Im Februar 2024 hat die Stadt Hamburg als erstes Bundesland die sogenannte SocialCard eingeführt – eine Bezahlkarte für Asylbewerber*innen. Um diesen Menschen wieder Zugang zu mehr Bargeld zu verschaffen, hat die Initiative „Hamburg sagt Nein zur Bezahlkarte” ein Tauschsystem entwickelt. Der Infoladen Wilhelmsburg macht als Tauschort mit
„Entmündigend, repressiv, ausgrenzend, diskriminierend und verfassungsrechtlich fragwürdig” – so bewertet die Initiative „Hamburg sagt Nein zur Bezahlkarte” die sogenannte Social Card, die die Stadt als erstes Bundesland bereits seit Februar letzten Jahres an Asylsuchende und Geflüchtete in Erstaufnahmeeinrichtungen ausgibt. Seither bekommen viele Menschen, die Anspruch auf Asylbewerber*innenleistungen haben, ihr Geld auf eine Art Prepaid-Karte geladen. Es handelt sich um eine guthabenbasierte Bezahlkarte ohne Kontobindung.
Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und Selbstbestimmung eingeschränkt
Sie funktioniert ähnlich wie herkömmliche Visa- und Debitkarten, unterscheidet sich aber in einigen wichtigen Punkten von diesen. Bargeld-Abhebungen sind auf maximal 50 Euro monatlich beschränkt, Überweisungen sind mit der SocialCard ausgeschlossen, ebenso der Online-Handel. Minderjährige erhalten keine eigene SocialCard, für sie werden 10 Euro zusätzlich auf die Karte eines Elternteils gebucht.
Ein großes Problem ist, dass Inhaber*innen der Hamburger Social Card nur in Geschäften, die Visa/Debit-Zahlungen akzeptieren, einkaufen können. Betroffene berichten, viele Läden würden die Karte nicht annehmen.
Außerdem falle bei jeder Abhebung eine Gebühr von zwei Euro an. Kostengünstige Angebote, wie der Einkauf auf einem Flohmarkt oder in einem Sozialkaufhaus, funktionieren oft ausschließlich mit Bargeld. Auch akzeptieren einige Dienstleister*innen, wie Frisör*innen, Restaurants oder Kioske nur Bares. Da Überweisungen mit der Karte ebenfalls ausgeschlossen sind, wird es den Menschen nahezu unmöglich gemacht, Anwaltskosten oder den Schulausflug ihres Kindes zu zahlen. Der Abschluss eines Handyvertrages oder die Anmeldung im Sportverein sind ebenso wenig möglich. Günstige Online-Käufe sind auch nicht drin.
Hitzige Auseinandersetzungen
Inzwischen haben fast alle Bundesländer die Bezahlkarte eingeführt, sie ist seither Gegenstand hitziger politischer Debatten. Eine bundesweit einheitliche Regelung gibt es nicht. Die Ministerpräsident*innen der Bundesländer, die ihre Einführung beschlossen hatten, bewerben sie als Mittel gegen „Schlepperkriminalität”, da Auslandsüberweisungen mit der Social Card augeschlossen werden. Befürworter*innen der Bezahlkarte versprechen sich außerdem die Unterbindung von Zahlungen an Verwandte im Ausland. Belastbare Zahlen, wie viel Geld Asylsuchende tatsächlich ins Ausland verschicken, gibt es jedoch nicht. Zur Einordnung: Alleinstehende Asylbewerber*innen bekommen in Deutschland 441 Euro im Monat, wenn sie in einem eigenen Haushalt leben; in einer Sammelunterkunft sind es 397 Euro.
Menschenrechtsorganisationen und andere Gegner*innen der Bezahlkarte argumentieren, dass die Grundrechte der Betroffenen missachtet würden und das menschenwürdige Existenzminimum gefährdet würde. Von Anfang an war umstritten, ob die Bezahlkarte überhaupt verfassungskonform umgesetzt werden kann. Denn Asylsuchende haben, wie alle anderen Menschen in Deutschland auch, einen Anspruch darauf, dass nicht nur ihre unmittelbar zum Leben benötigten Bedarfe befriedigt werden, also etwa Lebensmittel. Sie müssen auch die Möglichkeit haben, am Gemeinschaftsleben teilzuhaben. „Die menschenwürdige Variante zur diskriminierenden Bezahlkarte sind ein Girokonto und eine reguläre EC-Karte”, teilte Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, tagesschau.de im August letzten Jahres mit.
Einzelfallentscheidungen geben Hoffnung
Mehrere diesbezügliche Klagen in verschiedenen Städten laufen bereits gegen die Karte. Vor dem Sozialgericht Hamburg erreichten PRO ASYL und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) gemeinsam mit einer schutzsuchenden Familie im Juli ’24 im Eilverfahren einen Erfolg gegen die restriktiven Beschränkungen: Das Gericht bewertete die pauschale Festsetzung des Bargeldbetrages auf 50 Euro ohne Berücksichtigung der persönlichen und örtlichen Umstände der Betroffenen als rechtswidrig. Diese müssten jeweils vom Hamburger Amt für Migration geprüft werden. Die Sozialbehörde legte Beschwerde gegen die Entscheidung ein, das Landessozialgericht Hamburg hob sie daraufhin wieder auf. Die GFF und PRO ASYL haben daher gemeinsam mit der betroffenen Familie im Dezember 2024 eine Klage eingereicht. Im Fall eines alleinstehenden Geflüchteten sahen die Gerichte keine Gründe für ein Eilverfahren, so dass ein langwieriges Hauptsacheverfahren für eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Bezahlkarte nötig ist.
