Ganz im Gegensatz zu Hamburg gehört in Stockholm der Fährverkehr vollkommen selbstverständlich zum ÖPNV und zum Alltag hinzu
Schwedens Hauptstadt Stockholm verteilt sich auf 14 kleinere und größere Inseln. Sie liegen im Riddarfjärden, dem Ritterfjord, wo der große Mälarsee, der sich gut 100 km nach Westen erstreckt, und die Ostsee zusammentreffen. Der Mälaren mit seinem Süßwasser und die salzige Ostsee werden sowohl getrennt als auch verbunden durch Slussen, die große Schleuse, die zwischen den Stadtteilinseln Södermalm und Gamla Stan ist. Slussen stellt heute vor allem einen Verkehrsknotenpunkt sowohl des ÖPNV als auch von Autostraßen und -brücken dar und ist seit Jahren eine Großbaustelle (ein Ende ist nicht abzusehen).
Genau wie in den Hamburger Elbmarschen hat man auch in Stockholm auf die Wasserbaukünste der Holländer zurückgegriffen: Die erste Slussen Mitte des 17. Jahrhunderts ließ der schwedische König von einem Holländer konstruieren. Überhaupt haben die beiden Großstädte so manche Gemeinsamkeit: angefangen bei der Tradition der Hanse über die Häfen und die Lage am Wasser bis hin zu den vielen Brücken im Stadtgebiet (in Stockholm sind es angeblich 53).
In einem aber unterscheiden sich die ehemaligen nordeuropäischen Hansemetropolen trotz der ähnlichen Voraussetzungen: In Stockholm gehören zum – ohnehin exzellent ausgebauten – ÖPNV vollkommen selbstverständlich auch Personenfähren. Den lieben langen Tag schippern immer so vier, fünf weiße Dampfer gleichzeitg über die Förde, ziehen in flottem Tempo und mit beruhigender Regelmäßigkeit ihre Bahnen zwischen den Anlegestellen. An allen Inselufern gibt es Fähranleger und werktags fahren die Schiffe im 20-Minuten-Takt.
Die Fördedampfer gehören wie die U-Bahnen, die Busse, die Straßenbahnen und die Pendelzüge zum SL, Storstockholms Lokaltrafik, dem Nahverkehr im Großraum Stockholm. Mit der SL-Fahrkarte können alle diese Transportmittel benutzt werden. Preis und Gültigkeit des Tickets werden nicht nach der Entfernung bemessen – irgendwelche komplizierten “Ringe” gibt es nicht – sondern der Fahrgast kauft eine bestimmte Fahrtzeit. In dieser Zeit kann er dann fahren wohin und womit er will.
So kommt es, dass geschickte Ausflügler:innen mit zwei Einzelfahrkarten eine Tour weit hinaus in den Skärgården, den Stockholmer Schärengarten, machen können, beinah so, als führen sie nach Saltkrokan, wohin – Astrid-Lindgren-Leser:innen wissen das – jeden Sommer die Familie Melcherson, allerdings mit einem echten Schärendampfer, getuckert ist.
Denn die SL-Schiffe fahren nicht nur im inneren Bereich der Stadt, sondern einige Male am Tag auch ziemlich weit hinaus in den Großraum Stockholm.
Der alltägliche Fährverkehr läuft reibungslos. Zwar ist die Flotte nicht gerade auf dem neuesten Stand – unter den Pendelbåtar gibt es manch betagtes Gefährt mit stampfendem Motor, harten Holzbänken und handumkettelten Stoffgardinen an den Fenstern – doch die Schiffe fahren, und zwar pünktlich! Ausfälle gibt es nicht, dafür jedoch ist Wochenendbetrieb eine Selbstverständlichkeit. Ich wage zu behaupten, ein Desaster wie unsere HADAG-Fährverbindung Nr. 73 ist in Stockholm unvorstellbar (s. unseren Bericht Fährt sie überhaupt noch?).
Besonders charmant sind die Winker aus Metall an einigen Anlegestellen: Ganz vorne am Steg befindet sich ein rotes Metallsegel an einem kleinen Mast. Im Ruhezustand hängt es senkrecht herab. Wird der Anleger nicht automatisch angefahren, können Fahrgäste mit dem Winker ihren Haltewunsch signalisieren: Indem sie an einem Stahlseil ziehen, stellt sich das rote Segel waagerecht. “Nimm mich mit!” heißt das.
Wir waren im August in Stockholm und haben genau diese Beobachtungen auch gemacht. Das Parken mit dem Auto ist hier angenehm teuer, so dass auch der Autoverkehr in der Stadt einigermaßen erträglich war. Von der ohnehin viel entspannteren Fahrweise auf den Autobahnen. Trotz Tempolimits sind die Schweden sogar in Umfragen glücklicher als wir Deutschen…