Das Kriegerdenkmal und die Stolpersteine

Am 16. März wurde die „Kiste“ vom Kriegerdenkmal an der Emmauskirche entfernt und das Denkmal gedreht – in Richtung auf die Stolpersteine für die Familie des Widerstandskämpfers Hans Leipelt vor dem Haus gegenüber

Großes Medienaufgebot am 16. März hinter der Emmaus-Kita in der Mannesallee. In einer mehrstündigen spektakulären Aktion wurde der hölzerne Verschlag, „die Kiste“, mit dem Kran einer Steinmetzfirma unter Aufsicht der Künstler:innen Vera Drebusch und Reto Buser vom Kriegerdenkmal entfernt. Dann wurde das umstrittene Mahnmal, der „Stein des Anstoßes“, von seinem Sockel gehoben und in mehreren Anläufen um fast 90 Grad gedreht wieder abgesetzt – Steinmetzfeinarbeit. Die Drehung ist der erste Schritt einer Installation mit der Vera Drebusch und Reto Buser den Wettbewerb um eine „künstlerische Kommentierung“ des Denkmals gewonnen hatten. Mit dieser künstlerischen Kommentierung soll dessen militaristische Botschaft gebrochen werden (siehe auch WIR 10/22).

Hans Leipelt

Das Kriegerdenkmal ist jetzt nach der Drehung ausgerichtet auf die Stolpersteine für die Familie des Widerstandskämpfers Hans Leipelt, die vor dem Haus der Familie auf der gegenüberliegenden Straßenseite im Pflaster eingelassen sind (siehe „Eine Hans-Leipelt-Schule in Wilhelmsburg“). Das 1932 errichtete Denkmal mit den eingemeißelten Gewehren und Stahlhelmen idealisiert Krieg und Nationalismus und beschwört am Vorabend des Hitler-Faschismus „den Gauben an die deutsche Zukunft“. Diese Botschaft wird jetzt durch die Drehung mit den Opfern dieser Gedankenwelt konfrontiert. Hans Leipelt wurde als Mitglied der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ 1943 hingerichtet. Auf den Stolpersteinen stehen nur Namen und Daten. In den Flugblättern der „Weißen Rose“ wird deutlich, worum es bei der Konfrontation mit der militaristischen Botschaft des Denkmals geht: „..Der imperialistische Machtgedanke muss, von welcher Seite er auch kommen möge, für alle Zeit unschädlich gemacht werden. Ein einseitiger preußischer Militarismus darf nie mehr zur Macht gelangen. Nur in großzügiger Zusammenarbeit der europäischen Völker kann der Boden geschaffen werden, auf welchem ein neuer Aufbau möglich sein wird …“

Ort offener Fragen

Im Blick auf die Kirche sieht man die Schmalseite des Denkmals
Das Denkmal blickt jetzt zur Seite. Foto: H. Kahle

In einem zweiten Schritt soll in den nächsten Wochen die Achse zwischen Denkmal und Stolpersteinen durch eine in den Asphalt eingelassene Linie noch besonders sichtbar gemacht werden. Die genaue Ausführung ist in der Diskussion mit den zuständigen Behörden. Außerdem soll in Zusammenarbeit mit der Emmaus-Kita um den Denkmalsteinein herum ein kleiner Garten angelegt werden. Vera Drebusch und Reto Buser sehen die Installation als Alternative zu monumentalen Gegendenkmälern, wie es sie am „Soldaten“ in Harburg oder am „Kriegsklotz“ am Dammtor gibt. Sie wollen einen „Ort offener Fragen“ schaffen. Die Vorübergehenden, so die Idee, werden angesichts dieser ungewöhnlichen Verbindung von Kriegerdenkmal zu einem Widerstandsmahnmal angeregt, innezuhalten. Sich Gedanken zu machen, vielleicht miteinander darüber zu reden. Schon der erste Schritt, die Drehung, macht diese Idee ganz anschaulich: Das Kriegerdenkmal wurde nach dem Willen seiner Urheber 1932 in einer Sichtachse mit der Emmauskirche aufgestellt. Der liebe Gott wurde für den Heldentod reklamiert. Nun „blickt“ es zur Seite. Das ist irritierend, das alte Denkmal „stimmt nicht mehr“, die militaristische Botschaft wird gebrochen.

Der Denkmalprozess

Das Kriegerdenkmal von 1932 war lange Jahre neben der Kirche in den Büschen verborgen. Ende 2017 bei Bauarbeiten wiederaufgetaucht wurde es aus Denkmalschutzgründen an seine alte Stelle gesetzt. Nach der Besprühung mit einem antifaschistischen Graffito wurde es mit einem Holzverschlag, der „Kiste“, umhüllt und blieb so – bis jetzt. Eine Initiative aus Vertreter:innen der Reiherstieggemeinde, der Wilhelmsburger Geschichtswerkstatt und engagierten Bürger:innen hat in den letzten fünf Jahren im DENKmal-Prozess zur Geschichte des Denkmals geforscht und den Umgang damit diskutiert. Dieser öffentlich dokumentierte Prozess war eigentlich schon ein Teil einer „kritischen Kommentierung“. Die Installation von Vera Drebusch und Reto Buser ist das Ergebnis. In der Woche des Gedenkens lädt die Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg-Hafen gemeinsam mit den beiden Künstler:innen zu einer kleinen Informationsveranstaltung am Denkmal ein.
Weitere Informationen zu den nächsten Schritten des Projekts unter veradrebusch.de/artworks/denken.

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Hermann Kahle

Hermann Kahle schreibt über Kultur, Schule und für den Kaffeepott

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