Neben den juristischen Auseinandersetzungen und parteipolitischen Debatten regt sich auch ziviler Protest gegen die Bezahlkarte: Im Juni organisierte die Initiative „Hamburg sagt Nein zur Bezahlkarte” eine erste Kundgebung am Adolphsplatz, ihre Petition haben bereits über 5.000 Menschen unterzeichnet. 400 Demonstrierende waren bei einer Demo im August dabei. Bei einer weiteren am 14. Dezember kamen bei Eisregen nur wenige Menschen zum Dammtor.
Noch größere Bekanntheit dürfte das Thema durch den Vortrag der Initiative beim Chaos Communication Congress (CCC) am 30. Dezember bekommen haben. Dort wurde auch deutlich, dass die diskriminierende Praxis bald noch viel mehr Menschen betreffen könnte, denn: „Sie [die Bezahlkarte] ist nur der Anfang. Wir wissen, dass die SocialCard derzeit an den vulnerabelsten Menschen getestet wird und in Zukunft auf alle Sozialleistungsempfänger ausgerollt werden soll”, heißt es im Beschreibungstext des Videos.
Infoladen tauscht Gutscheine gegen Bargeld
Die Initiative „Hamburg sagt Nein zur Bezahlkarte” hebelt das Limit bei der Bezahlkarte aus, indem sie Gutscheine gegen Bargeld tauscht. Das funktioniert so: Die Betroffenen kaufen mit der Bezahlkarte Einkaufsgutscheine im Wert von 50 Euro bei beliebten Supermärkten und Drogerien wie LIDL, Aldi, Edeka und Budni und bringen sie zum Café Exil, eine selbstverwaltete, unabhängige Unterstützungs- und Beratungsstelle für Geflüchtete und Migrant*innen in Wandsbek. Dort bekommen sie im Tausch Bargeld für die Gutscheine. Wer die Aktion unterstützen möchte, holt sich diese im Infoladen Wilhelmsburg, dem DAW in der Chemnitzstraße in Altona, oder dem Infoladen Schwarzmarkt in der Sternschanze gegen Cash ab (Adressen und Öffnungszeiten s.u.).
„Im Infoladen können Gutscheine getauscht werden, weil es eine einfache, praktische Maßnahme der Solidarität mit von Flucht betroffenen Menschen ist. So wird dazu beigetragen, den Geflüchteten ein Stück ihrer Selbstbestimmung zurück zu geben, die ihnen von staatlicher Seite bewusst verwehrt wird. Und dazu gehört explizit auch die Entscheidung, eventuell einen Teil des Geldes an Familie oder Freund*innen in anderen Teilen der Welt zu überweisen. Konkret den Infoladen zu nutzen, bietet sich an, da er als offener, frei zugänglicher Ort mit festen Öffnungszeiten den Zugang zum Tauschsystem erleichtert”, erklärt das Kollektiv auf Anfrage des WIR.
Ausgedacht hat sich das System Sadia, die aus Somalia stammt und sich bei NINA – womeN IN Action in Wilhelmsburg engagiert. Inzwischen haben viele Städte das System kopiert. Lokalpolitiker*innen von Grünen und Linken sowie zivilgesellschaftliche Organisationen, zum Beispiel Flüchtlingsräte und die Seebrücke, unterstützen die Aktion.
Prompt forderte die CSU in Bayern Anfang Januar, Initiativen gegen die Bezahlkarte zu verbieten und den Kauf von Gutscheinen zu blockieren. Die Hamburger CDU schloss sich an: „Diese missbräuchliche Umgehung der Bezahlkarte muss mit allen rechtlichen Mitteln verhindert werden“, erklärt deren Fraktionsvorsitzender Dennis Thering. Ein CSU-Bundestagsabgeordneter aus Bayern ließ den Kartentausch von der Staatsanwaltschaft Regensburg rechtlich prüfen.
Diese kam, zusammen mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Anfang Dezember 2024 jedoch zu der Einschätzung, dass der Kartentausch keinen Straftatbestand erfülle, weder Betrug noch Steuerhinterziehung liege vor.
Die Initiative „Nein zur Bezahlkarte” will so lange weitermachen, bis die Bargeldbegrenzung aufgehoben oder die Karte wieder abgeschafft wurde. Zudem soll es am 23. Januar ’25 ein landesweites Vernetzungstreffen geben.
Aktuell gibt es im Infoladen Einkaufsgutscheine von Aldi, Lidl und Budni. Im Laufe dieser Woche sollten auch wieder welche von Edeka und Penny dabei sein.
Einkaufsgutscheine gibt es hier:
Infoladen Wilhelmsburg (Fährstr. 48)
Dienstag, 15:00 – 18:00 Uhr
Mittwoch, 12:00 – 15:00 Uhr
Donnerstag, 15:00 – 18:00 Uhr
Samstag, 13:00 – 16:00 Uhr
DAW (Chemnitzstraße 3-7)
jeden Donnerstag 18:00 – 20:00 Uhr
Infoladen Schwarzmarkt (Kleiner Schäferkamp 46)
Montag, 16:00 – 19:00 Uhr
Donnerstag, 16:00 – 19:00 Uhr
Freitag, 17:00 – 19:00 Uhr
You have a SocialCard and need cash?
Café Exil (Hammer Str. 10)
Every first and second friday of the month, 2-5 pm
- Come every first and second friday of the month (2-5 pm) to our donation-place Café Exil (Hammer Str. 10) and see what kind of 50€ supermarket-voucher is needed
- Go to the supermarket and buy the voucher
- Bring voucher and bill to our place and get the 50€ donation
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