An der Gedenkstätte Lagerhaus G auf dem Kleinen Grasbrook sind nun insgesamt vier der Messing-Gedenktafeln für Opfer des Nationalsozialismus in den Boden eingelassen
Die Stolpersteine sollen an die in den Lagerhäusern F, G und H als sogenannte Militärinternierte untergebrachten Italiener erinnern. 6.000 von ihnen waren ab 1943 in den, zum 1935 von den Nationalsozialisten gegründeten Gesamthafenbetrieb (GHB) gehörenden, Speichern eingesperrt. Die Firma Reemtsma hatte in den Häusern vor allem Tabak gelagert, bis sie zu einer Außenstelle des KZ Neuengamme wurden. Organisiert vom GHB und bewacht von der Wehrmacht mussten die italienischen „Militärinternierten” Zwangsarbeit für die Hafenbetriebe leisten. Stellvertretend für alle, die dabei zu Tode gekommen sind, verlegte Gunther Demnig am 12. November 2024 drei Stolpersteine für Erminio Fusa, Aquilino Spozio und Luigi Fusi.
Die „internati militari italiani” im Zweiten Weltkrieg
Die „italienischen Militärinternierten”, auf Italienisch „internati militari italiani”, auch abgekürzt IMI genannt, waren italienische Soldaten, die sich, nach der Besetzung Norditaliens von der deutschen Wehrmacht am 8. September 1943, geweigert hatten, auf der Seite der Deutschen weiter zu kämpfen (vorausgegangen waren der Sturz Mussolinis und die Kapitulation Italiens vor den Alliierten). 650.000 italienische Soldaten in Norditalien und Griechenland gingen daraufhin in Kriegsgefangenschaft. „Die gefangen genommenen italienischen Soldaten wurden als eine der letzten großen verfügbaren Arbeitsreserven für die deutsche Kriegswirtschaft in Kriegsgefangenenlager ins Deutsche Reich gebracht und sofort in Arbeitskommandos weiter transportiert”, erläuterte Andreas Ehresmann von der Gedenkstätte Sandbostel in seiner Rede bei der Gedenkveranstaltung anlässlich der Stolpersteinverlegung. 50.000 dieser Männer überlebten ihre Gefangennahme oder die anschließende Gefangenschaft nicht.
Die IMI unterstanden offiziell der Wehrmacht, sie hatten mit Rücksicht auf den Bündnispartner Mussolini den Status als Kriegsgefangene und nicht als zivile Zwangsarbeiter. In der Praxis leisteten sie jedoch Zwangsarbeit, und zuständig für ihre Unterbringung und die Arbeitseinsätze waren bald nur noch der GHB und die Firmen und Betriebe direkt. Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Internierten waren menschenunwürdig. Sie galten den Deutschen oft als „Verräter”. Ihnen wurden die schwersten Arbeiten aufgebürdet – bei schlechter Ausrüstung und unter drakonischen Strafen. Sie erhielten zu wenig Essen, die Unterkünfte in den Lagerhäusern waren furchtbar und bei Bombenalarm durften sie keine Bunker aufsuchen. Viele von ihnen wurden aufgrund der Umstände schwer krank und/oder starben.
Aquilino Spozio 1919 – 1945
„Aquilino Spozio wurde am 21. Januar 1919 in Mailand geboren. Bis Ende 1944 lebte er in einem der Lagerhäuser am Dessauer Ufer und musste für die Krupp Reederei arbeiten.
( … ) Aquilino wurde für den Transport von Kohle eingesetzt. Danach lebte er erst im Lager in der Hovestraße auf der Veddel und im Lager Langer Morgen in Wilhelmsburg als Zwangsarbeiter. Aquilino starb am 22. Februar 1945 im Lager in der Hovestraße. Als Todesursache wurde eine Lungenentzündung angegeben.”
Erminio Fusa
„Erminio Fusa ( … ) (wurde) am 14. Februar 1915 in Torrelvicino bei Venedig ( … ) (geboren). Er wurde nach der Waffenstillstand-Vereinbarung vom 8. September 1943 von der deutschen Wehrmacht in Albanien gefangen genommen
( … ) (und lebte) seit September/Oktober 1943 im Lagerhaus G ( … ). Erminio Fusa erkrankte Ende 1944 und kam erst ins Krankenhaus in der Eckernförder Straße. Von hier wurde er ins AK Langenhorn gebracht, wo er am 18. April 1945 an den Folgen einer Grippe starb.”
Luigi Fusi
„Luigi Fusi wurde am 11. Juli 1924 in Monteiggi-oni in der Toskana geboren. Am 8. September 1943 wurde er in Pula in Kroatien von der deutschen Wehrmacht gefangen genommen. Von Beruf war er Bauer. Er lebte die ganze Zeit in den Lagerhäusern am Dessauer Ufer und musste für das Speicher-Unternehmen Storz & Co. arbeiten ( … ). Luigi Fusi erlebte am 3. Mai 1945 die Befreiung Hamburgs. Er konnte aber nicht mehr nach Hause fahren, sondern starb am 13. August 1945 im Krankenhaus.”
