Wilhelmsburgs einziger Club ist Geschichte. In Zukunft wird das “Turtur” ausschließlich eine Pizzeria sein. WIR wollen die Location am Veringkanal aber nicht klanglos vergessen, sondern veröffentlichen stattdessen eine wöchentliche Interview-Reihe mit den Menschen, für die das Turtur ein ganz besonderer Ort war. Im Finale erzählt Mona, Besitzerin und Betreiberin des Turturs, von ihrer Geschichte mit dem Club
Von Timo Knorr (Fotos) und Jenny Domnick (Interviews)
J.D.: „Hi Mona, schön, dass es geklappt hat. Was sind das für Veranstaltungen, die gerade im Turtur laufen?“
Mona: „Das sind seit sehr langer Zeit gebuchte Veranstaltungen, zum Beispiel Hochzeiten. Anstatt dass das “Turtur” das Eindecken, die Bar und das Buffet stellt, wie früher, machen das die Leute jetzt selber.“
J.D.: “Ah, OK, und wann gibt’s wieder Pizza?”
Mona: „Das kann ich noch nicht sagen. Dann, wenn ich wieder genug Kraft habe, den Laden neu zu eröffnen und noch nicht insolvent gegangen bin.“
J.D.: „Es ist jetzt sechs Wochen her, dass der letzte Rave im “Turtur” gefeiert wurde. Warst du dabei? Wie war die allgemeine Stimmung und deine eigene?“
Mona: „Klar! Die Stimmung war geballte Euphorie, das Team und das Publikum waren mega emotional, es sind viele Tränen bei den Mitarbeiter:innen geflossen und den Menschen, die das “Turtur” jahrelang begleitet haben.“
J.D.: „Und wie fühlt es sich jetzt an?“
Mona: „Es war die richtige Entscheidung. Der letztmögliche Zeitpunkt, um mich und das “Turtur” zu erhalten.“
J.D.: „Die Nachricht war für viele Wilhelmsburger:innen ein Schock, manche hatten es vorhergesehen. Wie lange hast du selber damit gehadert, den Club zu schließen?“
Mona: „Ungefähr drei Jahre. Das war wirklich keine leichte Sache.“
J.D.: „Was hat zum endgültigen Entschluss geführt?“
Mona: „Das “Turtur” ist zu klein, um von dem Clubbetrieb finanziell leben zu können, wenn man Leute einstellen will. Gleichzeitig ist es viel zu viel Arbeit, um es alleine zu machen. Die Pizzeria habe ich zur Gegenfinanzierung gebraucht, aber jedes halbe Jahr alles umzustellen, ist auch Wahnsinn. Ich bin ja schließlich auch Mutter und habe ein Privatleben!“
J.D.: „Was war also Schuld? Das Konzept? Corona? Nicht genügend Leute?“
Mona: „Definitiv das Konzept und die Fehleinschätzung meiner Energie.“
J.D.: „Wie bist du überhaupt damals zum “Turtur” gekomen?“
Mona: „Damals gehörte die „Tonne” (Vorgängerin des “Turtur”, Anm. der Rdaktion) den Betreibern der Nordwandhalle, die ihr Planungs-Büro dort eingerichtet hatten und gleichzeitig eine Pizzeria eröffnet haben. Ich hab’ dort als Servicekraft gearbeitet. Ein italienischer Pizzabäcker hat uns mit Händen und Füßen das Rezept beigebracht (es ist, leicht verändert, bis heute das selbe geblieben), weil wir keine gemeinsame Sprache gesprochen haben.
Als die Halle fertig gebaut war, haben die Betreiber die “Tonne” verkauft und ich bin mit in die Gastro der Nordwandhalle gewechselt. Mir wurde das aber schnell zu langweilig, deshalb hab’ ich unter den neuen Betreibern wieder in der “Tonne” gearbeitet.
Zur gleichen Zeit habe ich angefangen, selber Open Airs zu organanisieren. Und als die Soulkitchen-Halle noch offen war, hab’ ich dort zum ersten Mal mit anderen Leuten zusammen ‘ne größere Party auf die Beine gestellt. So sind Coco, eine damalige Freundin, und ich, dann auf die Idee gekommen, in der “Tonne” die Reihe “All of Us!” zu starten. Von da an gab’s drei Jahre lang immer am “Tonnerstag” bis 22/23 Uhr vorne Pizza und dann hinten Techno. Schnell die Küche sauber gemacht, die Tische weg und los ging’s. Ab und an gab es auch am Wochenende Parties.
