Die sechzehnten 48h Wilhelmsburg am heißen zweiten Juniwochenende mit vielen altbekannten und neuen Künstler*innen und Spielorten – das „musikalische Perlentauchen“ geht weiter

Fotos: A. Groß, H. Kahle
Bei der Eröffnung des Festes am Freitagabend lobte Bezirksamtsleiter Ralf Neubauer in seinem Grußwort, ein Merkmal der 48h-Organisation sei die Fähigkeit zur Improvisation: Die ganze Veranstaltung war wegen der großen Hitze kurzerhand aus dem Saal in den Garten der Fischgaststätte auf der Veddel verlegt worden. In der ersten Hälfte des Jahres wurden wieder mehrere Wärmerekorde verzeichnet – der Klimawandel holt auch die 48h langsam ein.
Ansonsten hatte es der Bezirksamtsleiter mit dem Grußwort nicht leicht. Nach sechzehn Jahren 48h gibt es kaum etwas, was noch nicht über das inzwischen deutschlandweit bekannte Festival gesagt oder geschrieben wurde.
Die Indie-Band unter den Chören
Aber Grußworte und Zeitungsartikel können die vielen musikalischen Erlebnisse und persönlichen Begegnungen an den 48h-Wochenenden ja auch nur notdürftig beschreiben.
Auch in diesem Jahr gab es wieder eine Programm mit einer bunten, lebendigen Mischung: Gute alte Bekannte, Newcomer*innen, die verschiedensten Musikrichtungen, für jede*n etwas dabei: Die Gruppe Melima eröffnete das Festival am Freitag mit Liedern aus drei Kulturen. Melima mit drei Sängerinnen aus Brasilien, Georgien und der Ukraine war eine von vier Gruppen, die im Corona-Sommer 2020 in einem wunderschönen, nicht öffentlichen Hinterhofkonzert live auftreten durften.
In der Kreuzkirche in Kirchdorf sang die Choir Division, die „Indie-Band unter den Chören“, Post-Punk-Songs in klassischer Chorfassung. In der Warderlüüd-Genossenschaft Sanitasstraße rockte Venera. Die Band Nasmat Hamburg lud vorm Bigfoodimbiss im Reinstorfweg mit orientalischen und internationalen Melodien zum Tanzen ein.
„Ich bin neu“

Und dann stolpert man nach einem Tag in großer Hitze über einen musikalischen Act, der unter anderem den Klimawandel (s. o.) zum Thema hat: Das kleine Asien-Restaurant Aomame in der Veringstraße ist gut besetzt. Aus der Küche dringt Tellergeklapper, die Bedienung läuft mit (leckeren) Speisen und Getränken hin und her, Besucher*innen kommen und gehen und mittendrin singt und performt Leonore Lilja, unbeeindruckt vom Gewimmel, Lieder zum Klavier.
Sie ist zum ersten Mal bei den 48h dabei. „Eigentlich ist es das zweite Mal“, erzählt sie dem WIR. Sie sei im letzten Jahr ein paar Tage vor den 48h nach Wilhelmsburg gezogen und habe dann spontan außerhalb des Programms irgendwo gespielt. „Musik begleitet mich mein ganzes Leben“, meint sie. Sie hat schon mit sechs Jahren von ihrem Vater Klavierspielen gelernt, dann Gitarre und Orgel und legte mit 13 die D-Kantorprüfung in Kirchenmusik ab: „Das ist das Organist*innen-Seepferdchen.“ Aber Kirchenmusik sei eigentlich nicht ihr Ding gewesen, ebensowenig wie die Schule, die sie kurz vor dem Abitur verlassen hat. „Ich wollte lieber Musik machen und eigene Songs schreiben“. Ihre ersten Lieder hatten – im Zuge der „Fridays-For-Future“-Demonstrationen – die Klimakrise zum Thema. Da war sie vierzehn. Auf die Frage nach ihren musikalischen und Songschreiber-Vorbildern meint sie, die habe sie eigentlich nicht, aber die Lieder von Georg Kreisler finde sie gut.
Seit 2023 tritt sie rund um Hamburg öffentlich auf. Ihre Erfahrung, dass sie dabei oft eine der wenigen Frauen auf der Bühne ist, hat sie in dem fetzigen Song „ich bin neu“ verarbeitet, mit dem sie im Aomame ihr Konzert eröffnet. In ihrem Programm sind dann Songs zu verschiedenen „gesellschaftlichen“ Themen. „Ich hab im Lotto gewonnen“ heißt einer, „aber ich möchte in einer Welt leben, in der man gar nicht Lotto spielen muss“. Ihre Songs haben Drive, sie singt und spielt oft „mit Vollgas“, dass die Mikrofone manchmal überfordert sind. Gegen Ende hat sie ganz praktisch einen Song, der das Publikum ermuntert, etwas in den Hut zu tun. Und dann singt sie noch „Schmeißt die Faschisten raus!“ Man wird Leonore Lilja hoffentlich nicht das letzte Mal bei den 48h erlebt haben.