Marketa Muellerova (Margarethe Müller)
„Marketa Muellerova (wie ihr wirklicher Name lautete) wurde am 3. September 1899 geboren und heiratete Karl Mueller. Sie lebten in Prag und hatten zwei Kinder, Nina ( … ) und Melitta
( … ). Am 2. Juli 1942 wurden die vier von Prag nach Terezin/Theresienstadt ins Ghetto deportiert, am 18. Dezember 1943 weiter ins Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Im Juli 1944 wurden die drei Frauen nach Hamburg ins Lagerhaus G ( … ) ver-schleppt. Marketa starb am 27. Juli 1944 an einer Blutvergiftung. ( … )” Als einziges Familien-mitglied überlebte die Tochter Melitta.
Ein einziger großer Stolperstein
Das Lagerhaus G ist der letzte noch existierende Gebäudeteil eines zwischen 1903 und 1907 erbauten Speicherkomplexes am Ufer des Saalehafens. Das Backstein-Gebäude ist in Holzständer-Bauweise errichtet. Auf der Hafenseite steht es direkt im Wasser. Aus zwei Gründen steht es seit 1988 unter Denkmalschutz. Zum einen, „… weil es die historische Form der Lagerhaltung außerhalb der Speicherstadt mit der für die damalige Zeit typischen Backsteinarchitektur dokumentiert”, so heißt es in einem Beitrag im Newsletter des Denkmalvereins Hamburg. Zum anderen ist das Lagerhaus G tatsächlich das einzige Gebäude, das von jenen Außenlagern des KZ Neuengamme, die sich innerhalb Hamburgs befanden, erhalten ist, und dies auch noch baulich nahezu unverändert.
Ab 1943 hatten die Speicher als Außenstelle des KZ Neuengamme gedient. Zunächst waren dort 1.500 als jüdisch verfolgte Frauen untergebracht, die über Auschwitz aus der Tschechoslowakei, Ungarn und Polen nach Hamburg gebracht worden waren. Sie wurden wenige Monate später auf andere Hamburger Außenlager verlegt. Dann wurde das Lagerhaus G als Männeraußenlager genutzt.
Am Lagerhaus G sind das Gedenken an die Opfer des NS-Regimes und das Aufklären über System und Ideologie der NS-Arbeitslager unmittelbar mit dem Erhalt des Gebäudes verknüpft. So wie es dasteht, inmitten von emsigem Schwerlastverkehr, Hafenlärm und undefinierbaren Straßenbaustellen, ist das ganze Lagerhaus G ein einziger großer Stolperstein, ein real existierendes, mit den Sinnen wahrnehmbares Mahnmal gegen das Vergessen und für das Wachsam-Bleiben. Mitten unter uns, an einem nahen Ort, nur einen Katzensprung von der Veddel und dem Reiherstiegviertel entfernt.
In beklagenswertem Zustand
Doch das historische Gebäude verfällt zusehends. Der Denkmalverein schreibt: „Der aktuelle Zustand des Lagerhauses ist beklagenswert: Es gibt Risse im Mauerwerk, große Feuchtigkeitsschäden und sogar Schwamm. Es ist daher höchste Zeit für eine grundlegende Sanierung, die weiteren Verfall verhindert. Angesichts der historischen Bedeutung ist zu wünschen, dass die Stadt Hamburg Verantwortung für das Lagerhaus übernimmt. Darüber hinaus besitzt dieses prägende Baudenkmal großes Potential für die Entwicklung der Gegend zum neuen Stadtteil Grasbrook.” Aufgrund der Baudenkmal-Würdigkeit des Gebäudes wurden vonseiten des Hamburger Denkmalschutzamtes zwei Gedenktafeln (eine auf Deutsch, eine auf Englisch), die auf die Geschichte des Außenlagers Dessauer Ufer hinweisen, an der Vorderseite angebracht. Wie so oft in Hamburg, sind dem Denkmalschutzamt ansonsten jedoch die Hände gebunden.
Für einen Lern- und Gedenkort und eine stadtteilbezogene Zukunft
Schon seit Jahren kämpft die Initiative Dessauer Ufer (IDU), ein Zusammenschluss von Historiker*innen und Stadtteilaktivist*innen, für den Erhalt des Lagerhauses G und die Schaffung einer Gedenkstätte für die Zwangsarbeit im Hafen. In ihrem Konzept dafür steht: „Die Initiative Dessauer Ufer setzt sich für einen Lern- und Gedenkort sowie eine gemeinwohlorientierte, soziokulturelle und stadtteilbezogene Zukunft des Lagerhauses ein.”
In den Plänen der Stadt Hamburg für den neuen Stadtteil Grasbrook ist das Lagerhaus G als Gedenkstätte und Bildungsort verzeichnet. Die Stadt hat das Gebäude vor einigen Jahren an eine niederländische Eigentümergesellschaft verkauft, mit der Auflage, es instand zu setzen und zu erhalten und ein Konzept für das Gedenken umzusetzen.
Doch bisher hat sich nichts getan. Der Backsteinspeicher wirkt baufälliger denn je, nichts ist dort restauriert, nicht einmal in seinem Bestand gesichert. Drumherum sind Baustellen, das Pflaster ist aufgerissen und überall liegen Steinhaufen. Zuletzt machte das Gelände Schlagzeilen, weil die Stadt Hamburg der Bundeswehr erlaubt hatte, dort eine Militärübung zu veranstalten (WIR 2.10.24). Die Übernahme historischer Verantwortung sieht anders aus.