Der Kontakt zu den Menschen

Beim Lokaljournalismus bleibt gerade kein Stein auf dem anderen. Doch eine Sache wird sich nie ändern: Wer gute lokale Berichterstattung machen will, muss in Kontakt mit den Menschen vor seiner Haustür sein

Katrin Jäger von TIDE und die Autorin besuchten mit dem gemeinsamen Projekt Pop Up-Redaktionen für Wilhelmsburger*innen im Gepäck die Lokaljournalismus-Konferenz von CORRECTIV an der Uni in Erfurt.
Foto: Andreas Müller (Wedel-TV)

Am 10. und 11. Mai 2025 fand zum dritten Mal die CORRECTIV.Lokal Konferenz an der Universität Erfurt statt. Diesmal waren auch WIR eingeladen, gemeinsam mit Katrin Jäger, die bei TIDE das Bürger*innen-Lokaljournalismus-Netzwerk ins Leben gerufen hat. Katrin Jäger hatte die Idee, unser gemeinsames Projekt Pop Up-Redaktionen für Wilhelmsburger*innen in Erfurt vorzustellen. So waren wir Speakerinnen und Besucherinnen der Konferenz zugleich.

Wo waren wir da? Bei der Fachkonferenz für Lokaljournalist*innen treffen sich gut 300 Medienschaffende und Medienwissenschaftler*innen aus ganz Deutschland. Sie sprechen in Diskussionsrunden und Workshops über Lokaljournalismus, knüpfen neue Kontakte und vernetzen sich. Allen gemeinsam ist das große Interesse an lokaler Berichterstattung und ihrem Fortbestehen. Bei CORRECTIV auf der Homepage heißt es, es träfen sich dort alle Menschen, „die an einem zukunftsfähigen Lokaljournalismus arbeiten, mit dem Ziel, dialogorientierte Berichterstattung ( … ) zu fördern.“

Lokaljournalismus und Demokratie

Das Motto der diesjährigen Konferenz lautete: „Aufspringen auf Hypes oder ausgeruhte Recherche in den Fokus stellen: Was brauchen Deutschland und unsere Demokratie aktuell vom Lokaljournalismus?“ Fünf Themenbereiche gab es auf der Konferenz, um sich in insgesamt 35 Workshops, Vorträgen und Diskussionsrunden mit dieser Frage auseinander zu setzen:

  1. Recherche & Hands-On (= Beispiele/Übungen für praktischen Handeln in Eigeninitiative)
  2. Innovation & Zukunft
  3. Bildung & Soziales
  4. Klima & Umwelt
  5. Meet-Ups (= Zusammentreffen, Netzwerken, Sich-Austauschen von Menschen zu einem bestimmten Thema, das meist mit einem Impulsreferat von eine*r Impulsreferent*in eingeleitet wird)
WIR in Erfurt an der Uni. Die Präsentation „Stadtteiljournalismus – Menschen berichten selbst aus ihrer Stadt: Wie geht das (gut)?“ fand reges Interesse.
Foto: A. Müller

Katrin Jäger und die Autorin waren mit unseren Präsentationen „Stadtteiljournalismus – Menschen berichten selbst aus ihrer Stadt: Wie geht das (gut)?“ und „Gemeinsam (aus)handeln – Stadtteiljournalismus im Pop-up Format“ in der Rubrik Innovation & Zukunft einsortiert. Rund 50 Besucher*innen interessierten sich lebhaft für unser Thema. Eine Stunde lang berichteten wir über den WIR, über TIDE und unsere beiden gemeinsamen Veranstaltungen (17.10.2024: „Pressefreiheit beginnt vor der Haustür“, 20.3.2025: „Unter Berücksichtigung des Gegenverkehrs“ – Mobilität in Wilhelmsburg).

Lust auf Lokal und mehr Migra-Perspektiven!

