Am 25. Oktober 2024 hat sich die Bombardierung des Lagerhaus G, einer Außenstelle des KZ Neuengamme auf dem Kleinen Grasbrook, zum 80. Mal gejährt
Die Initiative Dessauer Ufer (IDU) hatte zu diesem Anlass zum Gedenken an die mehr als 150 KZ-Häftlinge aufgerufen, die durch einen aliierten Angriff mit Fliegerbomben ums Leben kamen. Die nationalsozialistische „Schutzstaffel” (SS) hatte sie im Krankenrevier in den oberen Stockwerken untergebracht, wo sie den Bomben schutzlos ausgesetzt waren. Die SS nutzte das Lagerhaus G, einen 24.000 Quadratmeter großen Speicher, zu diesem Zeitpunkt als Außenstelle des Konzentrationslagers Neuengamme für 2.000 männliche Häftlinge. Sie mussten im Hafen und den umliegenden Stadtteilen für die Ölindustrie, die Baubehörde, die Wasserwerke, die Bahn und weitere Betriebe schwere, lebensgefährliche Zwangsarbeit leisten. Viele kamen durch Hunger, Krankheit, Erschöpfung, Mord und Folter ums Leben.
Genauso wie am Tag der Bomardierung taucht die Oktobersonne den Himmel und die Hafenbecken an diesem Freitagnachmittag in strahlendes Blau. Kein Hinweisschild führt Besuchende von der Harburger Chausse auf der Veddel über eine Brücke über den Spreehafen und durch einen nach Urin stinkenden Tunnel unter den Bahnschienen hindurch zur Dessauer Straße. Direkt hinter der Hansabrücke auf der rechten Uferseite liegt das Lagerhaus G, eine langgestreckte, klinkersteinrote Lagerhalle.
Unter dem vergitterten Kellergewölbe streckt sie ihre verrottenden Holzpfählen in das Wasser des Saalehafens.
Vor dem Gebäude ist die Straße auf ganzer Länge aufgerissen, Baustellenabsperrungen, Bagger und große Container stehen auf den Pflastersteinen.
Erst auf den zweiten Blick wird klar, dass hier etwas Historisches geschehen sein muss: Die Fenster, im Erdgeschoss noch immer vergittert, sind mit Schwarz-Weiß-Fotografien ausgefüllt, unter dem verrosteten Schriftzug „Lagerhaus G” ist ein Transparent angebacht, auf dem „Heritage Foundation secured” steht. Vier Hinweistafeln weisen auf die Geschichte des Gebäudes hin. Aber sämtliche Türen sind verrammelt, der Zutritt per Schild Unbefugten verboten.
Nur an einem Eingang hat sich augenscheinlich in jüngerer Vergangenheit etwas geändert, eine Metalltreppe führt hinauf, zwei Stofffahnen mit der Aufschrift „Here lived. Lagerhaus G Heritage Foundation” säumen sie.
Unter den banachbarten Fenstern, zugehängt und mit Videoüberwachungshinweisen versehen, hat die Stiftung, die das Gebäude 2018 erworben hat (WIR 25.4.22), einen Trauerkranz zwischen wild rankenden Pflanzen auf den Mauervorsprung gestellt.
Auf einem großen, weißen Container hat sie außerdem eine Botschaft hinterlassen:
„Die Stiftung Lagerhaus G Foundation freut sich über alle Initiativen, die sich hier engagieren! Danke, dass IHR mit uns für den Erhalt und den Ausbau des Gedenkortes kämpft. Wir erinnern an das LEID zum Juli 2024 > 80. Jahr> jüdischer Frauen und Mädchen.”
Bevor die SS hier männliche Inhaftierte einsperrte, hatten sie 1.500 als jüdisch verfolgte Frauen am selben Ort gefangen gehalten.
Die Initiative Dessauer Ufer, die sich seit 2017 für den Erhalt des Gebäudes auf dem Kleinen Grasbrook und der Errichtung eines Lern- und Gedenkortes einsetzt, hat einen Laster gegenüber der Halle auf einem unscheinbaren Imbiss-Parkplatz aufgestellt, die Transportfläche ist zur Bühne umgebaut.
Bevor die eigentliche Gedenkveranstaltung beginnt, verweist Markus von der IDU auf den geschichtsvergessenen Übungseinsatz der Bundeswehr Ende September (WIR 2.10.24). Dann geben die Ehrenamtlichen vor einem Dutzend Zuhörenden eine Einführung in die Geschichte des Lagerhauses, Zeugenberichte von Überlebenden der menschenverachtenden Zustände vor Ort während der NS-Diktatur werden verlesen oder durch Audio-Beiträge verdeutlicht und durch Fotos ergänzt. Währenddessen dröhnt im Minutentakt Schwerlastverkehr über die Pflastersteine.
„Aber inmitten dieser ganzen Scheiße, inmitten dieser ganzen Scheiße haben wir eben doch standgehalten, denn wir waren, wir waren eben doch sicher, dass – wir waren sicher, dass wir, selbst wenn wir [persönlich] nicht mit dem Leben davonkommen würden, was damals wahrscheinlich zu sein schien, so … so wussten wir doch, dass sie verloren hatten.”
Jean leBris, französischer Widerstandskämpfer, Interview von 1993
Auch Vera Trnka, Tochter einer Überlebenden Gefangenen des Frauenhauses im Lagerhaus G, ist an diesem Tag angereist und bekommt eine Führung im Gebäude durch die Heritage Foundation.
Für alle, die am vergangenen Freitag nicht dabei sein konnten, hat die IDU dem Wilhelmsburger InselRundblick ihren Vortrag und die Zeugenberichte freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Zum Abschluss gedachten die Menschen der verstorbenen Gefangenen, indem sie Blumen am Trauerkranz niederlegten.
Am 12. November, um 10 Uhr werden drei Stolpersteine für die italienischen „Militärinternierten“ (IMI) Aquilino Spozio, Erminio Fusa und Luigi Fusizu zu dem bisher einzigen vor dem Lagerhaus G dazukommen. Sie waren Soldaten, die sich nach der Kapitulation Italiens im Herbst 1943 geweigert hatten, weiter an der Seite der deutschen Wehrmacht zu kämpfen. Für ihr „Nein“ wurde sie als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt und starben in Hamburg. Die Stolperstein-Verlegung ist öffentlich.
Die Zitate der Insassen stammen von Audio-Aufnahmen, die im Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme aufbewahrt werden und wurden dem InselRundblick für diesen Artikel freundlicherweise zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. WIR bedanken uns herzlich!
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