„Kirche ist ein Schlachtschiff“

Obere Bildhälfte: Auf eine Wand in eienm hohen Raum mit verzierten Giebelfenstern ist ein Zitat projeziert. Untere Bildhälfte: Drei Menschen, eine Schwarze junge Frau, eine ältere weiße Frau und ein Schwarzer Mann mittleren Alters, sitzen auf Stühlen, vor ihnen Kisten, die als Tische dienen, mit Getränken
(v.l.n.r.:) Sarah Ntondele (Moderation), Daniela Konrädi, Louis-Henri Seukwa und Jana Coenen im Gespräch. Foto: J. Domnick

Am 26. November 2024 fand in der KulturKapelle die Podiums- und Publikumsdiskussion „Decolonize Kirche“ statt. Es war der letzte Teil einer Reihe zu Dekolonisierungsprozessen in Kultur, Polizei und Kirche in Deutschland, der auch für Nicht-Gläubige spannende Einblicke gab

Bei strömendem Regen wurden die etwa 25 Gäste von Valentina Bassow am Eingang der kleinen ehemaligen Kapelle im Inselpark herzlich in Empfang genommen. Drinnen herrschte bei warmen Tee und vorgeheiztem Raum eine freundliche und angeregte Atmosphäre.

Eingeladen hatte der migrantische Verein Ossara e.V., der seit 2017 einen machtkritischen und dekolonisierenden Ansatz in seiner integrativen Stadtteilarbeit verfolgt. Bildungsangebote zu Themen wie Rassismus, Vernetzungs- und Lobbyarbeit für Belange von PoC und Schwarzen Menschen in Hamburg, als auch Beratungsangebote mit dem Fokus zur Selbsthilfe sind Schwerpunkte seiner Bildungsarbeit.

Mission und Kolonialismus Hand in Hand

Etwa eine Stunde lang sprachen Jana Coenen, evangelische Theologie-Studierende in Hamburg, Louis-Henri Seukwa, Direktor der Arbeitsstelle für Migrationsforschung und Integrationspraktiken an der Hochschule HAW und Professor für Erziehungswissenschaften sowie Daniela Konrädi, Theologin, Pastorin und Referentin für Ökumenische Bildungsarbeit bei der Nordkirche, über die Verstrickung von Mission und Kolonisierung. Moderiert wurde das Gespräch von Sarah Ntondele. Sie ist ebenfalls evangelische Theologin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Interkulturelle Theologie am Fachbereich Ev. Theologie der Universität Hamburg.

Schon beim Einstieg in das Thema anhand eines (wissenschaftlich widerlegten) Zitates des tansanischen evangelischen Pfarrers, Missionars und Generalsekretär der Allafrikanischen Kirchenkonferenz in Nairobi, Fidon Mwombeki, wurde deutlich, dass alle drei Teilnehmenden sich zwar darüber einig sind, dass das Missionarstum nicht getrennt vom europäischen Kolonialismus auf dem afrikanischen Kontinent betrachtet werden kann; naturgemäß waren sie aber nicht einer Meinung darüber, ob das Christentum und seine Mission per se als Akt und Vorbereitung des Kolonialismus zu sehen sind.

Louis-Henri Seukwa, der ersteren Standpunkt vertrat, machte auch die desaströse kulturelle Zerstörung deutlich, die die Kolonisierung, legitimiert durch die Kirche seit dem 16. Jahrhundert, hinterlassen habe: Ein Zurück zu einem Davor gebe es nicht mehr, Religion sei heute zu einem „Opium des Volkes“ und einem betrügerischen Business verkommen, an dem sich einige im bestehenden kapitalistischen Weltsystem bereicherten. Diese spirituellen Führer propagierten eine Transformation im Jenseits anstatt im Diesseits, so dass sich die bestehenden Verhältnisse weiter konsolidieren könnten.

Daniela Konrädi, die sich seit 1993 in der Ev.-luth. Kirche in Norddeutschland gegen Rassismus engagiert, stimmte zu: Aus den Archiven gehe hervor, dass es im globalen Süden keine Glaubensvermittlung ohne kulturelle Transformation gegeben habe, auch wenn Teile der Ökumene dem vehement widersprächen. Auch die gegenwärtige Theologie tue sich schwer, anzuerkennen, dass die Kirche in die Kolonialisierung verstrickt gewesen ist, sie befruchtet und verstärkt hat, bekräftigte Jana Coenen.

Schwerfällige Theologie, überhebliche Gläubige

Sie selbst habe einen erschreckenden „AHA-Moment“ erlebt, als ihr erst im Studium aufgefallen sei, dass die Zeit der Aufklärung in Europa, eines der Fundamente unserer heutigen Gesellschaft, gleichzeitig zur Kolonialisierung stattgefunden hat. Bis heute fände eine kritische Reflexion, beispielsweise über Kant’s früher Rassentheorie nicht statt. Die Universität Hamburg, die sich selbst als „erste demokratische Universität Deutschlands“ feiert, sei mit Spenden aus Geschäften mit Diamanten, Waffen und anderen Kolonialwaren finanziert worden. Es gebe studentische Initiativen, die dafür eintreten, solche Texte kritisch zu lesen, den Rassismus in ihnen zu identifizieren und den außereuropäischen Einfluss auf Einstellungsänderungen nicht mehr unter den Tisch fallen zu lassen. Sie bekämen viel Zuspruch, würden aber in der Umsetzung allein gelassen. Zu schwerfällig seien der Lehrkörper und die Gewohnheiten. Ebenso tue sich die gegenwärtige Theologie schwer damit, die Schuld der Kirche anzuerkennen und darauf zu reagieren, meint die Studentin, die seit 2020 zudem am Institut für Interkulturelle Theologie und Religionswissenschaft als studentische Angestellte arbeitet und sich in der Initiative „Decolonize Theology“ engagiert.