Nach und nach ist das zu ‘ner etablierten Veranstaltung geworden, davor gab es ja nur den “Südbalkon“, einen Schlauch bei dem Falafel-Laden, und einen Kunst und Kulturverein, da wo jetzt die KITA in der Industriestraße ist. Bei “All of Us” hab ich dann auch selber aufgelegt, es war eine DIY-Partie-Reihe, wir hatten einfach Bock, was zusammen zu machen. Ach ja: Das “Sweet Home” gab’s ja auch noch, da wo jetzt “Black Ferry” drinnen ist, das war zuerst ein Mutter-Kind-Café und dann ‘ne Kneipe mit Live-Musik. Die Honigfabrik bedient ja eher ein anderes Publikum.“
J.D.: „Und wie ist es dann dazu gekommen, dass du den Laden übernommen hast?”
Mona: „Ich hab dem neuen Besitzer vorgeschlagen, Pizzeria und Club aus der “Tonne” zu machen. Aber das war ihm zu riskant, zum Beispiel wegen dem Lärm.
In der Zeit wusste ich nicht so genau, wie es in meinem Leben weiter gehen sollte. Irgendwann saß ich mit einer guten Freundin am Kanal und sie hat mich gefragt: „Wenn du alles machen könntest, dir völlig frei aussuchen, was du möchstest, was würdest du dir dann wünschen?” Und ich hab spontan geantwortet: „Ich möchte einen eigenen Club haben!” Zuerst hab ich gedacht, es bleibt bei dem Traum, wie soll eine alleinerziehende Mutter ohne Kohle einen eigenen Club finanzieren?
Ein halbes Jahr später, 2014, sollte die “Tonne” verkauft werden und die Betreiber haben es mir angeboten. Plötzlich gab es dann eine unerwartete Möglichkeit, mir Geld zu leihen. Ich hab’ mir keine großen Gedanken gemacht, einfach losgelegt. Jeder, der Plan von Geschäftsführung und Zahlen hat, hätte mich gefragt, was ich da bloß mache. Oft war ich pleite, aber dann kam die nächste erfolgreiche Veranstaltung und weiter ging’s.“
Timo Knorr
lebt und arbeitet als Fotograf in Hamburg. Linn Schröder, Stefan Stefanescu und Dorothea Heinrich hatten großen Einfluss auf seine heutige Arbeit.
Sein Fokus liegt auf der fotografischen Erforschung von Gruppen, die sich in einem Spannungsfeld der gesellschafltichen Konflikte der aktuellen Zeit bewegen. Ein kleiner Teil seiner Arbeit ist aktuell in der Wildwuchsbrauerei ausgestellt.
Für die Reihe “Tales of Turtur” hat er alle Menschen fotografiert. WIR bedanken uns aufs Herzlichste!
J.D.: „Und wie bist du auf den Namen “Turtur” gekommen?“
Mona: „Auf den Namen bin ich gekommen, weil ich meinem Sohn zu der Zeit Jim Knopf vorgelesen habe und den Scheinriesen eine passende Metapher fand.“
J.D.: „Was für Erfahrungen hast du in den folgenden Jahren gemacht?“
Mona: „Ich hab viel gelernt, zum Beispiel das Urvertrauen, dass es immer irgendwie weiter geht. Ich hatte immer Leute, die mir den Rücken gestärkt haben, die mich gepusht haben. Manche die ganze Zeit über, andere für eine Weile. Die Leute zu begeistern und zusammen zu bringen, was zu schaffen, hat mich angetrieben, das war mein Motor.
Auch die KRACH45-Leute und ich haben uns gegenseitig unterstützt. Das “Sweet Home” hat mich da total geprägt, da sind Leute aufeinandergetroffen, die sonst nie etwas miteinander zu tun gehabt hätten, ein Ort der Auseinandersetzung miteinander. Auch im “Turtur” haben mich die Menschen oft total überrascht.“
J.D.: „Was hat der Club für Dich bedeutet?“
Mona: „Er war mein Lebenstraum. Die Pizzeria habe ich zur Finanzierung gebraucht. Der Club hat eher gekostet. Lange waren die Getränkepreise zu niedrig, auch wegen der Eintrittspreise gab es anfangs oft Diskussionen mit den Gästen. Auch in Willi kosten DJs Geld und auch hier leben Servicekräfte vom Trinkgeld. Also haben wir die Preise erhöht, mehr Tage aufgemacht und nach und nach ist auch das Publikum diverser geworden.