Auch für uns als Besucherinnen waren die Veranstaltungen im Bereich Innovation & Zukunft am interessantesten. Da ging es zum Beispiel um die Frage „Wie schaffen wir echten Mehrwert für den Lokaljournalismus durch Community-Beteiligung?“. Bei „Lust auf Lokal – warum starten wir nicht überall neue Lokalmedien?“ berichteten zwei junge Journalist*innen von ihren Lokalzeitungen im Netz, die sie gegründet haben. Und „Mehr Migra-Perspektiven für deinen Journalismus!“ gab Anregungen, wie migrantische Perspektiven besser in die Berichterstattung und Migrant*innen besser in die Redaktionen eingebunden werden können.

Ausgeruhte Recherche, wache Journalist*innen und Nähe zu den Menschen

Drei Dinge nimmt die Autorin von der Konferenz in Erfurt mit.

Erstens, dass guter Lokaljournalismus trotz Zeitungssterben, Klickzahlen-Fixierung und Social-Media-Pseudoinformation nicht tot ist. Das Interesse, ihn zu machen und der Bedarf, ihn zu bekommen, sind weiterhin groß. Es hat Spaß gemacht zu erleben, mit wieviel Energie, Kompetenz und Ernsthaftigkeit der journalistische Nachwuchs – der die Konferenz positiv geprägt hat – nach neuen Wegen und Medien für einen qualitätsvollen, demokratiefördernden Lokaljournalismus sucht. Und diese Wege auch finden wird, davon ist die Autorin überzeugt.

Zweitens, egal wie sich die Medien und die mediale Vermittlung selbst und die Zugänge zu den journalistischen Inhalten ändern – also die technischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen – die Grundlagen für guten, aufklärerischen und ermächtigenden Lokaljournalismus bleiben immer gleich.

Das ist die Nähe zu den Menschen, in und über deren Lebensumfeld berichtet wird; da geht es ums Dasein, Zuhören, Ansprechen, Ansprechbar-Sein, Zu-Wort-Kommen-Lassen. Das ist die kritische Distanz zu den „Mächtigen“, seien diese im Lokalen der Dorfvorsteher, die Bürgermeisterin, der Ortsamtsleiter oder die Vorsitzende von Ausschuss XY. Das ist sorgfältige Recherche und faktenbasierte Einordnung dessen, was der/die Journalist*in erlebt, erfährt, hört. Das ist das Bewusstsein, dass es absolute Neutralität und Objektivität in der Berichterstattung nicht gibt, es aber wichtig ist, bei jeder Geschichte deutlich zu machen, aus welchem Blickwinkel sie erzählt wird.

Drittens, dass die Existenz von ehrenamtlichem Journalismus, Bürger*innen-Journalismus und unabhängigen, kreativen, kritischen (lokal)journalistischen Projekten immer wichtiger geworden ist und in Zukunft an Bedeutung noch zunehmen wird. Schon heute ist manch „handgemachtes“ Zeitungs- oder Radioprojekt professioneller und gehaltvoller als die Restbestände der vermeintlichen Profi-Lokalmedien. Auch unser WIR wird, seit er im Netz ist, öfter als professionelles Medium wahrgenommen.

Viertens, unabhängiger, kritischer Lokaljournalismus kostet Zeit und Geld! Es müssen deshalb Modelle für seine Förderung entwickelt werden. Lokaljournalist*innen und lokale Projekte müssen auf eine Förderung zurückgreifen können, wenn herkömmliche Finanzierungsmethoden mal nicht funktionieren. Dazu gehört auch, dass (ehrenamtlicher) Journalismus endlich als gemeinnützig anerkannt wird! Denn hier schaffen Menschen einen Mehrwert für das Gemeinwohl und werden dafür mit belobigenden Sonntagsreden und gelegentlichen Ehrenamts-Auszeichnungen abgespeist. Wichtige Stiftungsgelder hingegen, ohne die es zum Beispiel auch CORRECTIV nicht geben würde, können sie nicht beantragen.

Mehr über die gemeinnützige Mediengesellschaft CORRECTIV hier.

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Sigrun Clausen

Wenn sie nicht am Nachbarschreibtisch in ihrer Schreibstube arbeitet oder in der Natur herumlungert, sitzt sie meist am Inselrundblick. Von ihm kann sie genauso wenig lassen wie von Wilhelmsburg.

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