Daniela Konrädi stimmte ihr zu: „Die Kirche ist ein Schlachtschiff! Viele dort denken, es reiche, dass Gläubige die besseren Menschen seien“. Die Realität der Kirche sei aber dieselbe wie im Rest der Gesellschaft. Die Nordkirche habe erst 2020 mit dem rassistischen Mord an George Floyd eine Art „Auferweckung“ erlebt. Als Reaktion durften bei der Landessynode, einer Art Kirchenparlament, Betroffene berichten, in der Folge wurden drei Stellen eingerichtet, die sich mit Rassismus und der Aufarbeitung der Missionsgeschichte beschäftigten. Leitende Organe und Pröbst*innen hätten an einem Anti-Rassismus-Workshop teilgenommen, zudem plane die Nordkirche eine „Dekolonial-Tagung“, bei der es darum gehe, Menschen aus dem globalen Süden zuzuhören und koloniale Spuren in Deutschland und der Nordkirche aufzudecken, zu erkennen, sichtbar zu machen und einzuordnen.

Die Bemühungen der Institution, ihre koloniale Vergangenheit aufzuarbeiten, bewertete Professor Seukwa dementsprechend zwar als „mutig“ und „gut“, sie müsse jedoch weitergehen, um die lange Vermeidungsgeschichte konstruktiv und differenziert auszuarbeiten, damit Menschen of Colour nicht weiter verletzt würden. Er sei lange mit seiner Forderung, genau diese nach Ansätzen zur Beschäftigung mit dem Thema zu befragen, „gegen die Wand gelaufen“. Veranstaltungen wie die heutige seien zwar „ein gutes Zeichen“, jedoch müsse die Kirche zur „Mutter der Kritik“ werden, weil sie auch Ursache der Kritik sei. Und zwar in Theorie, Forschung und Praxis. Das sei auch in ihrem ureigensten Interesse, da sie sich der globalen Realität in Hamburg nicht entziehen könne: Wolle sie bestehen bleiben, dürfe sie sich nicht länger verstecken und müsse ihre Versprechen in die Tat umsetzen.

In einem Raum mit hohen geschwungenen Decken sitzen Menschen auf Stühlen in Reihen neben und hintereinander.
Das Publikum hörte ausmerksam zu und stellte viele interessierte Fragen.
Foto: J. Domnick

Auf die Frage der Moderatorin Sarah Ntondele, welche die notwendigen nächsten Schritte in der Dekolonisierung der Kirche seien, meinte Seukwa, die Kirche müsse mit den Betroffenen einen Diskurs über das Zusammenleben auf dem Planeten führen; und zwar nicht hegemonial, sondern gemeinsam auf Augenhöhe. Sie könnten die Zustände (wie zum Beispiel die Klimakrise) zwar nicht alleine lösen, hätten aber das Wissen, wie die Menschen untereinander und mit der Umwelt friedlich existieren könnten.

Dazu müssten beispielsweise die Archive geöffnet werden. In diesem Zusammenhang bedeute Dekolonisierung, das Zusammenleben (neben dem Überleben auch sozial, natürlich und zukunftsgerichtet) auf der Erde wiederherzustellen.

Betroffenen zuhören

Jana Coenen wünschte sich für die Zukunft von der Theologie, erneut Kapazitäten für die Lehre der Black und Female Theories zu schaffen, anstatt diese Themen in die Randstunden des Lehrplans zu schieben. Theolog*innen müssten sich vielmehr als Lernende denn als Wissende verstehen. Sie sollten lernen, die richtigen Fragen zu stellen, denn neue Denksysteme seien wichtiger als Haltung.

Daniela Konrädi findet, dass die Kirche beginnen müsse, die Aufarbeitung von Kolonialismus und Mission nicht mehr als „Spezialthema“ zu behandeln. Dabei müsse sie die Diaspora-Gemeinden, die es zum Beispiel in Hamburg, Kiel und Lübeck gebe, wesentlich intensiver bei Fragen wie: „Wie geht Aufarbeitung?“, „Was bedeutet sie?“ oder auch „Was soll mit den Artefakten aus der Kolonialzeit passieren?“ einbeziehen. Die „deutsche Überheblichkeit“ müsse aufhören, die Betroffenen mit Würde und ihr Wissen mit Wertschätzung behandelt werden.

Im Anschluss stellten die Zuhörer*innen diverse Fragen an die Podiumsteilnehmenden: In wie weit kommt die Dekolonisierungsarbeit in den Gemeinden an? Wo gibt es Forschungsarchive? Wie können nach der Katastrophe Kulturen wiederbelebt werden? Was bleibt von der Kirche übrig ohne ihren hegemonialen Machtanspruch?

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Jenny Domnick

Als freiberufliche Texterin und gesellschafts-politisch aktive Person ist sie viel im Internet unterwegs, unternimmt aber auch gerne Streifzüge am und im Wasser. Wenn's pladdert, müssen ihre Freund*innen als Testesser*innen für ihre Hobby-Kochkünste herhalten.

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