Es tut mir weh, den Club jetzt aufzugeben, wo er ein Standing hat, aber die letzten sechs Wochen haben unglaublich viel Kraft gekostet. Wir hatten ja vier oder fünf Veranstaltungen, die mindestens 24 Stunden gingen. Aber so konnten wir zeigen: Es funktioniert. Ich habe es geliebt, Leute zu buchen, die noch nicht bekannt, aber richtig gut sind. Im “Turtur” haben auch Leute angefangen aufzulegen, sich auszuprobieren, die jetzt schon ganz gut bekannt sind. Die sind auch immer wieder in den Club gekommen, auch wenn sie hier nicht viel verdient haben, weil sie es hier sympathisch fanden und fair bleiben wollten.“
J.D.: „Erinnerst Du Dich an besonders schöne Momente?“
Mona: „Mich hat die Bühnengestaltung beim Theaterstück “Peristaltik” von Thord1s total geflasht. Was man mit dem Laden alles so machen kann! Ansonsten natürlich die Momente bei den 80er- oder Trash-Parties, wenn all die Leute, die ich inzwischen zu meinen Freund:innen zähle, zusammen gesungen haben.
Oder immer wieder dieser Augenblick, wenn ich auf diesen langen Raves, die von Freitag bis Sonntag gingen, geschnallt hab, dass der Laden voll ist und alles funktioniert. Da ist dann immer der ganze Stress von mir abgefallen. Aber am allerschönsten war immer das Wir-Gefühl im Team und am Schluss mit den Residents.“
J.D.: „War auch irgend etwas nicht so toll?“
Mona: „Die Nächte. Die waren mir zu düster, zu voll. Bis zum Februar letzten Jahres war ich immer von Anfang bis Ende auf allen Turtur-eigenen Veranstaltungen aber dann habe ich die Tage vorgezogen. Es wurde mir Alles zu viel. Ansonsten waren manche Toilettenaktionen echt beschissen, wo man sich fragt, ob der Mensch mal nachgedacht hat.
Eine Zeit lang wurde auch viel geklaut, Technik zum Beispiel, auch mein eigener Laptop. Manche Gäste haben sich so sehr wie zu Hause gefühlt, dass sie auch in private Bereiche einfach reingelaufen sind. Aber insgesamt gab es wenig Stress und auch nicht viele Rausschmisse.“
J.D.: „Wo sollen die Wilhelmsburger jetzt tanzen gehen?“
Mona: „DIY, Leute macht’s selber! Sucht euch Räume und Möglichkeiten. Macht Druck auf die Politik! Und natürlich ganz klar, in den „Südpol“ (lacht)!“
J.D.: „Habt ihr Köch:innen oder wer entscheidet über die Belege der Pizzen?“
Mona: „Na ich (lacht). Aber es gibt auch „Resident-Pizzen“, die haben immer die DJs kreiiert, die aufgelegt haben. In Zukunft werden wir wohl das vegane Angebot vergrößern, mal gucken, das ist alles noch in der Entwicklung.“
J.D.: „Unterscheidet sich deine Pizzeria von anderen Gastronom:innen (auf der Insel)? Inwiefern?“
Mona: „Die Turtur-Pizza ist super dünn, wie gesagt, nach original italienischem Rezept hergestellt, und außerdem haben wir eine recht große Auswahl an vegetarischen Varianten. Bei den anderen Pizzerien liegt der Schwerpunkt mehr auf Fleisch und Fisch. Außerdem arbeiten im “Turtur” immer die tollsten Menschen.“ (lächelt)
J.D.: „Möchtest du den Wilhelmsburger:innen noch etwas auf den Weg geben?“
Mona: „Gebt mehr Trinkgeld! Zehn Prozent der Rechnung sind echt angemessen, es sei denn, man ist unzufrieden. Manche checken nicht, dass das dazu gehört.“ Und: Wenn wir weiterhin aufeinander achten, Bedürfnisse zulassen und ernst nehmen, Dingen, die nicht in die Norm passen, Raum geben, kann dieses Viertel trotz Gentrifizierung weiter ein guter Ort mit einer guten Nachbarschaft bleiben.“
J.D.: „Vielen lieben Dank für das Gespräch und alles Gute für die Pizzeria!“
Zum Nachlesen: In der letzten Folge hat Tim Terror über seine Auftritte mit seiner Band “Frevel“ im Turtur berichtet. Den Auftakt der „Tales of Turtur“ haben „B.B.B.“, „Trish“ und „Peter Plum“, drei Gäste des Clubs, gemacht. Gefolgt ist ihnen Sarah, alias „Pizza Kid“, langjährige Wegbegleiterin und Organisatorin einer Partyreihe.
*Fotos mit freundlicher Genehmigung von Mona
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