Die Krise trifft nicht alle gleich

Mit Forderungen wie “Mieten runter“, „Housing for all“ und „Vonovia enteignen“ wurden auf der zweiten Stadtteilversammlung im Bürgerhaus zentrale Fragen, die vielen Menschen in Wilhelmsburg unter den Nägeln brennen, benannt. Das Motto der Versammlung war: Die Krise trifft nicht alle gleich

Im großen Saal des Bürgerhauses waren am 10. September wieder viele Wilhelmsburger Initiativen vertreten, aber es kamen nicht so viele Besucher:innen wie auf der ersten Stadtteilversammlung im vergangenen Januar. Es mag am Wetter gelegen haben, vielleicht waren die Erwartungen an die zweite Versammlung auch nicht mehr so hoch. Die Themen waren die gleichen geblieben. In seinem Eingangsstatement sagte der Vertreter der Initiative Wilhelmsburg Solidarisch, die zur Versammlung eingeladen hatte: „Auf unser Plakat haben wir geschrieben: ‚Die Krise trifft nicht alle gleich.‘ Spürbar für uns alle ist erstmal die Inflation: vor allem die Erhöhung der Nebenkosten und der Preise im Supermarkt. Auch wenn vom Staat einige Zuschüsse und Maßnahmen beschlossen wurden: Fakt ist, Menschen mit wenig Geld sind in den letzten Jahren wegen der steigenden Kosten deutlich ärmer geworden. Für viele Reiche war die Inflation kaum spürbar oder sie haben sogar davon profitiert.“

Zentrale Konflikte

Auf der Leinwand kann man die live mitgezeichneten Ergebnisse der Murmelrunde sehen
Die Murmelrunde live mitgezeichnet.
Foto: H. Kahle

Er führte die zentralen Konflikte auf, mit denen es viele Menschen in Wilhelmsburg zu tun haben: „Wir wohnen nicht auf Grundstücken, die uns gehören, wir müssen Miete bezahlen. Wir müssen uns mit Chefs darüber streiten, wie viel Geld wir verdienen. Viele von uns sind immer wieder der Willkür von Behörden ausgesetzt. In allen diesen Konflikten ist klar, dass wir schwächer sind, wenn wir allein sind.“

In mehreren kleinen „Murmelrunden“ konnten sich die Besucher:innen untereinander über die Probleme austauschen, die sie besonders bewegen. In den Ergebnisberichten aus den Runden, die live mitgezeichnet auch auf eine Leinwand übertragen wurden, zeigte sich, dass es ein zentrales Problem ist, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Auch die hohen Nebenkosten bei der SAGA, die ungünstige Verträge mit Energielieferanten geschlossen hat, machen vielen Menschen zu schaffen. Außerdem berichteten Betroffene über die schlechten Lebensverhältnisse in den Wilhelmsburger Unterkünften für Geflüchtete. Viele Menschen leben dort zum Teil schon jahrelang auf wenigen Quadratmetern ohne Aussicht auf „richtigen Wohnraum“ und müssen um das ohnehin geringe Taschengeld kämpfen. Weitere Themen in den Murmelrunden waren der häufige Stress mit Behörden und besonders mit dem Jobcenter, Rassismus am Arbeitsplatz und bei der Wohnungssuche, Gewalt sowie Schuldenprobleme.

Im Anschluss tauschten sich die Teilnehmer:innen an den Infotischen der Initiativen aus. Gekommen waren z. B. StoP – Stadtteil ohne Partnergewalt, die Schuldnerinnenberatung afg, perspek’tif:a, die sich gegen (extrem) rechte Einstellungen in postmigrantischen Communities einsetzen, WiSo, NINA, der Treffpunkt Kirchdorf-Süd, die Tauschbox-Ini und viele weitere.

Neuer Anlauf

Das Musikteam Kirchdorf-Süd spielte zum Abschluss Widerstandslieder in mehreren Sprachen. Foto: J. Domnick

„Wie können wir es schaffen, dass aus diesen Beratungen heute etwas entsteht“, fragte der Vertreter von Wilhelmsburg Solidarisch in der Abschlussrunde. Nach der ersten Stadtteilversammlung im Januar hatten sich Gruppen gebildet und es wurden zwei Kundgebungen organisiert, aber eine längerfristige Zusammenarbeit kam nicht zustande. Auf der zweiten Versammlung wurde ein neuer Anlauf gemacht. Es bildete sich unter anderem eine Gruppe, die einen offenen Brief an die SAGA zu den Nebenkostenabrechnungen und ein Aufklärungsschreiben an die SAGA-Mieter:innen verfassen will sowie eine Gruppe, die eine Demo vor dem Jobcenter organisieren will. Das Vorbereitungstreffen dafür findet am Mittwoch, 20.9., um 18.30 Uhr in der M1 (Mokrystraße 1) statt.

Zum Abschluss trat das Musikteam Kirchdorf-Süd auf dem Balkon des Bürgerhauses mit mehrsprachigen Widerstandsliedern auf. Bei Börek, Kuchen und Getränken unterhielten sich die Teilnehmer:innen oder sangen mit.

Alle Ergebnisse der Versammlung, Folgetermine und Infos sollen auf der Homepage von Wilhelmsburg Solidarisch (WiSo) veröffentlicht werden.

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Hermann Kahle

Hermann Kahle schreibt über Kultur, Schule und für den Kaffeepott

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