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Technik, die begeistert

Gestern kam eine Pressemitteilung aus der Pressestelle des Senats. Betreff: „Gedenken an die Sturmflut 1962 – Hamburg baut Hochwasserschutz seit 60 Jahren konsequent aus”.
Der Text, der in der E-Mail folgt, ist eine unsägliche Mischung aus Technikberauschtheit und Technologiegläubigkeit („Die heutigen Deiche sind modern konstruierte Ingenieursbauwerke [ … ] und können damit auch schwersten Sturmfluten trotzen, wie es sie bisher noch nicht gegeben hat”), Beruhigungsrhethorik auf Kindergartenniveau („Damit ist die Stadt so sicher gegen Hochwasser und Sturmfluten geschützt wie noch nie”) und Selbstbeweihräucherung („Hamburg investiert dafür jährlich 20 bis 30 Millionen Euro”).

Von Gedenken keine Spur. Die Sturmflut von 1962 dient nur als Folie, auf der der Senat seine Jubelmeldung vom „Heute ist alles besser!”-Deichbauprogramm ausbreitet. Bei Bürgermeister Peter Tschentscher hört sich das dann so an: „Die Sturmflut hat großes Leid über unsere Stadt gebracht, sie hat aber auch gezeigt, dass die Hamburgerinnen und Hamburger in der Not zusammenstehen. In Folge der damaligen Ereignisse hat der Senat den Katastrophenschutz neu organisiert und den Hochwasserschutz verbessert …” usw. usf.
Und Michael Pollmann, Staatsrat für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft, findet mühelos den Übergang zur Technik, die begeistert: „Wir gedenken zum 60. Jahrestag der Opfer der Sturmflut vom Februar 1962. Seit dieser Katastrophe hat Hochwasserschutz in Hamburg höchste Priorität. Damals waren die Deiche der Flut nicht gewachsen. Heute sind sie im Durchschnitt um 2,5 Meter höher …” usw. usf.

Richtig ärgerlich wird die senatliche Pressemitteilung an anderer Stelle. Lassen wir dazu noch einmal Michael Pollmann zu Wort kommen: „Weil weltweit bislang viel zu wenig für den Klimaschutz getan wurde, wird der Meeresspiegel noch für lange Zeit weiter ansteigen. Um auch für diese Herausforderungen gerüstet zu sein, werden wir unsere Hochwasserschutzanlagen konsequent ausbauen müssen. So machen wir unsere Stadt gegen die Folgen des Klimawandels zukunftssicher.“

An dieser Aussage ist so gut wie nichts richtig.

Meiner Meinung nach müsste Herr Pollmann sagen: „Weil wir auch hier in Hamburg, genauso wie im Rest der Welt, viel zu wenig für den Klimaschutz tun – und das, obwohl wir als Großstadt einer westlichen Industrienation zu den Hauptverursachern des Klimawandels gehören – wird der Meeresspiegel noch für lange Zeit weiter ansteigen. Hinzu kommt, dass die Stürme heftiger werden und die Niederschlagsmengen zunehmen, was die Flut- und Sturmflutereignisse immer gefährlicher werden lässt. Wenn wir das nicht schnellstens in den Griff bekommen, werden uns auch die neuesten, dicksten und höchsten Hochwasserschutzanlagen nicht mehr helfen. Außerdem verursachen wir selbst durch unsere ständigen Elbvertiefungen immer extremere Wasserstände und höhere Fluten. Uns ist bewusst, dass die Hamburger ebenso wie die weltweite Klimapolitik unzulänglich ist. Wir müssen Sie, liebe Bürger:innen, deshalb darauf vorbereiten, dass Hamburg die Folgen der menschengemachten Klimakatastrophe voll zu spüren bekommen wird. Die Zukunft unserer Stadt ist nicht sicher.”

Manchmal frage ich mich, welche Variante ich beunruhigender finden soll: dass die Politiker:innen nicht die Tatsachen sehen – oder dass sie womöglich glauben, was sie sagen.

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Sigrun Clausen

Wenn sie nicht am Nachbarschreibtisch in ihrer Schreibstube arbeitet oder in der Natur herumlungert, sitzt sie meist am Inselrundblick. Von ihm kann sie genauso wenig lassen wie von Wilhelmsburg.

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