Auf den Querdenker-Demonstrationen protestieren Gruppen von Menschen gegen die Corona-Maßnahmen, die nach landläufiger Vorstellung eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Politiker:innen rufen die Impfkritiker:innen auf, sich ausdrücklich von rechtsradikalen Demonstrant:innen zu distanzieren. Der Journalist Andreas Speit zeigt in seinem Buch „Verqueres Denken – Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus” auf, dass dieses Zusammengehen nicht zufällig ist
Andreas Speit, unter anderem Autor der taz-Kolumne „Der rechte Rand”, ist ausgewiesener Kenner der Thematik Rechtsextremismus und Rechtspopulismus.
Aufhänger für das vorliegende Buch sind die Querdenker-Aktionen der letzten beiden Jahre, bei denen nicht nur alte und neue Nazis und mehr oder weniger skurrile Verschwörungsfans mitmarschieren, sondern, wie vor zwei Wochen in Hamburg, offenbar sehr viele Menschen aus der „Mittelschicht” und der alternativen Szene, die gemeinsam mit den Nazis „Freiheit statt (Corona)-Diktatur” skandieren. In der Einleitung spricht Speit von einer „anhaltenden Entkultivierung von Teilen des Bürgertums” und einer egomanen „rohen Bürgerlichkeit”.
Es gibt bisher kaum Untersuchungen dieses Phänomens. In der politischen Bewertung wird gern zwischen Impfskeptikern und Rechten, die die Demos für ihre Zwecke instrumentalisieren wollten, unterschieden. Für Andreas Speit ist dieses Miteinander aber nicht zufällig. Im ersten Abschnitt des Buches über die Entwicklung der Querdenker-Demonstrationen zeigt er anhand soziologischer Erhebungen die soziale Zusammensetzung der Demonstrationen auf, die verschiedenen kursierenden Verschwörungstheorien und ihre unterschiedliche Verbreitung bei den Demo-Teilnehmer:innen. Unter anderem wird unter dem neuen Begriff „conspirituality” eine zunehmende Verbindung zwischen Aberglauben und Verschwörungsmentalität beschrieben.
Rückzug auf das eigene Ich
Speit setzt sich dann ausführlich mit der Vorstellungswelt der alternativen Szene in der Mittelschicht – der „Bionade-Bourgeoisie” – auseinander. Es habe hier, im Rahmen einer Kritik der linken Studentenbewegung, seit Mitte der 70er Jahre zwar die Entwicklung zu einem kritischen Staatsverständnis, aber auch zu Theoriefeindlichkeit und einer ichbezogenen Betroffenheitskultur stattgefunden: „Statt Revolution der gesellschaftlichen Verhältnisse Rückzug auf das eigene Ich”. In diesen Zusammenhang gehöre auch die Renaissance esoterischer Weisheiten, die für gesellschaftliche Missstände irrationale Erklärungen und Lösungen nahelegten. Insbesondere beschreibt Speit in einem längeren Kapitel den Rückgriff auf die anthroposophischen Lehren Rudolf Steiners aus dem letzten Jahrhundert. Der Steinersche „Spökenkram” (siehe WIR 6/14), dem man mit rationalen Argumenten nur schwer beikommt, liefert sowohl Impfskeptiker:innen als auch Rassist:innen und „Völkischen” reichlich Futter. Speit führt zahlreiche Beispiele von anthroposophischen Waldorfschulen auf, die die Impfung von Kindern gegen Corona mit Berufung auf ihre Lehre ablehnen.
In abschließenden Kapiteln kritisiert Speit rechte Tendenzen in der Tierrechtsbewegung und bei „Extinction Rebellion” (XR). Die Gleichsetzung von Tier und Mensch führt bei einigen Tierrechtlern im Zuge der Kritik an Tiertötungen zu Holocaustvergleichen und Kokettieren mit der Euthanasie. Und auch der XR-Gründer Roger Hallam relativierte in Interviews bei seiner Weltuntergangsbeschwörung den Holocaust.
Andreas Speit geht es in „Verqueres Denken” nicht darum, die alternative Szene pauschal als „rechts” abzuqualifizieren. Er führt die Auseinandersetzungen, die es z. B. unter Anthroposophen über die Interpretation der Lehren Rudolf Steiners gibt, an. Ebenso die entschiedene Distanzierung und Lossagung des deutschen XR-Ablegers von Roger Hallam. An zahlreichen Beispielen zeigt Speit aber auf, dass Teile der alternativen Vorstellungswelt für rechtes und rechtsextremes Gedankengut offen sind. Und das sollte Alarm genug sein.
Andreas Speit, Verqueres Denken – Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus, Chr. Links Verlag, 231 Seiten, 18 Euro