Für Demokratie, Gleichheit und Solidarität – Polens Opposition blüht auf

Noch immer verbringt WIR-Redakteurin Liza ihre Zeit in Warschau. In diesem „Gastbeitrag“ berichtet sie, wie Pol:innen in Warschau auf die Straßen gehen und für mehr Freiheit, Vielfalt und Demokratie protestieren

Am 4. Juni 2023 war es voll in der Warschauer Innenstadt. Hunderttausende Menschen liefen mit Polen- und Europaflaggen durch die Straßen und protestierten friedlich gegen die regierende PiS (Partei für Gesetz und Gerechtigkeit) und deren immer autoritärer und rechter werdenden Regierungsstil. Auslöser für den „Marsz wolności“ (Marsch für die Freiheit): Im Herbst diesen Jahres stehen in Polen die Parlamentswahlen an. Außerdem werden Grund- und Menschenrechte zunehmend durch neue Gesetzesbeschlüsse und Verfassungsänderungen gefährdet.

Polen- und Europaflaggen vor dem Warschauer Schloss in der Altstadt.
Polen- und Europaflaggen vor dem Warschauer Schloss in der Altstadt. Fotos: L.-S. Colak

Das Datum des Marsches ist symbolträchtig gewählt: Im Jahre 1989 fanden am 4. Juni die ersten „halbfreien“ Wahlen in Polen statt. Soll dieses Recht nach nur 30-jährigem Bestehen wieder eingeschränkt werden? Donald Tusk, ehemaliger EU-Ratspräsident und derzeitiger Vorsitzender der oppositionellen, liberal-konservativen Partei Platforma Obywatelska (PO), sprach in der Kundgebung auf dem Schlossplatz zu der protestierenden Menge und machte Mut, dass die Demokratie und Freiheit in Polen nicht sterben würde. Gemeinsam mit Lech Wałęsa, dem berühmten Gewerkschafter der Solidarność, und Rafał Trzaskowski, dem Stadtpräsidenten Warschaus und ebenfalls Mitglied der PO, führte er den Marsch an. Ob der Protest tatsächlich zu einer Veränderung führen wird, kann niemand vorhersagen. Aber festzuhalten ist: Polen ist kein Land der großen Demonstrationen und Massenproteste, wie zum Beispiel Frankreich. Es muss schon eine große Unzufriedenheit im Lande herrschen, wenn so viele Menschen auf die Straße gehen und gegen die Regierung protestieren.

Nach dem Marsz kommt die Parade

Demonstrationszug vor dem Kulturpalast in Warschau mit Regenbogen-Fahne.
Warschau ist vielfältig! Die „Progress-Flag“ vor dem Kulturpalast in Warschau.

Bunt und protestierend ging es knapp zwei Wochen später weiter. Die Pride-Parade, bzw. in der polnischen abgeschwächten Variante auch „Parada Równości“ (Parade für Gleichheit) genannt, fand am 17. Juni statt und forderte ebenfalls Freiheit sowie Gleichheit und Toleranz. Der Schwerpunkt in diesem Jahr waren die Transgenderrechte. Doch es war viel mehr als nur eine Parade. Schon am Vormittag wurde mitten in der Stadt, im Park vor dem Kulturpalast, ein „Städtchen der Gleichheit“ (Miasteczka Równości) aufgebaut, wo verschiedene Organisationen zu LGBTQ+ Themen aufklärten, Infomaterial verteilten oder auch kostenlos buntes Make-up schminkten. Die Parade selbst dauerte knapp zweieinhalb Stunden und führte im großen Bogen einmal um den Kulturpalast – das Zentrum Warschaus – herum.

Obwohl Polens Regierung eine so intolerante und diskriminierende Haltung gegenüber sexuellen Minderheiten und Geschlechtervielfalt zeigt, wurden für die Parade doch den ganzen Nachmittag sämtliche Hauptstraßen für den Verkehr gesperrt. So konnten tausende Menschen nicht nur auf den Straßen Warschaus protestieren, sondern auch tanzen und feiern. Auch hier positionierte sich Stadtpräsident Trzaskowski, indem er Teil der Parade war. Auch verschiedene Botschaften positionierten sich mit einem Umzugswagen bei der Parade. Und am Abend strahlte sogar der Kulturpalast bunt wie ein Regenbogen.

Ob Marsz oder Parade – die Opposition zur Regierungspartei wird bunter und lauter.

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Liza-Shirin Colak

Liza-Shirin Colak schreibt als jüngstes WIR-Mitglied besonders über Stadtteilentwicklung, Nachhaltigkeit und lokale Insel-Insider.

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