hasselmann, ist neunzig Jahre alt und von beeindruckender gedanklicher Stringenz. Die Medaille nahm der Hamburger mit entspannter Aufmerksamkeit und unverstellter Freude entgegen. Die schlacksige Gestalt locker aufgerichtet, keineswegs gebrechlich wirkend, schritt er auf die Bühne, lächelte für die Fotograf:innen und hielt seine Rede.

Hasselmann erhält den Nobelpreis für „die physikalische Modellierung des Erdklimas, die Quantifizierung von Variationen und die zuverlässige Vorhersage der Erderwärmung“: Kurzgefasst, Klaus Hasselmann war einer der ersten, der den Nachweis eines menschengemachten Klimawandels geführt hat. Schon Mitte der 1990er-Jahre entwickelte er eine Methode, mit der er den Effekt der vom Menschen erzeugten Treibhausgase auf die globale Durchschnittstemperatur zeigen konnte. Die Methode wurde später vom UN-Klimarat übernommen.

20 Jahre lang wurden seine Erkenntnisse weitgehend ignoriert; jetzt bekommt er plötzlich den Nobelpreis!? Er könnte frustriert oder verbittert sein, eine sarkastische Dankesrede halten, wüten über kostbare verlorene Zeit. Aber nichts von alledem. Professor Hasselmann stellt (neben seinen wissenschaftlichen Erläuterungen) etwas ganz anderes in den Vordergrund: Wie großartig er es findet, dass jetzt die junge Generation gegen den Klimawandel auf die Straße geht. Dass sie in die Hand nehmen, was die Politik und, da ist er selbstkritisch, vielleicht auch die alten, damals noch jungen, Wissenschaftler:innen all die Jahre versäumt haben. Dass ihn das hoffnungsvoll macht, sagt er. Und, natürlich, dass es ihn freut, wie die jungen Leute sich dabei auf die Naturwissenschaft, auf seine Forschungen berufen, und wie klug und beeindruckend sie argumentieren.

Professor Hasselmann war das Gegengift zu meinen düsteren Gedanken. Bei ihm verbinden sich das Alte und das Neue. Er selbst ist das beste Beispiel dafür, dass nicht alle Guten auf einmal wegsterben. Er ist richtig alt und immer noch da. Und er ist hellwach. Hat auf dem Zettel, dass natürlich immer etwas nachwächst, in diesem Fall die Klimabewegung, die ihre Stärke und Lebendigkeit – nach Monaten der Coronalockdown-Einschränkungen – bei der „Alle fürs Klima”-Großdemo am 24. September in diesem Jahr so beeindruckend unter Beweis gestellt hat.

Nun denk ich mir also, die Menschen, die gestorben sind, fehlen. So, wie sie waren, so, wie sie ihre Dinge getan haben, sind sie unersetzlich. Aber ihre Ideen bleiben; sie werden bloß verwandelt und an neuer Stelle neu aufgenommen.

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Sigrun Clausen

Wenn sie nicht am Nachbarschreibtisch in ihrer Schreibstube arbeitet oder in der Natur herumlungert, sitzt sie meist am Inselrundblick. Von ihm kann sie genauso wenig lassen wie von Wilhelmsburg.

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