„Im Zweifel für die Hoffnung“

Zum Tod von Hildebrand Henatsch

Ein Schwarz-Weiss-Portraitfoto von Hildebrand Henatsch, lächelnd.
Hildebrand Henatsch, 1935 – 2021. Foto: privat

Am 27. August 2021 ist unser lieber Freund und Mitstreiter Hildebrand Henatsch im Alter von 86 Jahren von uns gegangen. Selbstbestimmt, würdevoll und voller Hoffnung. Vor seinem Tod wie in seinem Leben.

Aufgewachsen an der Weichsel im ehemaligen Westpreußen, nach dem Krieg Flucht in den Westen, Mechaniker-Lehre bei Bosch in Hildesheim, Studium der Theologie, Sozialstudium, erste Stelle als Industrie-Pastor in Dortmund. So gelangte Hildebrand nach zahlreichen Zwischenstationen 1978 nach Wilhelmsburg.

Die Elbinsel ließ ihn nicht mehr los. Hier hat er sein halbes Leben verbracht. Erst in der Paul-Gerhard-Gemeinde und dann von 1981 bis zur Pensionierung 2000 als Pastor in der Emmaus-Gemeinde. „Vieles wurde mir hier geschenkt“, schreibt er in seiner Biographie. „Meine zweite Familie, neue Kreise und Projekte, Menschen, denen ich begegnet bin und für die ich etwas habe sein können, neue Freunde und Bekannte!

Das klingt sehr bescheiden, lieber Hildebrand! Auch als jemand, der Deinen Predigten eher selten gelauscht hat, würde man heute sagen: Du hast den Stadtteil gerockt!
Beim Engagement für die Menschen im Reiherstiegviertel, mit Pragmatismus in der Realisierung konkreter Projekte, ohne Kompromisse, wenn es um die Verteidigung der Würde aller ging. Deine vielfältigen Impulse für die Zukunft der Elbinsel haben bereits unübersehbare Früchte getragen.

Als „Gemeinde“ verstand Hildebrand auch immer das Gemeinwesen: So mit dem „Deutsch-Ausländischen Freundeskreis“ und der Gründung der Arbeitsloseninitiative zu Beginn der 80er Jahre. Lebhaft erinnere ich eine Veranstaltung im Emmaus-Gemeindehaus im September 1983: In Solidarität mit den Werftarbeitern, die am 12. September ihre HDW-Werft besetzt hatten, saß Hildebrand auf dem Podium – gemeinsam mit den Betriebsräten von HDW und MAN und dem Bundestagsabgeordneten Hans-Ulrich Klose.
Hildebrand Henatsch war auch einer der Ersten, der ganz deutlich formulierte: „Wilhelmsburg braucht eine schöne Moschee.“

1996 – nach den erfolgreichen Aktionen gegen die Müllverbrennungsanlage – wurde in Wilhelmsburg der „Beirat für Stadtteilentwicklung“ eingerichtet. Hildebrand vertrat dort die Kirchengemeinden und war zeitweise auch Vorsitzender des Beirats.

Hildebrands Zeit als Gemeindepastor endete im März 2000. Was für ein Segen, dass er auch danach der Elbinsel Wilhelmsburg erhalten blieb: Er wirkte bei der Zukunftskonferenz mit und wurde 2002 Mitstreiter in unserem Verein Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg. Und er organisierte jahrelang weiter das Reiherstiegfest. Sein unermüdliches Engagement wurde aber vor allem der Arbeitsloseninitiative im Deichhaus zuteil, deren Vorsitzender er blieb. Dort wurde er liebevoll nur „Der Pastor“ genannt. „Frag den Paster“ …

Lange bevor der Bundespräsident 2015 auf Hildebrands Verdienste aufmerksam wurde, wurde ihm bereits 1999 der „Goldene Willi“, die Auszeichnung unserer Stadtteilzeitung Wilhelmsburger InselRundblick, verliehen: „Für besonderes Engagement für das Zusammenleben der Menschen in unserem Stadtteil und seinen Einsatz für die Arbeitsloseninitiative, die Kleiderkammer, die Wilhelmsburger Tafel und für den Erhalt des Deichhauses am Stübenplatz“.

Was trieb ihn an, woher kam diese Kraft, die ihn bis zum Ende trug? Dazu sagt Hildebrand selbst: „die Wahrheit zu bezeugen, dass jeder Mensch als Geschöpf Gottes seine eigene Würde hat, die es zu achten und zu ehren gilt. Die Starken und Angesehenen bedürfen dieses Zuspruchs weniger. Dafür umso mehr die, die in ihrer Würde verletzt werden, weil sie fremd oder arm sind oder auf andere Weise zu den Schwachen unserer Gesellschaft gehören.“

Über Hildebrands Weisheit hätte ich gerne noch mehr erfahren und bedauere, dass die gemeinsame Wanderung nicht mehr möglich war, die wir uns vorgenommen hatten …

Manuel Humburg, Verein Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg

Ein Gedanke zu “„Im Zweifel für die Hoffnung“

  1. Hildebrand Henatsch‘ Tod ist auch mir sehr nahe gegangen – er und seine Frau Marion sind während 9 Radtouren im Laufe der Jahre mit 6 Teilnehmer:innen gute Freunde geworden. Bewundernswert und wahrhaft würdig, wie er mit dem eigenen Sterben umgegangen ist und der stereotype Satz „Starb im Kreise seiner Familie“ zutreffen kann. Seine Menschlichkeit und – wie Manuel zitiert – sein Einsatz für Minderheiten sowie finanziell benachteiligte Menschen, die oft ihre Stimmen nicht zu Gehör bringen können, ist in seinem Sinne christlich und in meinem Sinne humanistisch. Da können sich die sehr unterschiedlichen Sichtweisen auf die Welt begegnen.

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